Pro und Contra NetzDG: Ein Gewinn für den Rechts­staat

Gastkommentar von Dr. Christoph Buchert

26.10.2019

Zwei Jahre NetzDG – wie schlägt es sich und was hat es gebracht? Christoph Buchert zieht eine durchwachsene Bilanz. Entgegen vieler Kritiker des Gesetzes ist er aber davon überzeugt: Es wirkt als Maßnahme des wehrhaften Rechtstaats.

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist ungeachtet aller Schwierigkeiten ein Gewinn für den Rechtsstaat. Morddrohungen, Volksverhetzungen und rassistische Verunglimpfungen in sozialen Netzwerken gefährden den gesellschaftlichen Frieden. Der Ruf nach einem staatlichen Eingreifen ist nicht erst seit dem Attentat von Halle laut. Durch das NetzDG werden soziale Netzwerke verpflichtet, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und rechtswidrige Inhalte einzudämmen – das ist ein wichtiger Baustein. Es bedarf aber auch einer konsequenten staatlichen Strafverfolgung der Täter.

Facebook, Google, Youtube & Co. sind Bestandteil unserer Gesellschaft und sorgen für eine gelebte Meinungsfreiheit. Der öffentliche Meinungsaustausch im Netz entspricht dem Zeitgeist und hat Vorteile: Durch das Speichern der Kommentare kann eine Diskussion über einen längeren Zeitraum geführt und mitverfolgt werden. Dritte – insbesondere diejenigen, die ungern im Rampenlicht stehen oder gar gesellschaftlich benachteiligt sind – können sich daran sogar leichter beteiligen als in der realen Welt.

Dieser positive Grundgedanke wird allerdings dadurch pervertiert, dass einzelne Nutzer die sozialen Netzwerke zur Begehung von Straftaten missbrauchen. Konkret geht es um Morddrohungen, Volksverhetzungen oder rassistische Verunglimpfungen. Ohne die Hemmschwelle des persönlichen Auftretens werden derartige rechtswidrige Inhalte gezielt platziert, geliked und geteilt. Dies ist für einen Rechtsstaat nicht hinnehmbar. Rassistische Beleidigungen und Volksverhetzungen sind eine Gefahr für die Demokratie und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft und deshalb zu Recht strafbar. Dies gilt in der realen Welt wie auch im Internet; ein staatliches Vorgehen gegen derartige Inhalte ist demzufolge weder ein Angriff auf die Meinungsfreiheit noch eine Zensur, sondern schlichte Durchsetzung des geltenden Rechts.

Das soziale Netzwerk als Tatmittel

Für die zunehmende Verbreitung rechtswidriger Inhalte im Netz tragen soziale Netzwerke Verantwortung, weil erst die virale Begehung der konkreten Tat den Boden bereitet. Den Tätern kommt es darauf an, die Öffentlichkeitswirkung der sozialen Plattform zu nutzen, wodurch das soziale Netzwerk zum Tatmittel wird. Dies rechtfertigt es, Betreiber solch kommerzieller Plattformen in die Pflicht zu nehmen. Zwar können sie nicht die Begehung der Straftat verhindern, aber sie müssen die unkontrollierte Verbreitung strafbarer Inhalte eindämmen.

Das NetzDG verpflichtet die Betreiber sozialer Netzwerke daher, anwenderfreundliche Mechanismen zur Meldung kritischer Beiträge einzurichten, gemeldete Beiträge kurzfristig und mit geschultem Personal auf ihre Rechtswidrigkeit hin zu prüfen und erforderlichenfalls zu löschen oder den Zugang zu diesen Inhalten zu sperren. Offenkundig rechtswidrige Inhalte müssen binnen 24 Stunden gelöscht werden. Zur Überwachung der Umsetzung gibt es flankierend Berichtspflichten, durch welche die Betreiber gezwungen werden, halbjährig über den internen Umgang mit Beschwerden nach dem NetzDG Rechenschaft abzulegen. Das ist ein starkes Signal des Gesetzgebers.

Das Wichtigste: Das Gesetz wirkt

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes fällt die Bewertung des NetzDG durchwachsen aus. Das Wichtigste jedoch: Das Gesetz wirkt. Anhand der Zahlen der vorliegenden Jahresberichte ist abzulesen, dass die Betreiber ihren Prüf- und Löschpflichten weitestgehend nachkommen. Allein Twitter hat in der ersten Jahreshälfte 2019 fast 480.000 Beschwerden von Nutzern erhalten; in knapp 45.000 Fällen hat Twitter daraufhin Maßnahmen ergriffen, also konkrete Tweets oder Accounts gelöscht. Auch haben die Berichte offengelegt, dass die Beschwerdemöglichkeiten bei Facebook völlig unzureichend sind – das Unternehmen muss nachlegen, ein Bußgeld droht.

Allerdings besteht auch Reformbedarf. So fehlt es den Berichtspflichten beispielsweise noch an Konturschärfe. Hier muss der Gesetzgeber nachbessern, um eine effektive Gesetzesanwendung und eine Sanktionierung von Verstößen sicherzustellen.

