Cum-Ex, Wirecard und der Verfassungsstaat in Coronazeiten – viel Arbeit für die Rechtskommunikation. Schweigen, angreifen, erklären? Was Herausforderungen und Strategien sind, das diskutierte eine Tagung in Berlin.
"Man kann nicht nicht kommunizieren" - mit diesem Satz ist der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick berühmt geworden. Es ist eine Einsicht, die nicht nur Unternehmen beschäftigt, sondern eine, mit der sich auch die Justiz zunehmend auseinandersetzen muss. Nicht erst in der Corona-Pandemie hat sich das noch einmal gezeigt.
Irgendwas mit Kommunikation machen sie alle, die sich Mitte November in Berlin getroffen haben: Unternehmenssprecherinnen, PR-Leute von Kanzleien, Rechtsanwälte und Journalistinnen. Es hatte sich seit Beginn der Corona-Pandemie einiges an Themen in der Branche angesammelt. Als der Rechtskommunikationsgipfel, veranstaltet von der Litigation PR-Agentur Consilium, zum bisher letzten Mal 2019 stattfand, dürften nur wenige geahnt haben, dass ein Finanzdienstleister aus Aschheim sich bald inmitten eines Skandals von internationalem Ausmaß wiederfinden sollte. In Sachen Cum-Ex wartete man auf erste Gerichtsurteile und mit Corona dürfte niemand etwas anzufangen gewusst haben.
Überschießende Erwartungen an den Rechtsstaat und seine Akteure?
Über Rechtskommunikation mit sozusagen maximaler Flughöhe sprach der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Udo Di Fabio. Auf den Rechtsstaat und seine Institutionen wie Gesetzgeber, Regierung und BVerfG kämen große Transformationsaufgaben zu, allen voran die Energie- und Mobilitätswende. Veränderungen wollten gut kommuniziert sein und auch die Akteure des Rechtsstaats sollten sich darüber zunehmend Gedanken machen, so die Botschaft Di Fabios.
Er beobachtet, dass in der Gesellschaft überschießende Erwartungen an das bestehen, was den Rechtsstaat eigentlich ausmacht: Im Kern eine Bindung der öffentlichen Gewalt an Gesetz und Verfassung. Di Fabio verzeichnet die Tendenz in der gesellschaftlichen Erwartung, die Rechtsarbeit mit werthaltigen Positionen aufzuladen. Von Richterinnen, Staatsanwälten und Rechtsanwältinnen werden Entscheidungen erwartet, die größer sind als ihre eigentlichen Aufgaben als Organe der Rechtspflege. Als ein krasses Beispiel nannte er den Beschluss des Amtsgerichts Weimar, das im April 2021 die Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler aufheben wollte. Hier habe jemand mit seiner Entscheidung auf das mediale Echo abgezielt. Laufen Juristinnen und Juristen Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen, fragte Di Fabio – und warnte: Anwältinnen, Richter und Staatsanwälte sollten wachsam bleiben.
Auf kritische Nachfragen aus dem Publikum verteidigte Di Fabio das BVerfG, dem in den vergangenen Monaten immer wieder vorgeworfen wurde, es habe zu den Grundrechtseinschränkungen in der Corona-Pandemie jedenfalls zu wenig entschieden. Das sei ein bemerkenswerter Vorwurf, so Di Fabio, bei vielen gesellschaftlichen Veränderungen habe das Gericht nämlich seit je her erst mit einigen Jahren Verzögerung entschieden. Für grundsätzliche und zugleich zeitnahe Entscheidungen fehlten bereits die Vorbilder in der Rechtsprechung des Karlsruher Gerichts. Außerdem habe das Gericht nicht geschwiegen, es habe schon früh in grundrechtlich besonders sensiblen Bereichen wie der Versammlungsfreiheit eine Eilentscheidung getroffen – und zwar eine, die den Kritikern der Corona-Politik Freiheiten gesichert habe. "Viele warten auf die eine ganz große Entscheidung, ich nicht", sagte Di Fabio. Viel Rechtsschutz sei schon von den Ländern abgearbeitet, er erwartet, dass das BVerfG nur in Einzelfällen noch entscheide.
Die Diskussion über die kommunikative Spannung für ein Gericht, das in erster Linie durch seine Entscheidungen spricht, das in den vergangenen Monaten in Ermangelung von Entscheidungen immer mal wieder Botschaften auf anderem Weg absetzte, hätte allein - das zeigte die lebhafte Beteiligung aus dem Publikum - einen Themenblock der Tagung füllen können.
Chefredakteur: "Anwaltsschreiben gar nicht so unwillkommen"
Angekündigt war auch ein Gespräch unter dem Titel "Vierte Gewalt unter Druck " – es sollte darum gehen, wie rechtlich versucht wird, auf Redaktionen Druck auszuüben. Der Bühnengast Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke Zentralredaktion, zeigte sich für sein Haus aber ziemlich entspannt.
