Unternehmen wie Private wehren sich zunehmend gegen - ihrer Ansicht nach unzutreffende – Einträge im Netz. Weil deren Urheber oft anonym bleiben, wenden sie sich an die Betreiber von Portalen oder Suchmaschinen. Deren Haftung für Löschung und Sperrung definiert die Rechtsprechung immer weiter – aber ist das auch gut so? Ein Bericht von Martin W. Huff.
Äußerungen im Internet sind, anders als in klassischen gedruckten Medien, dauerhaft vorhanden, leicht auffindbar, ohne Probleme leicht weiter zu verbreiten, vom Ursprungstext über Links und Frames leicht lösbar und durch Autocomplete-Verfahren auch zufällig auffindbar. Der Wunsch der Betroffenen, ob Bürger oder Unternehmen, falsche bzw. zu heftig kritisierende Beiträge aus dem Netz zu löschen bzw. zu sperren, erreicht eine ganz andere Dimension als in der Vergangenheit. Die Umsetzung dieser Ansprüche wird dadurch erschwert, dass die Urheber solcher Beiträge oft gar nicht bekannt, geschweige denn auffindbar sind.
Der Kölner Medienrechtler Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer wandte sich auf der 117. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit sehr deutlich gegen Entwicklungen, die dahin gingen, Intermediäre, also die Weiterleiter der angegriffenen Information, nahezu wie einen Täter anzusehen. Es müsse weiterhin klar sein, dass es bei der Inanspruchnahme etwa von Google in solchen Fällen nicht um eine Täter-, sondern um eine Verbreiterhaftung gehe.
Diese Form der Störerhaftung, gerichtet auf eine Unterlassung für die Zukunft ohne einen Anspruch auf Schadensersatz, dürfe nicht ausgeweitet werden. Denn auch die Provider hätten eine eigene Grundrechtsposition, in welche in diesen Fällen nicht eingegriffen werden dürfe.
Keine einseitige Lösung zugunsten des Datenschutzes
Bei dem Versuch, Ansprüche über den Datenschutz durchzusetzen, besteht laut Peifer die Gefahr, dass die notwendige Abwägung der unterschiedlichen Interessen einseitig zugunsten des sehr starren Datenschutzes ausfalle.
Diese Fragen seien besonders durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Löschungspflicht von Google Spain besonders deutlich hervorgetreten. Die Entscheidung zum Recht auf Vergessenwerden sei zwar im Ansatzeine datenschutzrechtliche. Sie betreffe aber auch ganz erheblich das Äußerungsrecht und die Providerhaftung. Diese zivilrechtlichen Ansprüche und das Datenschutzrecht müssten sich, darüber waren sich die Teilnehmer weitgehend einig, annähern. Es werde zukünftig ein Konzept notwendig werden, um mit diesen Auseinandersetzungen umzugehen.
Der Informatiker Prof. Dr. Gerhard Schneider, Leiter des Rechenzentrums der Universität Freiburg, verwies eindringlich darauf, dass dabei Juristen und Informatiker enger zusammenarbeiten müssten. Dabei kritisierte Schneider sehr deutlich, dass Richter und Rechtsanwälte häufig Anforderungen an die Löschung und insbesondere auch die Sperrung von Daten im Internet stellten, die technisch kaum umsetzbar seien.
Je mehr Ausnahmen es etwa bei der Programmierung von Such-Algorithmen gebe, desto langsamer werde die Suche. Dies spiele sich zwar oft im kaum spürbaren Bereich zeitlicher Verzögerungen ab, wenn es aber vermehrt aufträte, würde es für den Nutzer durchaus merkbar. Dann erreichten solche Maßnahmen auch eine wirtschaftliche Dimension. Denn Nutzer wenden sich heute sehr rasch von Anbietern ab, die ihre Anforderungen nicht mehr erfüllten.
Auch inhaltlich ist es, so wurde in Berlin deutlich, kaum realisierbar, alle möglichen Umgehungen zu finden. Wer heute etwa den Begriff "Wulff Ehefrau" eingäbe, fände z.B. den Hinweis auf Fundstellen, die unter dem Namen "Bettina Wulff" zu Recht nicht mehr zu finden seien.
Nicht nur der Informatiker Schneider plädierte auch für eine strikte Netz-Neutralität. Es dürfe nicht zu einem (Preis-) Wettkampf im Netz kommen, wer seine Inhalte zuerst durchleiten dürfe. Er sprach sich in diesen Fällen für eigene Netze aus, die auch aus technischer Sicht und aus Sicherheitsgründen (etwa im medizinischen Bereich) zudem der deutlich sicherere Weg seien.
Ein neues Recht für den Gelöschten?
Deutliche Kritik übte der Hamburger Rechtsanwalt Jörg Wimmers, regelmäßiger Vertreter von Google und anderen Betreiber in derartigen Fragen, an der Entscheidung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Hostprovider-Haftung für Blog-Einträge. In dem Urteil vom 25.10.2011 (Az. VI ZR 93/10) hat der BGH den Hostprovidern umfangreiche Kommunikationspflichten auferlegt.
Die Betreiber sollen demnach sowohl inhaltlich prüfen, ob der veröffentlichte Inhalt erkennbar rechtlich bedenklich ist, als auch die intensive Kommunikation zwischen demjenigen durchgehen und einschätzen, der Einträge veröffentlicht habe und dem, der diese beanstandet. Gerade kleinere Anbieter könnten dies gar nicht leisten, so Wimmers. Dies führe im Zweifel zur Löschung bzw. Sperrung von Einträgen, deren Unrichtigkeit überhaupt nicht erwiesen sei.
Karl-Nikolaus Peifer warf die Frage auf, ob nicht auch derjenige, dessen Eintrag einfach gesperrt werde, bestimmte Rechte haben müsste, seinen Beitrag doch zu veröffentlichen oder sich gegen die Löschung zu wehren. Dass es ein solches Recht derzeit noch nicht gebe, bedeute nicht, dass man darüber nicht diskutieren sollte.
Experten kritisieren zunehmende Pflichten der Provider
Kritisch äußerten sich die Teilnehmer des Studienkreises auch zur geplanten Neuregelung des Gesetzgebers in dem am 11. März vorgestellten Referentenentwurf zur Änderung der Störerhaftung im Telemediengesetz (2. TMÄndG).
Besonders die geplanten besonderen Haftungsregelungen für "gefahrgeneigte Dienste", welche eine eigene Kenntnis des Anbieters in bestimmten Fällen vermuten sollen, betrachtet der Marburger Medienrechtler Prof. Dr. Georgios Gounalakis skeptisch.
Allgemein zeigten die Medienexperten beim Studienkreis Presserecht und Pressefreiheit eine eher distanzierte Haltung zu den derzeitigen Tendenzen aus der Judikatur. Zwar sehe das TMG bisher eine Haftungsprivilegierung des Anbieters vor dahingehend, dass er erst handeln muss, wenn er Kenntnis von einer angeblich falschen bzw. die Persönlichkeitsrechte verletzenden Information erhält. Aber wer trägt eigentlich die Beweislast dafür, dass die Information äußerungsrechtlich unzulässig ist? Die Tendenzen der Rechtsprechung, immer mehr Pflichten auf die Provider zu verlagern, sehen die Experten durchaus kritisch.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt in der Kanzlei LegerlotzLaschet (LLR) in Köln und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Er bildet seit langem Pressesprecher der Justiz aus.
Martin W. Huff, Provider-Haftung für Äußerungen im Netz: Die Verantwortung in den Zeiten des Internets . In: Legal Tribune Online, 13.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15210/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag