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25029

Prozess gegen den Ex-Präsidenten der Ukraine: Briefe an Putin

von Dr. Eike Fesefeldt

14.10.2017

Viktor Yanukovych

(c) dpa

Der ehemalige Präsident der Ukraine Janukowitsch dürfte einer der meistgehassten Personen des Landes sein. Nun könnte ein Gericht in Kiew ihn wegen Hochverrats verurteilen. Auch wenn er die Ukraine seit drei Jahren nicht mehr betreten hat.

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Das Gericht hat eine Videoschalte per Skype angeboten

Noch vor Beginn des Kriegs in der Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim flüchtete der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch nach Russland, seit mehr als drei Jahren lebt er dort im politischen Asyl. Dennoch wird in Kiew demnächst voraussichtlich ein Urteil gegen den geschassten Präsidenten ergehen. Das Gericht verhandelt in Abwesenheit.

Die Anklage wirft Janukowitsch in erster Linie Hochverrat am ukrainischen Volk vor. Im Zentrum der Vorwürfe stehen Schreiben an die russische Führung, in welchen Janukowitsch den russischen Präsidenten Putin darum gebeten haben soll, Truppen in die Ukraine zu entsenden.

Nach der Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft hatten diese Schreiben zur Folge, dass Russland die Krim annektierte und den Krieg in der Ostukraine anzettelte. Janukowitsch hatte sich im Februar 2017 in einer öffentlichen Videobotschaft zu den Vorwürfen geäußert. Er bestritt die Existenz der Briefe zwar nicht, erklärte aber, er habe nicht darum gebeten, Truppen in die Ukraine zu schicken. Er habe nur versucht, sein Volk im Rahmen seiner Vollmachten zu schützen.

Zwei wichtige Zeugen starben kurz vor dem Prozess

Der Prozess stand schon vor seinem Beginn unter schlechten Vorzeichen. Zwei der wichtigsten Zeugen starben unter bislang ungeklärten Umständen. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin war im Februar 2017 in seinem New Yorker Büro zusammengebrochen. Der russische Politiker Denis Woronenkow wurde im März 2017 in der Kiewer Innenstadt von Unbekannten erschossen.  Tschurkin hatte im März 2014 die Schreiben von Janukowitsch an Putin dem UN-Weltsicherheitsrat in New York vorgelegt, Woronenkow hätte Interna aus Russland in das Verfahren einbringen sollen.

Es zeichnete sich auch schnell ab, dass Janukowitsch nicht persönlich zum Verfahren erscheinen und Russland eine Überstellung verweigern würde. Dennoch begann am 4. Mai 2017 das Hauptverfahren vor dem Obolonski-Bezirksgericht in Kiew.

Die Staatsanwaltschaft wollte damit verhindern, dass die Vorwürfe verjähren. Außerdem gebiete die Gerechtigkeit eine Verurteilung von Janukowitsch, selbst wenn diese in Abwesenheit des Angeklagten gefällt werden müsse.

Janukowitsch hätte sich per Skype zuschalten können

Janukowitschs Verteidiger forderten das Gericht auf, ein offizielles Rechtshilfeersuchen an Russland zu richten, damit der Angeklagte per Videoschaltung an dem Verfahren teilnehmen könne.
Die Staatsanwaltschaft lehnte dies jedoch ab, da sich der Angeklagte mit seinem Aufenthalt in Russland absichtlich einer Verurteilung entziehe. Auch das Gericht lehnte russische Rechtshilfe ab, bot Janukowitsch allerdings an, über eine private Videoübertragung (z.B. per Skype) an dem Prozess teilzunehmen.

Nachdem der Angeklagte weder persönlich erschien noch auf den Vorschlag einer Teilnahme per Videoübertragung einging, gab das Bezirksgericht in Kiew schließlich dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, in Abwesenheit zu verhandeln. Da Janukowitsch daraufhin seine eigenen Verteidiger zurückzog, bestellte das Gericht einen Pflichtverteidiger.

Einer der Wahlverteidiger von Janukowitsch hat laut eigener Aussage wegen der Verhandlung in absentia eine Beschwerde an den EGMR geschickt.

Verhandlung in Abwesenheit: Janukowitsch will vor den EGMR ziehen

2/2: In-Absentia Verfahren sind nur in Ausnahmen zulässig

Die Argumente der Verteidigung sind nicht völlig von der Hand zu weisen, wie ein Blick auf völker- und europarechtliche Vorgaben zeigt. Art. 14 Abs. 3 lit. d des International Pakt für bürgerliche und politische Rechte stellt als eine Mindestgarantie des strafrechtlichen Verfahrens klar, dass ein Angeklagter das Recht hat, "anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen". Art. 6 Abs. 3 lit. c der Europäischen Konvention der Menschenrechte wiederholt diese Aussage fast wörtlich.

