Von der "Reichsbürger-Razzia" konnten viele Medien "perfekte" Bilder liefern, denn offenbar waren sie durch staatliche Stellen vorab über Ermittlungsschritte informiert. Für Christian Conrad ist so ein Vorgehen klar rechtswidrig.
Es ist Razzienzeit in Deutschland. Erst bei den mutmaßlichen Reichsbürgern, nun bundesweite Razzien bei Klimaaktivisten der "Letzten Generation" und dem Al-Zein-Clan. Während Bildaufnahmen von der Razzia bei den Umweltaktivisten nicht bekannt sind, waren Journalisten bei den anderen beiden Razzien live dabei. Besonders bei der sogenannten "Reichsbürgerrazzia" war auffällig, wie schnell umfassend auch in Bild und Ton berichtet wurde.
Wer wusste wann was – und woher? Fest steht: Ungewöhnlich viele Personen (von Journalisten über Politiker bis hin zu – angeblich – Beschuldigten [!] selbst) hatten vorab Kenntnis von den Razzien des Generalbundesanwalts vom 7.12.2022. Journalisten twitterten am Vorabend geheimnisvoll von anstehenden Exklusivmeldungen (etwa "Mir schwant, morgen wird es viele Exklusivmeldungen geben"); es soll zudem eine "Sperrfrist" für Pressemeldungen bis 07:30 Uhr gegeben haben.
Kurz nach der Razzia gab es dann auch erste umfangreiche Artikel zum Thema, die auf intensive Recherche und Arbeit am Text weit vor dem Tag der Razzia hindeuten. Der bekannte Medienjournalist Stefan Niggemeier fasst das Geschehen prägnant wie folgt zusammen: "Stell dir vor, es ist Razzia und alle Medien sind schon da".
Nun ist es grundsätzlich die Aufgabe der Presse, informiert zu sein. Es ist prinzipiell auch nicht zu beanstanden, dass zwischen Journalisten und Staatsdienern "gute Kommunikationskanäle" bestehen. Schließlich will die Presse als "Watchdog" auch und gerade staatliches Handeln beobachten und bewerten. Aber auch diese Medaille hat zwei Seiten: Neben dem Ermittlungszweck sind vor allem die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gefährdet. Live-Bilder von Durchsuchungen oder Festnahmen bleiben im medialen Gedächtnis – wir erinnern uns etwa entsprechende Fotos eines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post oder eines bekannten Fußballspielers.
Hätte zu den aktuellen Maßnahmen ein staatsanwaltlicher Amtsträger die Presse vorab über das laufende Ermittlungsverfahren informiert, wäre dies gleich aus mehreren Gründen unzulässig.
Verletzung von Dienstgeheimnissen ist eine Straftat
Eine solche Vorab-Information kann zunächst mit dem Strafrecht kollidieren, konkret mit dem Straftatbestand der "Verletzung des Dienstgeheimnisses" (§ 353b Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB)). Danach wird ein Amtsträger mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe bestraft, der ein Geheimnis, das ihm anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet.
Das OLG Dresden hatte im September 2007 über einen verwandten Fall zu richten (Beschl. v. 11.09.2007, Az. 2 Ws 163/07). Dem angeklagten Staatsanwalt wurde u.a. vorgeworfen, am Vorabend einer Durchsuchung einem Journalisten telefonisch mitgeteilt zu haben, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den später Durchsuchten führte, und zugleich die Durchsuchung, deren Ort und Termin mitgeteilt zu haben.
Eine Verurteilung des Staatsanwalts wegen § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB scheiterte hier lediglich an den Tücken der Norm (bzw. der nicht unstreitigen Auslegung derselben durch das Gericht): Der "Durchsuchungstermin” und die "Existenz eines Ermittlungsverfahrens" seien zwar tatbestandlich relevante "Geheimnisse" – als Sachbearbeiter des Verfahrens waren sie ihm aber weder "anvertraut worden" noch "sonst bekanntgeworden", da er sie selbst bestimmt hatte.
Für eine Strafbarkeit wegen Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB) fehlte es im Verfahren am Strafantrag des Durchsuchten nach § 205 StGB; für eine Verurteilung nach § 353d Nr. 3 StGB dürfte es zudem in den hier relevanten Fällen generell an der erforderlichen "öffentlichen Mitteilung" mangeln.
Straflosigkeit für den Sachbearbeiter, nicht aber für andere Amtsträger
Der Staatsanwalt ging also mit einem Freispruch nach Hause. "Glück gehabt", kann man sagen – denn nach der Rechtsprechung des BGH bedarf es hier im Rahmen der Strafzumessung "grundsätzlich" der "Verhängung einer Freiheitsstrafe", da die Geheimhaltung von hier relevanten Informationen ein "besonders wichtiges öffentliches Interesse" i.S.d. § 353b StGB darstellt (BGH, Beschl. v. 16.04.2008, Az. 1 StR 83/08). Hätte der ermittlungsführende Staatsanwalt hingegen einem Kollegen von den geplanten Maßnahmen berichtet und dieser hätte dann die Presse (über das dann "fremde" Geheimnis) informiert, wäre die Strafbarkeit des Kollegen zu bejahen gewesen. Diese vor dem Hintergrund der Gefährdung des Ermittlungserfolgs wenig einleuchtende Differenzierung wird daher zurecht kritisiert (vgl. Schwürzer/Krewer, NStZ 2008, 462).
Übertragen auf den Fall der "Reichsbürgerrazzia" bedeutet die Entscheidung des OLG Dresden: Die für die Terminfestlegung der Razzia verantwortlichen Amtsträger hätten sich nicht strafbar gemacht, wenn sie den Termin an die Presse gegeben haben sollten. Doch alle Amtsträger, auch Polizisten, denen der Termin nur mitgeteilt wurde oder die von diesem sonstwie erfahren haben, haben sich nach § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht, wenn sie vorab die Medien informierten.
Disziplinarrechtliche Maßnahmen bei Verstoß gegen Verschwiegensheitspflicht
Eine Vorab-Information kollidiert auch mit der Amtspflicht zur Verschwiegenheit. Nach § 67 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) haben Beamte des Bundes "über die ihnen bei oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren". Diese Pflicht gilt auch für die Beamten der Länder (§ 37 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)) sowie für Richter (§ 46 Deutsches Richtergesetz (DRiG) und dient dem Schutz öffentlicher Interessen. Hier drohen also disziplinarrechtliche Maßnahmen wie etwa Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung oder Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. § 5 Bundesdisziplinargesetz (BDG)).
Eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn im Hinblick auf diese Information presserechtliche Auskunftsansprüche bestehen. Diese finden sich vor allem in den jeweiligen Landespressegesetzen, wie etwa in § 4 Abs. 1 Landespressegesetz Nordrhein-Westfalen (LPresseG NRW). Als Gegenstück zu diesen Ansprüchen erkennt die Rechtsprechung zugleich daraus resultierende staatliche Informationsbefugnisse an. Liegen diese vor – ist eine (nachträgliche) Auskunft des Staatsanwalts also presserechtlich zulässig – scheidet folglich auch eine Amtspflichtverletzung aus; die Auskunft ist dann nicht "unbefugt".
Ein solcher Informationsanspruch der Presse besteht indes nach dem Gesetz ausdrücklich nicht, wenn dadurch "die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens "vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte" (so § 4 Abs. 2 Nr. 1 LPresseG NRW). Hierunter ist gerade auch der Fall zu fassen, dass gegenüber dem Beschuldigten noch gar nicht eröffnet wurde, dass gegen ihn ermittelt wird. Insbesondere erhöht sich durch die Vorabinfo einer Durchsuchung naturgemäß die Gefahr, dass auch der Betroffene hiervon Kenntnis erlangt. Im konkreten Fall soll es hierzu auch gekommen sein. In einem solchen Fall droht die Gefahr, dass sich Beschuldigte Maßnahmen entziehen oder gar etwaige Beweismittel vernichten. Eine Vorab-Information kann also nicht mit dem presserechtlichen Auskunftsanspruch gerechtfertigt werden.
Regeln für Staatsanwälte verbieten Bloßstellung
Die hier relevante Vorab-Information verstößt aber nicht nur gegen das "Ob", sondern auch gegen die zusätzlichen Vorschriften zum "Wie" staatsanwaltschaftlicher Medieninformationen. Weitere Rahmenbedingungen finden sich nämlich in den auf § 146 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) basierenden "Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren" (RiStBV).
