Szene-Anwälte, Reichsbürger- und Rechtspopulisten: Wenn Hitler im Gerichts­saal beschworen wird

Gastbeitrag von Joachim Wagner

06.09.2022

Auch in der Anwaltschaft findet sich rechtsextremistisches Gedankengut. Das zeigt sich in den Gerichtssälen der Republik, aber auch andernorts. Joachim Wagner stellt in Teil 1 seines Beitrages Kategorien radikal rechter Rechtsanwälte vor. 

Letzter Verhandlungstag im Prozess gegen die Rechtsterroristin Susanne G. wegen Vorbereitung von Brandanschlägen vor dem Oberlandesgericht (OLG) München im Sommer 2021: In seinem Plädoyer lässt Verteidiger Wolfram Nahrath die Maske fallen und offenbart, worum es ihm in der Verteidigung auch ging. 

Er beruft sich ausführlich auf Adolf Hitler und Joseph Goebbels, die erklärt hätten, dass die nationalsozialistische Partei "jede Ungesetzlichkeit" untersage. "Jede Gewalttat gegen den Staat verbietet sie, bekämpft aufs Schärfste das politische Attentat", zitierte Nahrath Hitler. Damit wollte er anscheinend sagen, dass Anhänger Hitlers keine Anschläge auf Politiker planen, wie sie Susanne G. vorgeworfen wurden. 

Ins Verteidigungskonzept Nahraths passte offenbar auch ein Satz von Goebbels: "Deutschland ist aus ehrlichstem Herzen bereit, am Frieden mitzuwirken." Die Zitate von Nazi-Größen waren kein Zufall: Nahrath war in seiner Jugend Vorsitzender der rechtsextremen Wiking-Jugend, bis diese verboten wurde. 

Nazisprüche vor Gericht ohne Konsequenzen

Die angeführten Ausschnitte aus einer Gerichtsreportage der Süddeutschen Zeitung verstören. Woher nimmt ein Anwalt die Chuzpe, sich in einem Schlussvortrag auf die Spitzen des Nazi-Regimes zu berufen? Vielleicht auch, weil er das bisher folgenlos tun konnte? 

Nahraths braune Provokationen werfen zwei Fragen auf: In welchem Umfang haben Rechtspopulismus und Rechtextremismus in der deutschen Anwaltschaft Fuß gefasst? Und wie haben die Rechtsanwaltskammern, denen die Berufsaufsicht obliegt, auf diese Herausforderungen bisher reagiert?

Bei radikal rechten Anwälten sind drei Gruppen zu unterscheiden: Szene-Anwälte mit rechtsextremistischem Hintergrund, Reichsbürger-Rechtsvertreter und rechtspopulistische Rechtsbeistände mit Verbindungen zur AfD, Pegida oder Querdenkern. 

Szene-Anwälte – Ideologisch auf Wellenlänge

Szene-Anwälte unterscheiden sich von anderen rechten Rechtsvertretern dadurch, dass sie in rechtsextremen Gruppen, Neonazi-Bands oder in Parteien wie "Die Rechte", "Der Dritte Weg" oder in der NPD sozialisiert wurden und dort entweder weiter aktiv sind oder bis heute Mandate aus dem Milieu übernehmen.

Bei der Vernehmung von Zeugen, Beweisanträgen und Plädoyers verfolgen Szene-Anwälte eine Doppelstrategie: Sie versuchen Täter als Opfer darzustellen und nutzen den Gerichtssaal als Bühne, um ihre Ideologie zu verbreiten, etwa den Zweiten Weltkrieg als Verteidigungskrieg umzudeuten oder den Nationalsozialismus als friedfertig zu verfälschen.

