Auf öffentlichen Flächen patrouillieren zunehmend nicht-staatliche Sicherheitsdienste, die für einen reibungslosen Geschäftsverkehr sorgen sollen. Florian Albrecht erläutert, wieso der Staat sich nicht aus dem öffentlichen Raum zurückziehen darf.
Im Rahmen von Privatisierungsprojekten, Sicherheitspartnerschaften und sog. Straßenpachtmodellen, die im Detail sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können, werden öffentliche Straßen und Plätze in die Obhut privater Unternehmer gegeben, die mit Hilfe von Sicherheitsdienstleistern Nutzungs- und Hausordnungen errichten und deren Einhaltung überwachen lassen. Die vornehmliche Zielsetzung dieser Konstruktion ist aus privater Sicht die Vertreibung unliebsamer sozialer Randgruppen (Bettler, Obdachlose u.ä.) aus dem Geschäftsumfeld. Staatlicherseits geht es primär um die Entlastung der mit zahlreichen Aufgaben überforderten Polizei- und Ordnungskräfte.
Zur grundsätzlichen Konzeption solcher Sicherheitsbestrebungen gehört es, dass in den betroffenen Bereichen Hausordnungen errichtet werden, die fernab vom polizeilichen Gefahrenbegriff Verhaltensweisen verbieten, die als unerwünscht angesehen werden. Hierzu gehören etwa das Verweilen auf nicht hierfür vorgesehenen Flächen, das Betteln und Taubenfüttern oder auch der friedliche Alkoholkonsum. Die das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit übergehenden Totalverbote werden auf die Annahme gestützt, dass private Betreiber von der den Staat treffenden Grundrechtsbindung befreit sind und weitgehend frei bestimmen könnten, was erlaubt ist und was nicht.
Wer wie der Staat handelt, wird auch wie der Staat behandelt
Die Zielsetzung, Grundrechte auszuhebeln und Eingriffsschwellen zu senken, lässt sich selbst mittels der vollständigen Privatisierung öffentlicher Straßen und Plätze nicht erreichen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen eines durch den Verfasser dieses Beitrags erwirkten Eilverfahrens erst kürzlich darauf hingewiesen, dass ggf. auch Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte Dritter in die Pflicht genommen werden können. Die Entscheidung des Gerichts ist so zu verstehen, dass dies insbesondere dann gelten muss, wenn die Privaten als Eigentümer öffentlicher Straßen und Plätze in Bereichen agieren, die traditionell dem Staat zugerechnet werden.
Dies ist immer dann der Fall, wenn ein privates Gelände der Öffentlichkeit für den kommunikativen Verkehr zur Verfügung gestellt wird. Aufgrund der Zugänglichmachung der Flächen für die Allgemeinheit, die ihrerseits meist wirtschaftlich motiviert ist, werden Verfügungsrechte des Eigentümers freiwillig aufgegeben und weitgehende Duldungspflichten (vgl. § 1004 Abs. 2 BGB) begründet. Diese umfassen all das, was auch auf staatlichen Flächen gestattet wäre (also etwa auch das Verweilen und der Konsum alkoholischer Getränke).
Hierbei ist hinsichtlich der Bewertung, ob ein Platz oder eine Straße der Öffentlichkeit zugänglich ist, weder auf die durch den privaten Eigentümer erfolgte "Widmung" noch auf eine mögliche Umgrenzung des betroffenen Geländes abzustellen. Entscheidend für die Einordnung als öffentlicher Raum ist nach den zutreffenden Feststellungen des Bundesgerichtshof vielmehr, dass der Zugang zu den betroffenen Arealen nicht kontrolliert wird und mithin grundsätzlich jedermann gegenüber eröffnet ist. Wenn ein öffentlicher Kommunikationsraum errichtet wurde, kann sich ein Besucher dort auch auf seine Grundrechte berufen. Das gilt auch für Bahn- und U-Bahnhöfe.
Totalverbote sind verfassungswidrig
Die Verlagerung von Sicherheitsaufgaben auf private Hausrechtsinhaber ist auch mit Blick auf die ausschließlich staatliche Aufgabenverantwortung für den Bereich der öffentlichen Sicherheit rechtswidrig. Auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist nämlich die Polizei verpflichtet, die Rechtsordnung zu schützen und für Sicherheit zu sorgen. Diese Verpflichtung kann weder sachlich noch räumlich an Private abgetreten werden. Diese verfassungsrechtliche Grundkonzeption der staatlichen Sicherheitsarchitektur ist zwingend erforderlich, weil sonst die Gefahr bestünde, dass Private ihre Vorstellung von Moral und Anstand - etwa im Rahmen von Hausordnungen – anderen aufzuzwingen versuchen und somit an der Stelle des hierzu berufenen Gesetzgebers entscheiden, welches Verhalten in der Öffentlichkeit gestattet ist und welches nicht.
Wenn man die Errichtung von privaten Hausordnungen in Bereichen gestatten möchte, die in Privateigentum stehen, aber dennoch öffentlich zugänglich sind, bedeutet dies, dass eine Handlung auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG grundsätzlich nur dann untersagt werden kann, wenn mit dem Verbot öffentlich-rechtliche Zwecke verfolgt werden. Eine Verbotsregelung müsste sich mithin am Maßstab des Gefahrenabwehrrechts, inklusive des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, orientieren.
Totalverbote sind somit weitgehend unzulässig und unbeachtlich. Würde man unter Berufung auf eine Hausordnung eine Nutzung untersagen können, die vom gesetzlichen Gemeingebrauch umfasst ist, wäre der betroffene Bereich für die Öffentlichkeit wertlos.
Des Weiteren lässt sich eine die Maßstäbe persönlicher Vorwerfbarkeit scheuende Hausordnung, die nur generelle Verbotstatbestände kennt, mit der verfassungsrechtlich abgesicherten Menschenwürdegarantie nur sehr schwer vereinbaren. Der Einzelne wird beispielsweise durch Verweil- oder Alkoholkonsumverbote nicht nach seinem persönlichen Verhalten beurteilt, sondern zum Objekt einer bloßen Kategorisierung und Gruppenzuordnung degradiert. Die Verfassungswidrigkeit einer solchen Regelung ist evident.
Florian Albrecht, Privatisierung der inneren Sicherheit: . In: Legal Tribune Online, 19.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16606 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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