Auftakt zum Loveparade-Prozess: Zur Über­zeu­gung des Gerichts?

von Pia Lorenz

07.12.2017

3/3: Zur Überzeugung des Gerichts

Dabei sind alle Beteiligten bereits seit Jahren durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen. Die ursprünglich zuständige 5. Große Strafkammer des LG Duisburg lehnte im April 2016* die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Mit dem Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still hielt sie ein zentrales Beweismittel der Staatsanwaltschaft  für nicht verwertbar, den Anklagevorwurf für nicht hinreichend belegt.

Im April 2017 ließ das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf jedoch die Anklage zu und verwies das Verfahren an die 6., also eine andere Große Strafkammer desselben Gerichts. Im Beschwerdeverfahren ist das – anders als im Revisionsverfahren - keineswegs die Regel. 

Für das OLG "liegt es nahe, dass die unzureichende Dimensionierung und Ausgestaltung des Ein- und Ausgangssystems für die Besucher sowie die mangelnde Durchflusskapazität planerisch angelegt und für die Angeklagten vorhersehbar zu der Katastrophe geführt hätten".

Für eine Verurteilung aber braucht es mehr als diesen hinreichenden Tatverdacht, der für die Anklageerhebung ausreicht. Am Ende müsste die 6. Strafkammer davon überzeugt sein, dass die Fehler  genau der Menschen, die nun auf der Anklagebank sitzen, zu der Katastrophe führten. Dass sie es waren, deren Entscheidungen und Handlungen zum Tod der 21 Opfer geführt haben – und nicht zum Beispiel die Polizei, deren Planung und Verhalten am Tag der Katastrophe ebenfalls schwer in der Kritik stehen, von der aber niemand angeklagt ist. Es braucht, so der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dafür keine zwingende Gewissheit. Aber es braucht ein "nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht zulässt".

Von den Mitteln, den Grenzen und den Aufgaben des Strafrechts

Es sind nicht nur dem Beweis zugängliche Tatsachenfragen und umstrittene Gutachten, um die es ab Freitag gehen wird. Das LG Duisburg steht vor komplexen juristischen Fragen der Kausalität zwischen der Tathandlung und dem Tod von 21 sowie der Verletzung von mehr als 650 Menschen.

Die 5. Strafkammer des LG hielt eine Verurteilung in der Hauptsache nicht für wahrscheinlich genug, um auch nur das Hauptverfahren zu eröffnen. Das OLG kritisierte daran, die Kammer habe wesentliche Elemente des ermittelten Sachverhalts nicht ausreichend berücksichtigt und alternative Ursachen für die Katastrophe zwar als möglich benannt, nicht aber festgestellt. Andererseits habe das LG fehlerhaft wegen anderer Umstände einen vorwerfbaren Zusammenhang zwischen den mutmaßlichen Planungsfehlern der Angeklagten und dem Unglück abgelehnt. Dass vor dem und am Tattag auch andere als die Angeklagten Fehler gemacht hätten, räume den Tatverdacht bezüglich der Kausalität der ihnen zur Last gelegten Pflichtverletzungen nicht aus, meinte das OLG.

Für Verteidiger Gercke rührt das Mammutverfahren an Grundlagen des deutschen Kausalitäts- und Strafrechtssystems. "Das Verfahren ist faktisch nicht verhandelbar", das Strafrecht sei für solche Großunglücke nicht gemacht, so der Kölner Fachanwalt für Strafrecht im April gegenüber LTO. "Ist es nicht auch denkbar, dass eine Katastrophe eintritt, die viele Ursachen, aber keine strafrechtlich Schuldigen hat?", fragte damals Prof. Dr. Volker Römermann, dessen Kanzlei ebenfalls einen der Beschuldigten vertritt.

Selbst wenn man abseits dieser strukturellen Fragen ein Strafverfahren für das richtige Mittel zur Aufarbeitung einer solchen Katastrophe halten wollte, steht eines schon fest: Kaum ein Strafprozess erfüllt die Erwartungen, die die Nebenkläger in ihn setzen. Der Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber, sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur im Vorfeld des Loveparade-Verfahrens "Die sitzen nicht da, weil sie den Opfern eine Sachverhaltsaufklärung bieten wollen".

Das ist auch nicht die Aufgabe von Strafrichtern. Ein Strafverfahren soll klären, ob der Angeklagte persönlich im Sinne des Strafrechts schuldig ist. Entgegen der allgemeinen Annahme, dass am Ende des Verfahrens die Wahrheit ans Licht kommt und die Bösen bestraft werden, führt die dem Gericht zur Verfügung stehende, oft begrenzte Tatsachenbasis häufig dazu, dass am Schluss des Prozesses der Sachverhalt nicht so aufgeklärt werden kann wie erhofft. Ein Strafprozess kann versuchen, die Wahrheit zu rekonstruieren. An seinem Ende aber steht nie mehr als die Herstellung einer Wahrheit nach den Regeln des Strafprozessrechts.

Mit Materialien von dpa

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* Anm. d. Red: Datum korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 17:24 Uhr (pl)

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Auftakt zum Loveparade-Prozess: Zur Überzeugung des Gerichts? . In: Legal Tribune Online, 07.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25905/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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