Martin Kohlmann, picture alliance/EPA-EFE | JENS SCHLUETERZwar sind viele Szene-Anwälte einschlägig bekannt

, doch wie weit sich der Kreis spannt, weiß niemand. Einige Beispiele: Zu den bekanntesten Szene-Anwälten gehören der erwähnte Rechtsbeistand Nahrath und der Chemnitzer Rechtsvertreter Martin Kohlmann. Zu ihnen wird auch der Cottbusser Verteidiger Olaf Klemke gerechnet. Er hat Mitglieder der "Skinheads Sächsische Schweiz" und der "Blood & Honour Division Deutschland" beraten. Im NSU-Verfahren sowie in den Prozessen um den Angriff einer Neonazi-Gruppe auf eine Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt ist er als Strafverteidiger aufgetreten. 

Nationalsozialistische Sprache und Vergleiche

Klemke ist in der Neonazi-Szene beliebt, auch wenn er sich bisher nicht öffentlich zu ihr bekannt hat. Nach Recherchen von MDR exakt sollen Klemke und der Hausanwalt der hessischen NPD, Dirk Waldschmidt, mindestens zweimal in rechtsextremen Szene-Jargon miteinander gesprochen haben. In einem von Ermittlern aufgezeichneten Gespräch aus dem Dezember 2020 soll sich der Szene-Anwalt Klemke mit den Worten "Klemke, Führerhauptquartier!" gemeldet haben. 

Waldschmidt, der wegen einer mutmaßlichen Beteiligung an einem rechtsextremen Gothaer Drogenhändlerring seit vielen Monaten in Untersuchungshaft sitzt, der Prozess begann im Juli, soll damals mit den Worten "Heil Klemke" geantwortet haben. Im NSU-Verfahren hat Klemke den Vertreter der Bundesanwaltschaft, Jochen Weingarten, mit Hermann Göring verglichen. Der nehme für sich "frei nach Hermann Göring: Wer Jude ist, bestimmte ich", in Anspruch: "wer Nazi ist, bestimme ich". 

Für Szene-Anwälte ist typisch, dass sie ihre Sympathien für den Nationalsozialismus nie direkt formulieren, sondern wenn indirekt, indem sie sich in Beweisanträgen oder Plädoyers auf Nazi-Größen und -Schriften beziehen, aus taktischen Gründen, aber auch rechtlichen, um sich nicht wegen Billigung, Leugnung oder Verharmlosen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen strafbar zu machen (§ 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB)).

Vorwurf des Schutzes von Rechtsextremen gegen Mandanteninteressen

Weder Klemke noch Waldschmidt wollten sich zu den aufgezeichneten Telefonaten gegenüber LTO äußern.

Dirk Waldschmidt, picture alliance/dpa | Frank MolterAnwalt Waldschmidt verteidigt immer wieder Neonazis, hat unter anderem im ersten Ballstädt-Prozess mitgewirkt. Er war einmal stellvertretender Vorsitzender der hessischen NPD und tritt anscheinend bedenkenlos bei der rechtsextremistischen, vom Verfassungsschutz beobachteten Partei "Der Dritte Weg" auf. 

Waldschmidt war zudem der erste Anwalt von Stephan Ernst, dem Mörder des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Ernst wechselte seine Strafverteidiger mehrfach. Im Mordprozess sagte Ernst aus, Waldschmidt habe ihm geraten, die ganze Schuld auf sich zu nehmen und den später Mitangeklagten Markus H. bewusst außen vor zu lassen. Im Gegenzug würde seine Familie geschützt. Waldschmidt bestritt dies.

"Streitkräfte in Nazi-Deutschland politisch unbelastet" 

Zu den prominenten Szene-Anwälten werden ferner die Anwälte Alexander Heinig, Steffen Hammer und Nicole Schneiders gezählt. Hammer und Schneiders haben 2018 eine Kanzlei gegründet. Heinig war viele Jahre Sänger der Rechtsrock-Band "Ultima Ratio". Verteidigt hat er unter anderem Mitglieder der "Identitären Bewegung" und rechter Gruppierungen wie der "Mühlacker Stallhaus Germania", der "Kameradschaft Karlsruhe" und des "Heidnischen Sturms Pforzheim".