Sicher festhalten kann man indes, dass die anfängliche Angst vor einem übermäßigen Löschen legaler Inhalte ("Overblocking") unbegründet war. Nach Einführung des NetzDG hatten Kritiker befürchtet, dass die Betreiber im vorauseilenden Gehorsam die Löschpflichten im Zweifel extensiv auslegen, um den drohenden Bußgeldern zu entgehen. Das hat sich nicht bewahrheitet. Auch die aktuelle Diskussion um die Diffamierungen von Renate Künast auf Facebook belegt, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit auch nach Einführung des NetzDG in sozialen Netzwerken weiterhin ausgelotet werden.

Die zu Recht kritisierte Entscheidung des Berliner Landgerichts im Fall Künast legt allerdings ein tatsächliches Problem des Gesetzes offen: Wo die Meinungsfreiheit endet und der Straftatbestand der Beleidigung beginnt, ist im Einzelfall schwer zu beurteilen, die Identifizierung strafbarer Inhalte demzufolge anspruchsvoll. Deshalb kann man auch nicht erwarten, dass die 24-Stunden-Löschpflicht für "offenkundige" Verstöße die schnelle Hilfe bringt, die der Gesetzeswortlaut suggeriert. Eine sorgfältige Prüfung und Rechtsfindung braucht Zeit und ist streitbar, auch wenn die meisten Kolleginnen und Kollegen im Gegensatz zu der Berliner Zivilkammer bei Wendungen wie "Drecksfotze" sicherlich keine Zweifel am Vorliegen einer offenkundigen Beleidigung hätten.

Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung im Einzelfall taugen aber nicht, um dem Gesetz grundsätzlich die Wirksamkeit abzusprechen. Die Plattformbetreiber haben zudem nach dem Gesetz die Möglichkeit, eine eigene Prüfstelle außerhalb des Unternehmens einzurichten, die fragliche Inhalte unabhängig prüft und deren Votum sich das soziale Netzwerk dann unterwirft.

Staatliche Strafverfolgung von Hate Speech erleichtern

Die Maßnahmen des NetzDG können bei der Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz aber nur ein Baustein sein. Daneben bedarf es auch einer konsequenten Strafverfolgung der Täter durch Polizei und Justiz. Wer Unternehmen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in die Pflicht nimmt, muss auch seine eigenen Aufgaben erfüllen und die staatlichen Strafverfolgungsbehörden sachlich und personell angemessen ausstatten. Ermittlungen im Netz sind aufwendig und ohne geschultes Personal schlicht nicht machbar.

Die von der Bundesjustizministerin geplante Einführung einer gesetzlichen Anzeigepflicht, nach der die Plattformbetreiber von Nutzern gemeldete Beiträge ggf. auch den staatlichen Behörden weiterleiten müssen, mag der mit dem NetzDG angestrebten Rechtsdurchsetzung im Netz dienlich sein. Sie leistet aber einer Privatisierung der Strafverfolgung weiteren Vorschub.

Wichtiger ist es, stattdessen die rechtlichen Hürden bei der Verfolgung der Täter zu beseitigen. So scheitert eine staatliche Strafverfolgung oftmals schon daran, dass Anbieter wie Facebook nur Auskünfte zu deutschen Accounts erteilen und zumeist auch nur die IP-Adresse der Täter ermittelt werden kann. Die Zuordnung dieser (dynamischen) IP-Adresse zu einer bestimmten Person setzt allerdings einen Zugriff auf die Verkehrsdaten voraus, woran es mangels tatsächlicher Umsetzung der Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung derzeit fehlt. Hier müssen – ungeachtet aller berechtigter Bedenken gegen die geplante E-Evidence-Verordnung – auf europäischer Ebene rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, nach denen die Staatsanwaltschaften auf die Nutzerdaten sämtlicher Täter schnell und unkompliziert zugreifen können.

Das Gesetz ist Beleg für den wehrhaften Rechtsstaat

Lob verdienen indes die Bemühungen für eine Kompetenzbündelung auf staatlicher Seite, die durch das Attentat von Halle wieder in den politischen Fokus gerückt sind. So hat Baden-Württemberg bereits im Jahr 2011 eine Zentralstelle für die Bekämpfung von Kommunikationskriminalität eingerichtet. Für die Bundesebene hat der Präsident des Bundeskriminalamts, Volker Münch, den Aufbau einer "Zentralstelle für Hasskriminalität im Netz" vor wenigen Tagen angekündigt.

Auch das im Februar 2018 gestartete Projekt "Verfolgen statt nur löschen" der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) in Nordrhein-Westfalen verdient Beifall. Die jüngst veröffentlichten Verfolgungszahlen der ZAC zeigen aber auch, dass die rechtlichen Verfolgungshürden mit Kompetenzbündelung und Imageprojekten allein nicht überwunden werden können.

Besondere Herausforderungen bedürfen besonderer Maßnahmen. Das NetzDG zeigt, dass der Rechtsstaat auch gegenüber neuen und schwer fassbaren Gefahren wehrhaft bleibt. Schon deshalb ist das Gesetz ein Gewinn.

Der Autor Dr. Christoph Buchert ist Richter und Pressesprecher am Landgericht Stuttgart.

Sein Beitrag geht zurück auf ein Streitgespräch mit Dr. Ingo Bott (dessen Contra-Position auf LTO bereits hier erschienen ist) auf dem "Forum zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)" der Arbeitsgemeinschaft Geistiges Eigentum und Medien im DAV im vergangenen September in Berlin.

Zitiervorschlag

Pro und Contra NetzDG: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38391 (abgerufen am: 03.12.2024 )

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