In der Verkehrspolitik wird seit einiger Zeit darüber diskutiert, ob die Promillegrenzen für alkoholisierte Radfahrer geändert oder ein eigener Straftatbestand geschaffen werden sollte. Die Diskussion gewann in den letzten Tagen auf der Grundlage neuer Forschungsergebnisse an Fahrt. Dieter Müller sieht den Gesetzgeber in der Pflicht.
Verkehrsunfälle mit Beteiligung alkoholisierter Radfahrer steigen seit Jahren rasant an, auch die Anzahl der durch sie verursachten Personenschäden geht in die Höhe. Das Fahrrad gilt bei Alkoholkonsum vielen als ungefährliche Alternative zum Auto, dabei ist es inzwischen zu einer ganz eigenen Gefahrenquelle geworden.
Immer wieder fallen alkoholisierte Radfahrer im Rahmen von polizeilichen Verkehrskontrollen auf. Sie können aber aufgrund der geltenden Rechtslage erst bei einer mittels Blutprobe nachgewiesenen Alkoholbeeinflussung von 1,6 Promille strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Unterhalb dieser Grenze bedarf es deutlich sichtbarer Beweisanzeichen für die alkoholisch bedingte Herabsetzung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die aus vielerlei Gründen oft verborgen bleiben, sodass die aus im Interesse der Verkehrssicherheit sinnvollen Sanktionen unterbleiben.
Die Konferenz der Innenminister forderte unlängst neue Promillegrenzen für Radfahrer. Im Gespräch ist eine Absenkung der von den Gerichten gesetzten Promillegrenze für die Trunkenheit im Verkehr von 1,6 auf 1,1 Promille Alkohol im Blut. Wohlgemerkt handelt es sich bei der 1,6-Promille-Grenze nicht um einen gesetzlich vorgeschriebenen Wert, sondern um eine Schwelle, ab der die Gerichte in ständiger Rechtsprechung von der absoluten Fahruntüchtigkeit ausgehen.
Forschungsergebnisse stützen gerichtliche Praxis
In die Debatte mischen sich nun neue Forschungsergebnisse der Universitäten in Düsseldorf und Mainz. Dort wurden die körperlichen Leistungsausfälle alkoholisierter Radfahrer untersucht. In beiden Versuchsreihen wurden sowohl im nüchternen als auch im alkoholisierten Zustand Fahrversuche durchgeführt und ärztlich begleitet. Die Ergebnisse beider Studien wurden anlässlich eines Symposiums des Bundes gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) im Juni in Berlin vorgestellt.
Das von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) bei der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf in Auftrag gegebene Gutachten ergab einen signifikanten Anstieg der Leistungsausfälle in drei Stufen ab 0,5, 1,1 und noch einmal ab 1,6 Promille. Bei der zweiten Studie des Instituts für Rechtsmedizin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz waren die beiden ersten Gefahrenstufen deckungsgleich mit den Düsseldorfer Ergebnissen, während der dritte Anstieg des Sicherheitsrisikos bei 1,5 Promille zu verzeichnen war. In beiden Studien waren erst bei den beiden höchsten Promillewerten keine Radfahrer mehr dazu in der Lage, ihr Fahrrad sicher zu führen.
Eine Änderung der Rechtsprechungspraxis kommt damit nicht in Betracht: Um die von den Gerichten angenommene Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit abzusenken, hätten bereits unterhalb von 1,6 Promille (fast) alle Probanden am sicheren Führen ihrer Fahrräder scheitern müssen. Sehr wohl aber könnte, und sollte, der Gesetzgeber tätig werden.
Gesetzgeber sollte neue Sanktionen einführen
Alkoholisierte Radfahrer sind bislang ein ungelöstes Sicherheitsproblem für den Straßenverkehr. Dies wird an dem stetigen Anstieg der Alkoholunfälle in dieser Gruppe deutlich.
Die neuen Forschungsergebnisse geben eine Steilvorlage für den Gesetzgeber, einen neuen Tatbestand im Straßenverkehrsgesetz einzuführen und darin die beiden Promillegrenzen von 0,5 und 1,1 Promille Alkoholkonzentration im Blut bzw. 0,25 und 0,55 mg/l Alkohol in der Atemluft mit abgestuft ansteigenden Sanktionen festzuschreiben.
Die Höhe der Sanktionen kann an die Regelsätze des Alkoholverbots für Fahranfänger angepasst werden, um den gesetzgeberischen Zweck zu erreichen, bei Radfahrern auf den Genuss größerer Alkoholmengen zu verzichten. In Anbetracht des Sicherheitsrisikos sollten für den 0,5-Promille-Verstoß ein Punkt und für den 1,1-Promille-Verstoß zwei Punkte in das Fahrerlaubnisregister eingetragen werden.
Ein eigenständiger Straftatbestand für Radfahrer erscheint dem gegenüber nicht erforderlich, weil eine bedeutende Ordnungswidrigkeit im Bußgeldbereich denselben präventiven Zweck erfüllen dürfte.
Eine Übertragbarkeit der neuen Forschungsergebnisse auf Autofahrer ist im Übrigen nicht möglich, weil die weitaus komplexere Tätigkeit des Führens von Kraftfahrzeugen nicht mit dem technisch relativ einfachen und wesentlich langsameren Radfahren vergleichbar ist. Bei Kraftfahrern bildet daher der durch den Bundesgerichtshof ermittelte Wert von 1,1 Promille nach wie vor den richtigen Grenzwert für die absolute Fahrunsicherheit und damit für die unwiderlegbar vorliegende Straftat der Trunkenheit im Verkehr.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachdozent für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht. Sein Artikel ist nicht dienstlich veranlasst und gibt ausschließlich die private Meinung des Autors wieder.
Änderung der Promillegrenzen für Radfahrer?: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12257 (abgerufen am: 10.10.2024 )
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