Verschmutze Flüsse, die selbst dagegen klagen können? In Deutschland ist der Gedanke von Eigenrechten der Natur noch nicht verbreitet. Eine Initiative will das ändern – und beginnt mit der Spree.
Zehntausende Pariser nutzten in diesem Sommer die Möglichkeit, sich in der Seine abzukühlen. Anfang Juli eröffneten drei Schwimmbäder in der französischen Hauptstadt für zwei Monate den Betrieb. Erstmals nach über 100 Jahren war es möglich, ein innerstädtisches Bad im Fluss zu nehmen. Was der damalige Präsident Jacques Chirac schon Ende der Achtziger versprach, ist Wirklichkeit geworden.
Berlin mit seiner Spree ist davon weit entfernt. Im Innenstadtgebiet ist das Baden seit 100 Jahren wegen unzureichender Wasserqualität untersagt. Im Juni und August 2025 protestierten Berliner mit einer Schwimmdemo gegen das Verbot. Nasse Abkühlung kam in diesem Sommer jedoch oft unfreiwillig aus den Wolken. Auch der Herbst präsentiert sich bislang grau und feucht. Regnet es stark, läuft in Berlin die Kanalisation über, das passiert immerhin an 60 Tagen im Jahr. Das Abwasser fließt dann in die Oberflächengewässer. Wer nach langanhaltenden Regenfällen in Tiergarten, Kreuzberg oder Neukölln am Kanal spazieren geht, muss manchmal die Nase rümpfen, auch tote Fische sind schon gesichtet worden. Da die Kanäle in die Spree fließen, denkt an solchen Tagen niemand an ein Bad.
Emmanuel Schlichter träumt von einer anderen Realität. Er ist Vorsitzender des Vereins Rechte der Natur e.V. "Unser Ziel ist es, die Spree in den Lebensalltag der Menschen zu integrieren, wie es bei der Seine in Paris gelungen ist", sagt Schlichter zu der Initiative "Rechte der Spree", die außerdem vom Symbiotic Lab, dem zum Humboldt Forum gehörenden Humboldt Labor und der juristischen NGO Green Legal Impact unterstützt wird. Kern des Projekts: die Spree mit eigenen Rechten ausstatten – so, dass sie sogar selbst gegen ihre Verschmutzung klagen kann. Dazu haben die Initiatoren einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der Gegenstand einer Petition zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ist. Der Entwurf wurde am Freitag in Berlin vorgestellt.
Ecuador stoppte Kupferabbau – weil der Rechte eines Waldes verletzt
"Die Spree ist ökologische Person und zu behandeln als eine juristische Person. Sie ist ein Rechtssubjekt, das sich auf seine Rechte berufen, diese vor Gericht und in sonstiger Weise verteidigen und sich für seine Rechte einsetzen kann", heißt es im ersten Paragrafen des Entwurfs.
Ein Fluss mit eigenen Rechten? Für Jurastudierende und Rechtspraktiker in Deutschland mag das wild klingen, in ihrem Begleittext zum Gesetzentwurf sprechen die Verfasser selbst von einem "juristischen Experiment". Doch der Ansatz ist weder international ein Novum noch ein Bruch mit deutschen Rechtsprinzipien, wie Umwelt- und Staatsrechtler bei LTO schon in der Vergangenheit geschildert haben.
Ecuador hat die Rechte der Natur 2008 sogar in die Verfassung aufgenommen. 2021 stoppte das Verfassungsgericht Pläne zum Kupferabbau – weil dieser die Rechte des Nebelwaldes "Los Cedros" verletzte. In Frankreich gibt es die Initiative "Parlement de Loire", die ein Parlament für die Loire schaffen will – damit wäre die Loire der erste Fluss Europas, der demokratisch vertreten wird. Fauna, Flora, materielle und immaterielle Bestandteile des Flusses sollen dort vertreten sein. Spanien hat 2022 der Salzwasserlagune Mar Menor per Gesetz Eigenrechte zuerkannt, vorausgegangen war ein Volksentscheid. An dieser Regulierung habe man sich beim Berliner Entwurf eng orientiert, sagt Schlichter zu LTO.
Auch in Deutschland wird zunehmend über Eigenrechte der Natur diskutiert. Ein Volksbegehren hat etwa das Ziel, solche in die Verfassungen der Bundesländer zu verankern. Begonnen werden soll mit Art. 101 der Bayerischen Verfassung.
"Hätte auch das Wattenmeer oder die Zugspitze sein können"
Bislang darf sich in Deutschland aber kein See, Fluss, Baum oder Berg Rechtsperson nennen. Allerdings hat – als erstes und bislang einziges deutsches Gericht – das Landgericht Erfurt die Rechte der Natur in zwei Verfahren anerkannt. Dort war jedoch kein Ökosystem auf Kläger- oder Beklagtenseite beteiligt; vielmehr berücksichtigte das Gericht die Rechte der Natur im Allgemeinen in einem Diesel-Verfahren zulasten von VW als "schutzverstärkend" und damit schadensersatzerhöhend.