Anwaltsschreiben an die Redaktionen kämen selten vor, an Gerichtsstreitigkeiten könne er sich gar nicht erinnern. Wichtig sei, in der Redaktion sofort zu reagieren und Vorwürfe gegen die eigene Arbeit schnell zu prüfen, so Quoos. "Manche Anwaltsschreiben sind gar nicht unwillkommen, sie können für selbstbewusste Redaktionen auch Anlass sein, eine Geschichte erst recht zu verfolgen."
Quoos, der natürlich nicht gerade für kleine Redaktionen mit spärlichem Etat für Rechtsstreitigkeiten sprechen konnte, empfahl, bei heiklen Recherchen am besten von Anfang an die (Haus-)Juristinnen und -juristen miteinzubinden. "Die sind leidenschaftlicher engagiert, wenn sie schon frühzeitig eingebunden wurden."
Krisenkommunikation in Insolvenzverfahren
Über die Kommunikation in dramatischen Krisen konnte Insolvenzverwalter und Rechtsanwalt Dr. Rainer Eckert im Gespräch mit Veranstalter Martin Wohlrabe berichten. Stellen Sie sich vor, sie müssen eine Krankenhauszusammenlegung begleiten, die eigentlich vor allem eine Krankenhausschließung ist. Das Krankenhaus, das weitergeführt werden soll, brennt ab, dann erfahren Sie, dass an dem Krankenhaus der Serienmörder Niels Högel als Pfleger Hunderte Morde begangen haben soll und bei Ihrem ersten Termin vor Ort entert der Betriebsrat die Bühne. Da heißt es: Ruhig bleiben, so Eckert.
Wichtig sei, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen klaren Zeitplan an die Hand zu geben und die Erwartungen von Anfang an realistisch halten, erklärte Eckert. Eine besondere Herausforderung in seinem Berufsfeld sei es, juristisch komplexe Vorgänge zu vereinfachen und verständlich zu machen. Seiner Beobachtung nach hätten Medienvertreter eher Interesse an einer negativen Nachricht. Als Insolvenzverwalter habe er dagegen ein Interesse daran, positive Nachrichten in so einem Krisenfall kommunizieren. Eckert kritisierte, dass alles, was man brauche, um in diesem Beruf gut zu bestehen, in der juristischen Ausbildung zu kurz komme.
Komplexe Verfahren für Journalistinnen, Anwälte und die Justiz
Neben der Krisenkommunikation in hochdramatischen Krankenhausinsolvenzen ging es auch um die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in hochkomplexen Verfahren. Die Journalistin Karin Matussek von Bloomberg News berichtete, wie sie 2012 zum ersten Mal von Cum-Ex in einer Branchenmeldung las, Schritt für Schritt die Tragweite abzusehen begann und sich akribisch in die Details des komplexen Verfahrens einarbeitete. Diesen Sommer entschied der BGH dann zum ersten Mal, dass die Cum-Ex-Deals Steuerhinterziehung waren.
Von der Arbeit als Rechtsanwalt in einem hochkomplexen Verfahren wie Wirecard trug Wirtschaftsstrafrechtler Alfred Dierlamm vor, der die Bühne nutzte, um den Einfluss von Medien und auch dem Untersuchungsausschuss des Bundestags auf das laufende Strafverfahren zu kritisieren. Dierlamm vertritt den Ex-Wirecard-Manager Markus Braun. Gerade am Vortag hatte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zu Wirecard übrigens eine für die Branche wichtige Entscheidung getroffen: Die Managerhaftpflichtversicherung umfasst bei kritischer Medienberichterstattung und bei drohendem großen Reputationsschaden auch die Deckung für PR-Kosten. Dazu zähle auch die Beauftragung einer PR-Agentur sowie presserechtlich spezialisierter Rechtsanwälte.
Eine weitere Dimension von Rechtskommunikation brachte Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung ein. Die Gerichtsreporterin berichtete von ihren Erfahrungen aus großen Prozessen und unterstrich ihre Kritik an der Justiz zu den Arbeitsbedingungen für Gerichtsreporterinnen und -reportern in Zeiten der Corona-Pandemie. Windhundprinzip oder Lostrommel, im Saal nur Stift und Papier, Ton statt Bildübertragung in den Nebenraum: Nicht selten falle es Gerichten schwer, mit dem Andrang von Medienvertretern umzugehen. Öffentlichkeit werde leider noch zu häufig von den Gerichtsverwaltungen als diffuse Bedrohung angesehen, die den geordneten Prozessablauf gefährden könnte, so Ramelsberger. Auch vermisst sie einen Austausch zwischen Pressestellen und Rechtsjournalisten zu diesem Thema.
Vielleicht wäre ein Rechtskommunikationsgipfel auch ein Format für die Justiz.
Rechtskommunikation: . In: Legal Tribune Online, 19.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46698 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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