"Hebt die Gema-Vermutung auf!" Über 60.000 Menschen unterzeichneten diese Petition an den Bundestag online mit. Das notwendige Quorum ist damit erreicht; der Petent wird sein Anliegen am Montag mit den Abgeordneten des Petitionsausschusses diskutieren. Ein kontroverses Thema, das Medienrechtler entzweit.
Die Petition basiert auf falschen Fakten, fordert rechtlich Unmögliches, rüttelt an einem funktionierenden und notwendigen System und richtet sich letztlich gegen die Urheber. Dabei sind es die Urheber, die Konzerten, Bars und Clubs erst Leben einhauchen, meint Matthias Lausen.
Über 60.000 Menschen haben online eine Petition an den Bundestag mitunterzeichnet, die Gema-Vermutung in § 13c Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWahrnG) aufzuheben. Die Verwertungsgesellschaft vertrete nur noch einen geringen Bruchteil der internationalen und vor allem im Internet vertretenen Künstler. Die Umkehr der Beweislast zwinge Internetdienste, Konzertveranstalter, Club- und Barbetreiber dazu, die Vermutung zu widerlegen, um von jeglichen Gema-Gebühren befreit zu werden.
Dies erfordere einen enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand, da für jedes einzelne Lied alle beteiligten Urheber vorgelegt und auf ihre Gema-Mitgliedschaft überprüft werden müssten. Die Vermutung sei ein veraltetes Gesetz, das in dieser Form im 21. Jahrhundert nichts mehr zu suchen haben.
Die Kritik an der Vermutung basiert – wie leider viel zu oft – auf Unkenntnis und falschen Fakten. So wäre eine Aufhebung des § 13c UrhWahrnG bereits der falsche Ansatz. Die Vorschrift regelt zwar dem Wortlaut nach die "Vermutung einer Sachbefugnis", mithin also eine Gema-Vermutung, aber eben nicht die Gema-Vermutung, die für die in der Petition genannten "Internetdienste, Konzerte, Clubs und Bars" von Relevanz wäre.
Verwertungsgesellschaft vertritt zwei Millionen Urheber auf der ganzen Welt
Die Gema-Vermutung, die tatsächlich einschlägig ist, basiert nicht auf einem Gesetz, sondern wurde der Verwertungsgesellschaft von den Gerichten zugebilligt. Sie beruht auf der Annahme, dass die Verwertungsgesellschaft nahezu sämtliche Musikurheber vertritt (vgl. BGH, Urt. v. 05.06.1985, Az. I ZR 53/83); eine Annahme die generell weder richtig noch falsch ist, sondern im Einzelfall zutrifft oder entkräftet werden kann. Die Petition, der Bundestag möge die Gema-Vermutung für unzulässig erklären, kann damit nur ins Leere gehen. Seine öffentliche Wirkung verfehlen die Petenten selbstverständlich nicht.
Die Vermutung existiert außerdem gar nicht in dem Umfang, in dem die Petenten sie aufgehoben sehen wollen. Sie gilt für Konzerte, Clubs und Bars, nicht jedoch für die in der Begründung der Petition ebenfalls genannten Internetdienste. Die Nutzungsrechte für Internetdienste werden seit geraumer Zeit nicht mehr nur von der Gema vertreten, sondern auch von zahlreichen anderen Verwertungsgesellschaften. Internetdienste erhalten daher eine titelbezogene Einzelabrechnung allein für die Titel, die von der Gema wahrgenommen werden.
Für die Aufführung von Musik auf Konzerten und die Wiedergabe von Musik in Clubs und Bars gilt die Vermutung dagegen tatsächlich. Die Gema vertritt aber – anders als die Begründung glauben macht – nicht mehr "nur noch" 57.000 Künstler, sondern ca. zwei Millionen. Neben den 57.000 (tatsächlich sind es über 64.000) deutschen Urhebern vertritt die Verwertungsgesellschaft für diese Art der Musiknutzung nämlich Urheber auf der ganzen Welt und lizenziert damit nahezu das gesamte Weltrepertoire. Damit liegt die Vermutung nahe, dass auf Konzerten, in Clubs und Bars Musik gespielt wird, die von der Gema wahrgenommen wird. Dies – und nichts Anderes – ist nun die lebensnahe Vermutung der Gerichte, die Gegenstand der Petition sein soll.