Auch verteidigte er den Veranstaltungsleiter eines Naziaufmarsches in Göppingen, der Wehrmachtssprechchöre zugelassen hatte. Vor dem Amtsgericht (AG) Göppingen stellte Heinig die steile These auf, die Streitkräfte im Nazi-Deutschland seien politisch ähnlich unbelastet wie Reichspost und Reichsbahn.

"Deutschland den Deutschen"

Bevor Steffen Hammer Anwalt wurde, trat er als Sänger und Bassist der Skinhead-Band "Noie Werte" auf. In einem Lied grölte er "Deutschland den Deutschen". In einem anderen: "Doch es bleibt die Hoffnung, denn einmal kommt die Zeit. Dann wird unser schönes Land endlich von den Kanaken befreit." Mit Songs des "Noie Werte"-Albums "Kraft für Deutschland" unterlegte die Thüringer Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" ihr Hass durchtränktes Bekennervideo. Hammer hat unter anderem Karlsruher Neonazis vertreten, die die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" verbreitet hatten, sowie einen NPD-Funktionär.

Steffen Hammer als Sänger von "Noie Werte", Foto Noie WerteSchon als Schülerin und Studentin hat Nicole Schneiders mit rechtem Gedankengut sympathisiert, unter anderem in der "Kameradschaft Karlsruhe". Während des Studiums in Jena ist sie der NPD beigetreten, wo sie auch Ralf Wohlleben kennengelernt hat, den sie im NSU-Verfahren verteidigte. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, unter anderem, weil er dem braunen Terror-Trio eine Waffe besorgt hatte. Während des NSU-Verfahrens hatte Schneiders Bundesanwaltschaft, Gericht und Verfassungsschutz heftig attackiert und mit einer Konfliktverteidigung das Gericht mit Befangenheitsanträgen überzogen.

Zusammen mit dem ebenfalls als Szene-Anwalt bekannten Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens vertrat Schneiders zudem zuletzt Markus H., den Mitangeklagten im Lübcke-Mordprozess.

Szene-Anwälte brauchen finanziell auch andere Mandanten

Auffällig ist, dass Szene-Anwälte für sich ablehnen, als rechtsextrem etikettiert zu werden, sich aber grundsätzlich öffentlich nicht von nationalsozialistischem Gedankengut distanzieren. Klemke will kein "Neonazi-Anwalt" sein: "Mit dem Begriff habe er Probleme, weil alles, was sich rechts von der CDU/CSU bewegt, gleich als Neonazi bezeichnet wird". Nahrath will mit dem Rechtsextremismus nichts zu tun haben: "Ich arbeite nicht mit oder nach einer Ideologie und weise damit zurück, dass ich eine rechtsextreme Ideologie, was immer das sein soll, habe."

Klemke, Schneiders, Nahrath, NSU-Prozess, picture alliance | Sachelle BabbarHinter diesen abwiegelnden Einlassungen steckt System. Die meisten Szene-Anwälte sind finanziell nicht auf Rosen gebettet. Sie brauchen zum Überleben normale, unpolitische Mandate aus dem Strafrecht, Familien- oder Erbrecht. In den Internetauftritten von Szene-Anwälten finden sich daher nie Hinweise auf ihre ideologische Heimat. Ein typisches Beispiel: Die Anwälte Hammer und Schneiders geben als Schwerpunkte Strafrecht, Familienrecht, Verkehrsrecht und Internet- und Medienrecht an. Szene-Anwälte stellen sich im Internet als Feld-Wald-und-Wiesen-Anwälte dar und hoffen augenscheinlich, hinter gutbürgerlichen Fassaden ahnungslose Mandanten zu gewinnen.

Reichsbürger-Anwälte – dem Deutschen Reich verhaftet 

Nach dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Bundesamts für Verfassungsschutz sind Reichsbürger Gruppierungen und Einzelpersonen, die die "Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung bestehend definieren" und für die "deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen". Die Motive und Begründungen für diese Haltung variieren: "Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht".