Die Spree soll nun ein Testfall für subjektive Eigenrechte der Natur sein. Man wolle "zeigen, wie so etwas auch in Deutschland funktionieren könnte", steht im Begleittext zum Gesetzentwurf. "Es hätte aber genauso gut der Bodensee, das Wattenmeer oder die Zugspitze sein können", heißt es weiter. Warum es gerade die Spree geworden ist, ist auch dem Zufall geschuldet: Das Humboldt Lab habe nach einer Panel-Diskussion zum Mar Menor Interesse daran bekundet, den Regulierungsansatz im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Wasser in Berlin Raum zu geben, die ebenfalls am Freitag eröffnet wurde. "Die Chance haben wir dann genutzt", sagt Schlichter. Er diskutierte am Freitag zusammen auf einem Podium mit Hochschulprofessor Hermann Ott und Vertretern von Green Legal Impact, Fridays for Future, Greenpeace und Fluss Bad Berlin, der Organisation, die die Schwimmdemos in der Hauptstadt organisiert.
Undenkbar ist der Ansatz nach deutschem Recht keineswegs. Die Idee, einer nichtmenschlichen Person Rechte zuzubilligen, ist nicht einmal neu. Schon seit dem 19. Jahrhundert nehmen deutsche Aktiengesellschaften als juristische Personen am Rechtsverkehr teil. Das gilt im Privatrecht mittlerweile etwa auch für die GmbH, die europäische Gesellschaft SE und rechtsfähige Personengesellschaften und im öffentlichen Bereich für Gemeinden, Behörden, Bund und Länder. Warum soll also nicht auch die Natur Rechte haben können?
Wer die Spree vertreten soll
Weil ein Ökosystem aber nicht selbst handeln kann, braucht es einen Vertreter. Das ist bei juristischen Personen nicht anders: Das Tagesgeschäft verrichten Mitarbeiter, die Leitungsverantwortung trägt in privatrechtlichen Gesellschaften Vorstand oder Geschäftsführung, gegebenenfalls wird er bzw. sie durch einen Aufsichts- oder Verwaltungsrat beraten und überwacht.
Ähnliches schwebt der Berliner Initiative vor: Die Spree soll ein Haupt- und ein Expertengremium erhalten. Das Hauptgremium soll die operative Leitung der "Geschäfte" und die Kommunikation mit Behörden übernehmen, notwendige Schutzmaßnahmen ergreifen, für die Spree klagen und die Finanzen verwalten. Die Landkreise bzw. Stadtbezirke sollen dazu je einen Vertreter aus Naturschutzorganisationen, Vereinen und Unternehmen mit Bezug zur Spree sowie dem Kreis der Anwohner wählen. Das 15-köpfige Expertengremium soll vollständig mit Wissenschaftlern besetzt sein. Es erfüllt vor allem eine beratende Funktion durch Stellungnahmen, soll aber auch ein Vetorecht für Entscheidungen des Hauptgremiums erhalten.
Alles nur Symbolik?
Dass der Entwurf kein verabschiedungsfertiger Gesetzentwurf ist, daraus macht die Initiative keinen Hehl. "Aufmerksamen Leser*innen wird auffallen, dass dieser Entwurf einige Fragen – darunter durchaus auch wichtige – unbeantwortet lässt", heißt es im Begleittext. Was der Entwurf mit seinen 17 Paragrafen aber leistet: Er zeigt, dass es grundsätzlich ein denkbarer Regulierungsansatz ist, der Natur Eigenrechte zuzuerkennen – trotz vieler noch unklarer Fragen.
Dieser Ansatz steht damit aber zugleich in Konkurrenz zu anderen Regulierungsinstrumenten des Umweltschutzrechts. Wem der Umweltschutz nicht weit genug geht, kann auch Emissions- und Immissionsgrenzwerte verringern, Genehmigungsanforderungen erhöhen, die Beteiligung von Umweltverbänden bei Planungsverfahren ausweiten oder Bußgelder erhöhen. Tieren erkennt die deutsche Rechtsordnung bislang auch keine Eigenrechte zu – warum soll das bei Flüssen oder Seen anders sein? Geht es am Ende womöglich nur um die Symbolik?
Dass dieser Aspekt in der globalen Bewegung Rechte der Natur eine zentrale Rolle spielt, lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Idee, bestimmten Ökosystemen wie einer Lagune oder einem Fluss Rechte zuzuerkennen, ist wirkmächtig, sie hat erhebliches Mobilisierungspotenzial. Doch darauf beschränkt sich die Wirkung nicht.
"Verbindlichkeit erhöhen, Zuständigkeiten klären"
"Es geht bei unserem Ansatz vor allem darum, die Verbindlichkeit für den Schutz der Spree zu erhöhen und die Zuständigkeiten zu klären", sagt Emmanuel Schlichter. Den Einwand, mehr Umweltschutz könne auch über konventionelles Umweltrecht erreicht werden, begegne ihnen häufig. Aber: "In der Praxis scheitert es häufig daran, dass sich bei einzelnen Ökosystemen keiner wirklich kümmert. Die Wasserqualität der Spree entspricht bereits jetzt nicht den Anforderungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie", führt der Jurist fort. Wenn Politik und Behörden untätig blieben, liege die Hoffnung allein bei Umweltschutzverbänden wie etwa dem BUND. "Die haben aber oft keine Kapazitäten, sich um jedes schmutzige Gewässer in Deutschland zu kümmern", so Schlichter. "Wenn es zwei Gremien gibt, die per Gesetz für die Überwachung und Durchsetzung der Wasserqualität der Spree zuständig sind, dann gibt es zumindest einen Akteur, der handelt." Nur: Was kann der dann tun, wenn er übermäßige Verschmutzung feststellt?
Der Gesetzentwurf sieht Sanktionen für die Verletzung der Rechte der Spree vor. Diese sollen strafrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Art sein, praktisch geht es um Bußgelder. Bislang sind diese aber eben nur gegen Personen, die gegen Recht verstoßen, also insbesondere ohne Genehmigung oder unter Überschreitung von Grenzwerten die Umwelt verschmutzen, möglich. Gegen die Überflutung der Berliner Kanalisation bei Starkregen ergibt sich aus den Eigenrechten der Spree ebenso wenig ein Rechtsbehelf wie gegen Verschmutzungen Dritter, die sich im Rahmen behördlicher Lizenzen bewegen. Zugleich will das Gesetz die Wasserbehörden verpflichten, keine die Spreerechte verletzenden Lizenzen zu vergeben.
Nimmt man die Rechtssubjektivität der Spree ernst, muss ihr gegen den Schädiger auch Schadensersatz zustehen. Hierzu sieht der Entwurf keine Gesetzesänderungen vor; er setzt das Recht auf Schadensersatz allerdings voraus, wenn er sagt, dass dieser eine Quelle des Spreevermögens ist.
Auch dabei würde der Ansatz der Eigenrechte einen echten praktischen Unterschied zum bisherigen rein verwaltungsrechtlichen Umweltschutz machen. Bußgelder fließen in der Regel in die allgemeine Staatskasse, werden nicht auf einem zweckgebundenen Sonderkonto geparkt. So können Einnahmen aus Sanktionen auch in Geldtöpfe für den Ausbau einer Stadtautobahn verschoben werden. Der Schadensersatz dagegen flösse dem Spreevermögen zu, dann würden und müssten die beiden Gremien die Gelder zur Behebung der Störung oder für Präventionsmaßnahmen einsetzen.
Können die Länder allein handeln?
Welche Ansprüche im Einzelnen denkbar wären, darüber müssten sich künftig auch Zivilrechtler Gedanken machen. Denn wenn die Spree als Rechtsperson auftritt, sind ihre Verhältnisse zu den Verschmutzern privatrechtlicher Art.
Damit stellt sich nicht zuletzt eine ganz grundlegende Frage: Hätte das Land Berlin überhaupt die Befugnis, einen Fluss zur rechtsfähigen ökologischen Person zu erklären? Im Fall der Spree müssten wohl mindestens die übrigen Anrainerbundesländer Sachsen und Brandenburg mitziehen. Wie das genau zu regeln wäre, ist unklar. Noch grundlegender fragt sich, ob die Gesetzgebungskompetenz überhaupt bei den Ländern liegt und welche Rechtsmaterien betroffen sind.
Der Münchner Staatsrechtler Jens Kersten hält vor diesem Hintergrund eine Änderung des Grundgesetzes (GG) für angebracht. Wie er 2022 in einem Interview mit LTO skizzierte, müsse Art. 19 Abs. 3 GG um einen Hinweis auf ökologische Personen ergänzt werden. Danach gelten die Grundrechte auch für juristische Personen, wenn sie "ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind". Welche Grundrechte dafür konkret in Frage kommen und ob weitere GG-Änderungen nötig wären, ist unklar.
Auch ist fraglich, inwiefern die von Schlichter geschilderte Version, dass die Spree am Rechtsverkehr teilnimmt, nicht auch Änderungen im bürgerlichen Recht und Vereinsrecht erforderlich machen würde. Dafür hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz an sich gezogen.
Dass derlei Grundsatzfragen noch ungeklärt sind, wissen die Initiatoren der "Rechte der Spree". Ihnen geht es darum, ihre Vision von Rechten der Natur auch in Deutschland weiter zu verbreiten. Die Debatte über diesen Regulierungsansatz soll auf der parlamentarischen Bühne ausgetragen werden. Sollte der aktuelle oder der in einem Jahr neu gewählte Berliner Senat das Vorhaben ernst nehmen, würde die juristische Gutachterei wohl erst richtig beginnen.
Verein stellt Gesetzentwurf zu Eigenrechten der Natur vor: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58359 (abgerufen am: 13.11.2025 )
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