Entkräftung der Vermutung bedeutet überschaubaren Aufwand
Die Abschaffung der Gema-Vermutung würde das Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehren und die Arbeit der Verwertungsgesellschaft unmöglich machen. Wenn die Gema im Interesse der Urheber gegen unlizenzierte Nutzungen vorgehen möchte, müsste sie zunächst darlegen und gegebenenfalls beweisen, an welchen konkreten Werken von ihr wahrgenommene Rechte verletzt wurden. Einziger Weg dazu wäre dann eine flächendeckende Kontrolle sämtlicher Veranstaltungen von deren Beginn bis zum Ende. Dies wäre faktisch weder möglich noch finanzierbar und schon gar nicht erwünscht.
Wie das Wort "Vermutung" bereits zum Ausdruck bringt, kann sie widerlegt werden. Wird bei einer Veranstaltung ausschließlich Gema-freie Musik aufgeführt, fällt eine Lizenzvergütung nicht an. Es steht den Konzertveranstaltern, Bar- und Clubbetreibern frei, diesen Nachweis zu erbringen. Der Aufwand ist überschaubar. Der Veranstalter weiß, welche Musik gespielt wird.
Nicht zuletzt müsste es eigentlich Urheber-Vermutung heißen. Denn die Gema verfolgt keinen Selbstzweck. Sie hilft vielmehr den Urhebern, für das Aufführen und Abspielen ihrer Musik auf Konzerten, in Bars und Clubs eine angemessene Vergütung zu erhalten. Eine Vergütung, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können und die es ihnen ermöglicht, die Musik und die Liedtexte zu kreieren derentwegen Konzerte, Bars und Clubs überhaupt besucht werden.
Der Autor Dr. Matthias Lausen ist Rechtsanwalt in der gleichnamigen Kanzlei und auf das Medienrecht spezialisiert. Er vertritt regelmäßig Verwertungsgesellschaften. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit ist er Geschäftsführer des Instituts für Urheber- und Medienrecht in München.
Der Ausgangspunkt der Petition mag falsch sein. Das ändert aber nichts daran, dass die Gema-Vermutung völlig zu Recht als ungerechte und unverhältnismäßige Belastung empfunden wird. Die Bitte an den Bundestag, die Berechtigung dieser Vermutung zu überprüfen und wenn möglich abzuschaffen, ist so verständlich wie nachvollziehbar, meint Günter Poll.
Die Gema-Vermutung ist eine im gesamten deutschen Rechtssystem einzigartige Beweiserleichterung, die eine vollständige Beweislastumkehr zu Lasten der Musiknutzer bewirkt. Die technische Entwicklung und die daraus folgende Veränderung der Musiknutzung hat sie obsolet gemacht. Die zugrundeliegende Annahme der Gerichte, dass die Gema aufgrund ihrer noch aus der Nazizeit stammenden Monopolstellung über nahezu das gesamte Weltrepertoire an geschützter Musik verfüge, so dass ihr diese Beweiserleichterung im Prozess zustehe, ist in einigen Bereichen von Anfang an fehl am Platz gewesen und von den Gerichten dort auch nicht angewandt worden.
So gilt die Vermutung beispielsweise nicht im Bereich der Filmmusik, weil etwa 70 bis 80 Prozent der Spielfilme aus den USA stammen und nach amerikanischem Copyright die Rechte an der Filmmusik nicht dem Urheber, sondern dem Filmstudio zustehen. Die Rechte werden daher von der Gema nicht wahrgenommen, so dass hier die normale Beweislastverteilung gilt – wer einen Anspruch geltend macht, muss beweisen, dass er ihm auch zusteht. Allerdings waren mehrere Verfahren erforderlich, um dies gegen den Widerstand der Gema höchstrichterlich durchzusetzen.