Reichsbürgerdemo, picture alliance / Jean MW/Geisler-FotopressIn dieser Szene gibt es eine Minigruppe von Reichsbürger-Anwälten. Sie leugnen die Existenz der neuen Bundesländer und die Geltungskraft des Grundgesetzes. Nach einer LTO-Umfrage bei Rechtsanwaltskammern, die in Teil 2 dieses Beitrages näher vorgestellt wird, hatte bisher vor allem die Rechtsanwaltskammer Sachsen mit Mitgliedern aus diesem Milieu zu kämpfen, auch mit Hilfe berufsrechtlicher Verfahren. Auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben Reichsbürger-Anwälte Kammern, Anwaltsgerichte und am Ende sogar den Bundesgerichtshof mit kruden rechten Thesen genervt. In allen Fällen vergeblich. 

Nach Ansicht des Verfassungsschutzes gehören "Reichsbürger" nicht zur rechtsextremistischen Bewegung. Für das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter bilden sie mit den sogenannten "Selbstverwaltern" eine Sondergruppe. Nur bei einer kleinen Gruppe von rund fünf Prozent soll es ideologische Überschneidungen zur rechtsextremistischen Szene geben (Verfassungsschutzbericht 2021, S. 103).

Rechtspopulistische Anwälte – sie streben selbst nach Macht 

Die größte Gruppe "rechter Anwälte" bilden rechtspopulistische Anwälte mit Verbindungen zur AfD, Pegida oder Querdenkern. Sie fallen öffentlich vor allem auf, wenn sie in die Politik streben und Mandate in Landtagen und im Bundestag erlangen wollen. Zwölf Prozent der AfD-Bundestagsabgeordneten sind Anwälte.

Matthias Helferich im Bundestag, picture alliance/dpa | Michael KappelerDa ihre völkisch-nationalen Ausfälle häufig mit der Berufsbezeichnung "Anwalt" verknüpft werden, werfen auch sie dunkle Schatten auf den Berufsstand. Matthias Helferich etwa ist Rechtsanwalt in Dortmund und im September 2021 über die AfD-Landesliste in NRW in den Bundestag gewählt worden. Dort ist er fraktionslos, weil er selbst der AfD-Bundestagsfraktion zu radikal erschien. Nach einer WDR-Recherche hatte er sich in einem Chat unter anderem als "freundliches Gesicht des ns (Nationalsozialismus)" und "demokratischer Freisler" bezeichnet. 

Der Kölner Rechtsanwalt und AfD-Bundestagsabgeordnete Fabian Jacobi will eine "Funktionsstörung der Demokratie beheben". Der Dresdner Rechtsanwalt und AfD-Europa-Abgeordnete Maximilian Krah wird im AfD-Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an vier Stellen erwähnt. Im Zuge der Flüchtlingskrise hatte er von "Umvolkung" und "orientalischer Landnahme gesprochen". 2019 verkündete er auf einem AfD-Landesparteitag: "Wir schießen uns den Weg frei. Es gibt nur uns – ansonsten geht alles den Bach runter." 

Wehrhafte Demokratie und radikal rechte Anwälte 

Wie reagieren die Rechtsanwaltskammern auf solche Auswüchse? Sind die Weltbilder von radikal rechten Szene-Anwälten, Reichsbürger-Rechtsvertretern und AfD-nahen Rechtsbeiständen mit der gesetzlichen Rolle von Rechtsanwälten als eines "Organs der Rechtspflege" vereinbar? Wie wird der Konflikt zwischen freier Advokatur und verfassungsfeindlicher Agitation eingeschätzt? Welche Sanktionsmöglichkeiten stehen zur Verfügung und werden sie von den Kammern genutzt? 

Um die Praxis der Aufsichtsorgane zu erkunden, hat LTO einen umfassenden Fragebogen an die Bundesrechtsanwaltskammer und die 28 Rechtsanwaltskammern in den Oberlandesgerichtsbezirken verschickt. Die Analyse lesen Sie in Teil 2 dieses Beitrags

*  Fasssung vom 13.09.22

Zitiervorschlag

Szene-Anwälte, Reichsbürger- und Rechtspopulisten: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49530 (abgerufen am: 13.11.2024 )

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