Dopingbekämpfung jenseits des Rechtsstaats: Der Ange­klagte darf nicht schweigen

von Andreas Hennecke

10.12.2012

Der Radsport ist schwer angeschlagen. In der vergangenen Woche rief die Interessengruppe "Change Cycling Now" zu umfassenden Reformen auf. Unabhängige Dopingkontrollen und ein Kulturwandel sollen helfen. Doch den schiedsgerichtlichen Dopingprozessen mangelt es vor allem an Einem: rechtsstaatlichen Grundsätzen, meint Andreas Hennecke.

Vergangene Woche traf sich die Initiative "Change Cycling Now" in London, um den Radsport zu ändern. Die Gruppe schlägt vor, eine unabhängige Wahrheitskommission sowie eine Untersuchungskommission zur Arbeit des Internationalen Radsportverbandes UCI einzurichten, unabhängige Dopingkontrollen zu organisieren und für einen Kulturwandel innerhalb der UCI zu sorgen.

Wie sehr sportrechtliche Schiedsverfahren rechtsstaatliche Mindeststandards vermissen lassen, greift die Initiative dabei leider gar nicht erst auf. Geradezu exemplarisch für den Mangel an Fairness der Anti-Doping Behörden ist der Fall Lance Armstrong.

Beweisniveau jenseits rechtsstaatlicher Standards

Die veröffentlichte Meinung ist sich einig, dass der 1.000-seitige Bericht der amerikanischen Anti-Doping Agentur (USADA) dem Radsportler jahrelanges systematisches Doping nachweist. Dabei gibt es erhebliche Zweifel an der vermeintlichen Schuld Armstrongs. Das Niveau der Beweisführung in Doping-Fällen ist unterirdisch. Die Verfahren erfüllen in keiner Weise rechtsstaatliche Mindestanforderungen, wie sie die Gerichtsordnungen in abendländischer Rechtstradition kennen.

Armstrong ist in über 500 Doping-Tests in allen Phasen seiner aktiven Karriere nicht ein einziges Mal positiv getestet worden. Direkt konnte ihm ein Vergehen nie nachgewiesen werden. Daher sah sich die USADA gezwungen, einen mittelbaren Beweis anzutreten, indem sie versuchte, die Vorgänge aus über zehn Jahren mit beeidigten Aussagen vermeintlicher Beteiligter sowie verschiedensten Unterlagen zu rekonstruieren.

Um diesen hochumstrittenen Beweis anzutreten, wollte die USADA hinderliche Vorschriften ihres eigenen Regelwerks aus dem Weg räumen. Um das Verfahren gegen den Radsportler auf einen 14 Jahre alten Bluttest stützen zu können, versuchte die Behörde über die Welt-Anti-Doping-Agentur die Frist, innerhalb der Blutergebnisse verwertet werden dürfen, von acht auf eben 14 Jahre zu verlängern. Eine Änderung, die rückwirkend angewandt werden sollte – undenkbar in einem rechtsstaatlichen Justizsystem. Letztlich umging die USADA die Vorschrift jedoch schlicht, indem sie – juristisch wenig überzeugend – eine Aussetzung des Fristenlaufs durch ein vermeintlich vertuschende Verhalten Armstrongs annahm.

Verteidiger dürfen Belastungszeugen nicht befragen

Im Schiedsverfahren vor einem Sportgericht hat der Angeklagte eine äußerst ungünstige Position. Die Verteidigung kann die durchaus fehleranfälligen Laborergebnisse der USADA nach deren eigenen Regularien nicht angreifen. Nicht einmal das Laborpersonal darf zum Zustandekommen der Ergebnisse befragt werden.

Die Protokolle der vereidigten Aussagen der Belastungszeugen, oftmals selbst Doping-Sünder, können in den Prozess eingeführt werden, ohne dass auch die Verteidiger die Zeugen befragen können. Ein massiver Verstoß gegen die auch im amerikanischen Rechtssystem verankerte "Hörensagen"-Regel.

Ein Schweigerecht steht dem Angeklagten nicht zu. Falls der Athlet sich dazu entscheidet, gleich einem Angeklagten in einem Strafprozess die Aussage zu verweigern, dürfen die Richter daraus negative Rückschlüsse ziehen.

Strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Armstrong wurde eingestellt

Die Anti-Doping Behörde muss ihre Anschuldigungen nicht mit einer Durchschlagskraft beweisen, die "jeden vernünftigen Zweifel ausschließt" – wie es in einem Strafverfahren gefordert wäre. Für eine Verurteilung genügt, dass es nur ein wenig wahrscheinlicher ist, dass der Sportler gedopt hat, als dass er es nicht getan hat.

Es verwundert daher nicht, dass ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Los Angeles gegen Armstrong im Februar 2012 eingestellt wurde. Mit rechtsstaatlichen Mitteln konnte dem Radfahrer ein Verstoß gegen die Doping-Vorschriften nicht nachgewiesen werden.

Es ist erstaunlich, dass diese unfairen Verfahrensregeln bisher kaum diskutiert worden sind. Armstrongs Karriere haben die Vorwürfe immerhin zu zerstören vermocht. Der Sportler verlor nicht nur seine Titel, sondern auch seine Sponsoren. Schadenersatzforderungen können noch folgen. Ganz zu schweigen von der öffentlichen Wirkung des Sturzes eines solchen gesellschaftlichen Vorbildes.

Die Vorschläge der Initiative "Change Cycling Now" mögen daher sicher dazu beitragen, dem Radsport zu neuem Ansehen zu verhelfen. Sie greifen aber zu kurz. Wer zur Reform aufruft, sollte das bisherige Verfahren nicht nur kritisch hinterfragen, sondern auch an rechtsstaatliche Mindeststandards anpassen. Die deutschen Sportverbände könnten dabei eine Vorreiterrolle einnehmen und ein Umdenken anregen, um bei allem notwendigen Verfolgungsdruck eine faire Behandlung der Spitzenathleten zu gewährleisten.

Der Autor Andreas Hennecke ist Rechtsanwalt und Berater für prozessbegleitende PR bei der Berliner Agentur mfm -menschen für medien, die neben Ministerien, Fraktionen und einzelnen Politikern auch Rechtsanwaltskanzleien, Unternehmen und Verbände berät. Er ist seit vielen Jahren auch im Bereich Wirtschaftsstrafrecht, Wirtschafts- und Handelsrecht sowie Sportrecht tätig.

Zitiervorschlag

Dopingbekämpfung jenseits des Rechtsstaats: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7745 (abgerufen am: 04.12.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen