Kommentar zu Drohneneinsätzen über Ramstein: Rechts­fi­schen im Jemen

von Dr. Patrick Heinemann

18.12.2024

Drohneneinsätze der USA über die Militärbasis in Ramstein müssen möglich sein, meint Patrick Heinemann. Die Bundesregierung darf nicht zur Kontrolle gezwungen werden, denn das würde die Menschen in Deutschland gefährden.

Können zwei Jemeniten aus dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz, GG) von der Bundesregierung verlangen, dass sie auf die USA einwirkt, bei Kampfdrohneneinsätzen über dem Jemen das Völkerrecht zu beachten, weil der Datenstrom, mit dem diese Drohnen gesteuert werden, über die Ramstein Air Base in der Pfalz geleitet wird?

Dafür muss man jedenfalls um einige Ecken denken können. Dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hierüber am 17. Dezember mündlich verhandelte, deuteten Kenner des Gerichts mit Blick auf die Seltenheit einer solchen Verhandlung allerdings als Indiz, dass man in Karlsruhe das Anliegen der Beschwerdeführer durchaus ernst nahm. Ob das nach einem langen Prozesstag immer noch der Fall ist, wird sich dagegen erst in ein paar Monaten weisen, wenn das Urteil verkündet wird. Der Verlauf der Verhandlung könnte die Bundesregierung, die von Sebastian Graf Kielmansegg (Universität Kiel) vertreten wurde, vielleicht hoffnungsvoll stimmen.

Grundrechtsbindung im Ausland ist denkbar

Schon gleich zu Beginn erläuterte die Vizepräsidentin des BVerfG und Vorsitzende des Zweiten Senats Doris König die grundrechtsdogmatische Verortung des Streites: Gibt es grundsätzlich und – wenn ja unter welchen Voraussetzungen ¬ eine Schutzpflicht der Bundesrepublik zugunsten im Ausland lebender Ausländer, auf einen Drittstaat zur Einhaltung des Völkerrechts einzuwirken? Diese Frage ist bislang nicht verfassungsgerichtlich entschieden.

Dass das GG völkerrechtsfreundlich ist, ist in der Karlsruher Rechtsprechung ein altbekannter Topos. Demnach hat die Bundesrepublik das Völkerrecht nicht nur zu achten, sondern im eigenen Verantwortungsbereich auch zur Geltung zu bringen. Seit dem Urteil zur BND-Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung aus dem Jahr 2020 hält das BVerfG zudem eine Grundrechtsbindung auch im Ausland für denkbar – das allerdings bislang in erster Linie in der Dimension, dass Eingriffe deutscher Hoheitsgewalt abgewehrt werden können. Und im Klimaschutzbeschluss des Jahres 2021 wiederum hat das Gericht eine grundrechtliche Schutzpflicht deutscher Staatsgewalt im Ausland zwar für grundsätzlich denkbar gehalten, die Frage jedoch letztlich als entscheidungsirrelevant offengelassen.

Wo sind die Beschwerdeführer?

Entgegen der gängigen Vorstellung, dass die gerichtliche Entscheidung bereits weitgehend vor der Verhandlung feststeht, könnte der Termin dem Zweiten Senat durchaus einigen zusätzlichen Erkenntnisgewinn vermittelt haben. Denn das Anliegen der Beschwerdeführer erwies sich an einigen zentralen Stellen sowohl in seiner tatsächlichen als auch in seiner rechtlichen Substanz als eher dünn. So zeigte die mündliche Verhandlung auch, dass der maßgebliche Sachverhalt bereits schwer zu greifen war. Die beiden rechtsschutzsuchenden Jemeniten ließen sich von den Rechtsanwälten Sönke Hilbrans und Andreas Schüller vertreten, die von Thilo Marauhn (Universität Gießen) flankiert und von der NGO "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR) unterstützt wurden.

In Karlsruhe selbst waren die Beschwerdeführer jedoch nicht anwesend, über ihren Verbleib herrschte denn auch gleich zu Beginn keine wirklich zufriedenstellende Klarheit. Einer der beiden soll zwischenzeitlich im Ausland studiert haben und sich nun allerdings wieder zumindest gelegentlich im Jemen aufhalten, so seine Vertreter. Auf eingefleischte Prozessualisten konnte es da etwas irritierend wirken, dass die Richterbank hierüber bei der Erörterung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde recht wohlwollend hinwegzusehen schien. Denn eine Verfassungsbeschwerde ist ein Instrument des Individualrechtsschutzes und kein völkerrechtliches Symposium. Die ganze Herleitung einer Schutzpflicht für die Beschwerdeführer soll doch schließlich auch materiellrechtlich auf der Lebensgefahr gründen, die von den US-Drohneneinsätzen im Jemen für die Beschwerdeführer ausgehen soll. Da ist es keine Nebensächlichkeit, ob und wie oft sich einer der Beschwerdeführer dort noch aufhält.