Natürlich verleihen beide Normen dem Angeschuldigten kein absolutes Recht, in jedem Stadium der Hauptverhandlung anwesend zu sein. Dies ist auch aus dem deutschen Strafprozessrecht bekannt, wonach eine Verhandlung in Abwesenheit stattfinden kann, wenn der Angeklagte etwa wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungssaal entfernt wird.

So hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Colozza v. Italien oder Boroanca v. Rumänien ausgeführt, dass, solange Mindestvoraussetzungen eingehalten werden, ohne den Angeschuldigten verhandelt werden kann. Im Sinne des EGMR-Urteils Demebukiv v. Bulgarien muss es nachvollziehbare Gründe dafür geben, weshalb Abwesenheitsverfahren zulässig sind.

In Deutschland hätte eine Verhandlung gegen Janukowitsch nach geltendem Recht sicher nicht stattfinden können, da § 232 Strafprozessordnung (stopp) bei Ausbleiben eines Angeklagten eine Hauptverhandlung alleine bei minderschweren Vergehen zulässt, aber nicht bei einem derartigen Kapitaldelikt. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass der EGMR einen nachvollziehbaren Grund anerkennt. Fraglich ist schon, ob Janukowitsch nicht vielleicht auf seine Anwesenheit ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat oder ob er nicht durch seine anwesenden (Pflicht-)verteidiger ausreichend "anwesend" ist. Auch die Straßburger Richter stellen klar, dass sich ein Angeklagter nicht selbst zum Herr des Verfahrens aufschwingen und durch seine Nichtanwesenheit einen Prozess platzen lassen darf.

In der Ukraine wäre Janukowitschs Sicherheit nicht gewährleistet

Aber gäbe es nicht Möglichkeiten, den Eingriff in das Anwesenheits- und Verteidigungsrecht des Angeschuldigten schonender zu gestalten? 

Janukowitsch ist geflohen, nachdem Regierungstruppen auf dem Maidan mehr als hundert Anhänger der Pro-Europa-Bewegung erschossen hatten. Bis heute ist nicht geklärt, wer den finalen Befehl zum Schießen auf die – mehr oder weniger – friedlichen Protestteilnehmer gab; Janukowitsch bestreitet jede Beteiligung. Dennoch sehen viele Ukrainer ihn in der Verantwortung. Es ist realitätsfern, dass die Behörden einem der meistgehassten Menschen in Kiew einen sicheren Aufenthalt gewähren können.

Angesichts der für das Land übergeordnet wichtigen Vorwürfe und der Straferwartung für Janukowitsch wäre seine Teilnahme per Videoschaltung offensichtlich ein schonender Eingriff in seine Anwesenheitsrechte gewesen. Alleine Landesverrat wird in der Ukraine mit einer Gefängnisstrafe zwischen 10 und 15 Jahren geahndet.

Überzeugender wäre es, der Angeklagte könnte sich den Vorwürfen stellen

Dass das Bezirksgericht dem Antrag nicht stattgab, eine Videovernehmung nur mittels offizieller Rechtshilfe nach Russland zu ermöglichen, ist allerdings nachvollziehbar. Immerhin betrachtet die Ukraine die russische Föderation als Aggressor.

Man muss sich aber fragen, ob der tiefere Sinn des Strafverfahrens in diesem Prozess durch ein In-Absentia-Verfahren erreicht werden kann. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird Janukowitsch niemals durch Russland ausgeliefert, das Urteil – sollte es zu einer Verurteilung kommen - nicht vollstreckt und Einzelgerechtigkeit nicht hergestellt werden.

Darüber hinaus kommt dem Prozess dadurch, dass sich Janukowitsch weder in Person noch per Video verteidigt, kaum Symbolwert zu. Ein Strafprozess, in welchem sich der Angeklagte den gegen ihn erhobenen Vorwürfen persönlich stellt, seine Sicht der Dinge darstellt und am Ende möglicherweise überführt wird, erzeugt gerade erst eine dauernde Botschaft.

Natürlich ist der Prozess schlussendlich insoweit als deutlich politisch motiviert zu bewerten. Dennoch ist auch das Argument des Generalstaatsanwalts nicht von der Hand zu weisen. Der verteidigte die Anklageerhebung damit, dass er nicht in einem Land leben wolle, in dem Janukowitsch immer nur unter Verdacht stehe. Deshalb müssten Urteile her.

Dr. Eike Fesefeldt ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

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Prozess gegen den Ex-Präsidenten der Ukraine: Briefe an Putin . In: Legal Tribune Online, 14.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25029/ (abgerufen am: 17.08.2022 )

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