In Nr. 23 Abs. 1 S. 1 RiStBV heißt es zwar: "Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit ist mit Presse, Hörfunk und Fernsehen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Aufgaben und ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zusammenzuarbeiten." In S. 2 heißt es aber unmittelbar einschränkend: "Diese Unterrichtung darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden." Und in den Sätzen 4 und 5 ist zu lesen: "Eine unnötige Bloßstellung dieser Person ist zu vermeiden. In Nr. 4a RiStBV heißt es zudem: "Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann."
Vorab-Information an die Medien, um ein möglichst großes Medienspektakel bei der Durchführung der Ermittlungsmaßnahme zu ermöglichen, lassen sich ohne weiteres unter eine "Gefährdung des Untersuchungszwecks" sowie eine "unnötige Bloßstellung" subsumieren. Sie sind daher auch hiernach nicht zulässig. Ein Durchstechen von Ermittlungsergebnissen an die Presse vor der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen, um mittels "perp walk" Ermittlungsergebnisse präsentieren und staatliche Stärke demonstrieren zu können, entspricht dem Gebot, Bloßstellungen so gut wie möglich zu verhindern, offensichtlich nicht.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung gelten auch für Staatsanwaltschaften
Selbstverständlich sind auch die Rechte der Betroffenen zu berücksichtigen. Denn eine Vorab-Information der Staatsanwaltschaft an die Presse über strafrechtlich relevante Belange betrifft deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. In der Rechtsprechung ist insofern geklärt, dass die sog. Grundsätze der Verdachtsberichterstattung, die zunächst (nur) für die Berichte der Presse über die Ermittlungsmaßnahmen entwickelt wurden, auch vom Staat selbst bei Informationen an die Presse zu berücksichtigen sind, zumal der Staat unmittelbar an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie an die Unschuldsvermutung gebunden ist. Die Rechtsprechung warnt hier vor einer möglichen Prangerwirkung und betont die Gefahr, dass Schäden eintreten können, die selbst bei einem späteren Freispruch nicht mehr beseitigt würden; der Staat habe daher in besonderer Weise die staatliche Objektivitätspflicht, die gerichtliche Neutralitätspflicht und das Sachlichkeitsgebot zu berücksichtigen.
Zu staatlichen Vorab-Informationen führte insofern das OLG Düsseldorf bereits 2005 (Urt. v. 27.04.2005, Az. I-15 U 98/03) aus, dass es dem Grundsatz des fairen Verfahrens widerspricht, wenn die Presse über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens eher informiert wird als der Beschuldigte selbst. "Denn der Beschuldigte, für den die Unschuldsvermutung gilt, wird dadurch zum Objekt des Verfahrens herabgewürdigt". Das OLG differenziert zudem, was die Informationsinteressen der Allgemeinheit angeht. In Bezug auf bereits durchgeführte Ermittlungsmaßnahmen könne ein öffentliches Informationsinteresse bestehen. Ein Bedürfnis der Öffentlichkeit über den geplanten Gang der Ermittlungen informiert zu werden, sei jedoch nicht gegeben, zumal hierdurch der Untersuchungserfolg gefährdet würde.
Im Ergebnis stellt es sich damit aus mehreren Gründen als rechtswidrig dar, Details zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen an Medien oder andere unbeteiligte Dritte weiterzugeben. Das Verhalten ist strafbar, zumindest wenn Staatsanwälte Termine verraten, die sie nicht selbst bestimmt haben (s.o.), es verletzt deren Dienstpflichten und oft auch die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten sowie deren Recht auf ein faires Verfahren.
Der Autor Dr. Christian Conrad ist Partner der auf Marken- und Medienrecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei HÖCKER Rechtsanwälte PartGmbB mit Sitz in Köln. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt sowohl im zivilrechtlichen als auch im öffentlich-rechtlichen Äußerungsrecht. Er ist Mitherausgeber des "Handbuchs Öffentlich-rechtliches Äußerungsrecht".
Vorab informierte Journalisten bei Razzien: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50482 (abgerufen am: 12.11.2024 )
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