Fehlen von technischer und militärischer Expertise

Ebenfalls vermisst an diesem Tag wurde Expertise zu technischen Fragen des Datenstroms sowie der Steuerung der Drohnen, auch militärfachliche Expertise hatte das BVerfG nicht angefordert. So blieben die Juristen bei der Verhandlung unter sich. Auf Fragen zu Einsatzgrundsätzen konnte am ehesten Stefan Oeter (Universität Hamburg) Antwort geben, der neben Heike Krieger (Freie Universität Berlin) als "sachverständige Auskunftsperson" geladen war. 

Der Auftritt der beiden Völkerrechtslehrer am Nachmittag bildete einen Höhepunkt, brachten sie doch weitgehende Klarheit, dass zwar die von der US-Regierung bemühte Völkerrechtsfigur eines "Global War on Terror" selbst im angloamerikanischen Raum kaum anerkannt ist, es sich bei dem amerikanischen Vorgehen im Jemen jedoch um etwas völlig anderes handelt. Dort gehe es nämlich um einen nicht internationalen bewaffneten Konflikt, bei dem US-Kräfte im Einverständnis mit der international anerkannten Regierung des Jemen gegen nichtstaatliche Gewaltakteure einschreiten. 

Die Anhörung der Sachverständigen zeigte zudem, dass Kampfdrohneneinsätze nicht per se problematischer sind als der Einsatz anderer Fernwaffen, insbesondere mit Blick auf das völkerrechtliche Gebot, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden. Vielmehr erlauben Drohnen, die zugleich als wichtiges Aufklärungsmittel in Echtzeit dienen, oft einen sehr viel präziseren Einsatz, als das bei herkömmlichen Waffensystemen der Fall ist. Vielleicht war es auch das in den letzten Jahren wohl allgemein gesteigerte Bewusstsein für die hässliche Realität kriegerischer Auseinandersetzungen, dass es an diesem Tag zuließ, offen auszusprechen, was in Fachkreisen seit Jahren anerkannt ist: Targeted Killings sind immer noch besser als Flächenbombardements.

Verfahren mit weitreichenden Folgen?

Die Bundesregierung, für die zu Beginn der Verhandlung auch der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Hitschler aus dem Verteidigungsministerium auftrat, konnte zudem einige gewichtige Folgenerwägungen ins Feld führen. Sie verwies auf Art. 24 Abs. 2 GG, der Systemen kollektiver Sicherheit wie der NATO und der EU Verfassungsrang zuweist. Die Vorstellung, dass die Bundesregierung nun das Handeln ihrer Verbündeten, allen voran der größten und wichtigsten Schutzmacht USA, auf Völkerrechtskonformität überprüfen solle, untergrabe eine gedeihliche internationale Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik, so auch Graf Kielmansegg.

Zudem dürfen aus Sicht der Bundesregierung auch prozessuale Ausweitungen über den konkreten Fall hinaus nicht außer Acht bleiben: Schon jetzt strebt die hinter den Beschwerdeführern stehende NGO vor dem Verwaltungsgericht Berlin eine Kontrolle der Kriegswaffenexporte insbesondere nach Israel an, über die nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GG die Bundesregierung entscheidet. Fachkreise befürchten bereits, dass Russland solche Ansätze ¬im Sinne eines im angloamerikanischen Raum längst als Lawfare bekannten Konzepts ¬ für sich nutzen könnte, um etwa Waffenlieferungen in die Ukraine zu behindern oder gar im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen mit der NATO eine verwaltungsgerichtliche Grundrechtskontrolle der Bundeswehr oder – über den Umweg von Schutzpflichten – der Verbündeten vor deutschen Verwaltungsgerichten durchzusetzen. 

Viel spricht daher für die Ansicht, die Graf Kielmansegg gleich zu Beginn der Karlsruher Verhandlung einnahm: Nur ein kategorisches Nein wird eine Globalzuständigkeit deutscher Gerichte zur völkerrechtlichen Inzidentkontrolle der Handlungen souveräner Drittstaaten im Ausland, eine Überforderung der deutschen Justiz sowie ihren Missbrauch durch feindliche Mächte auf Dauer ausschließen können. Andernfalls ist zu befürchten, dass ein Aggressor dereinst die Grundrechte zum Einfallstor für seinen Kampf gegen diejenigen nimmt, die das Grundgesetz in erster Linie schützen soll: Die hier in Freiheit lebenden Menschen.

Zitiervorschlag

Kommentar zu Drohneneinsätzen über Ramstein: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56142 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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