Dorf-Disko der 70er hat nichts mit Großstadt-Club gemein
Dass die Rechtfertigung der Vermutung auch nachträglich entfallen kann, lässt sich an der Musiknutzung in Diskotheken feststellen. Gegenüber den Clubbetreibern beruft sich die Verwertungsgesellschaft weiterhin auf die Gema-Vermutung, so als ginge es in einer Großstadt-Disko im Jahr 2012 immer noch so zu, wie in einer Dorf-Disko der 70er oder 80er Jahre. Dieses sture Beharren ist ein Grund neben den völlig überhöhten Vergütungssätze, die ab dem 1. April 2013 gelten sollen, für den seit Monaten andauernden öffentlichen Protest, der für die Gema und die Aufsichtsbehörde inzwischen zum Problem gewordenen ist.
Jeder weiß, dass der Anteil der Gema-freien Musik in Diskotheken ständig steigt und mittlerweile so hoch ist, dass die Gema-Vermutung hier nicht mehr eingreifen kann, weil die ihr unterliegende Grundannahme nicht mehr zutrifft. Streitig ist insoweit nämlich nur der tatsächliche Anteil der Gema-freien Musik, der natürlich von Fall zu Fall differiert. Bei Großstadt-Diskotheken dürfte er inzwischen bei 50 bis 60 Prozent liegen.
US-amerikanisches Copyright im Internet tonangebend
Auch und vor allem im Internet konnte und kann die Verwertungsgesellschaft sich nicht auf die Gema-Vermutung stützen, weil auch hier das amerikanische Repertoire tonangebend ist. In den USA gibt es kein Nutzungsrecht, das dem in Europa vor zehn Jahren eingeführten Recht der öffentlichen Zugänglichmachung auf Abruf (§ 19a UrhG) entspricht. Vielmehr kennt das amerikanische Copyright nur das Recht der öffentlichen Wiedergabe, das Verbreitungsrecht und das Recht der mechanischen Vervielfältigung. Nur Ersteres wird in den USA von den dortigen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen und landet durch die Gegenseitigkeitsverträge mit der Gema bei Letzterer. Die Online-Übertragung auf Abruf (Music on demand), die nach deutschem Recht unter den Begriff öffentliche Wiedergabe fällt, wird vom amerikanischen Recht aber nicht darunter gefasst, sondern als (elektronische) Verbreitung behandelt (US Court of Appeals for the 2nd circuit, Urt. v. 28.09.2010, United States vs. ASCA).
Weil das Verbreitungsrecht in den USA aber nicht auf die Verwertungsgesellschaften übertragen wird, kann es auch nicht von diesen auf die Gema weiterübertragen werden. Das verkennen die deutschen Gerichte regelmäßig, die es versäumen in solchen Fällen zur normalen Beweislastverteilung zurückzukehren.
Letztlich entscheidend ist, dass die Beibehaltung der Gema-Vermutung zu der absurden Situation führt, dass der einzelne Musiknutzer, zum Beispiel der Inhaber eines Jazzclubs oder der Betreiber einer Diskothek, vor die Wahl gestellt wird entweder einen unglaublichen Recherche- und Verwaltungsaufwand für die Klärung der Rechte zu betreiben oder aber seinen Betrieb einzustellen. Es ist für ihn nämlich schlicht unmöglich, bei jedem einzelnen Titel die Rechte der Gema festzustellen. Angesichts der fehlenden Bereitschaft der Gema, von der Vermutung zu ihren Gunsten auch nur einen Millimeter abzurücken, würde er an dieser Aufgabe scheitern, selbst wenn er hierfür eigens einen Hausjuristen einstellen würde. Angesichts der dargestellten Entwicklung sowie der riesigen "Löcher" in dem – von der Gema wider besseres Wissen als lückenlos dargestellten – Gema-Repertoire besteht dafür auch keinerlei Anlass.
Der Autor Dr. Günter Poll ist Rechtsanwalt in Oberaudorf und auf das Medien- und Urheberrecht spezialisiert. Zwischen 1973 bis 1979 war er stellvertretender Justiziar der Gema in München.
Dr. Matthias Lausen, Dr. Günter Poll, Pro & Contra Gema-Vermutung: Hilfe für Urheber oder Relikt aus der Nazizeit? . In: Legal Tribune Online, 05.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7459/ (abgerufen am: 07.12.2023 )
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