Auf dem Presserechtsforum in Frankfurt diskutierten Anwälte, Verlagsjustiziare und Richter über neueste Entwicklungen im Presserecht und lieferten sich dabei bühnenreife Duelle, auch zum Fall des Rammstein-Sängers Till Lindemann.
"Vorhang auf für Deutschlands Presserechtler", hieß es am Montag auf dem 13. Presserechtsforum in Frankfurt. Wegen des großen Andrangs war die von der Zeitschrift Kommunikation & Recht (dfV Mediengruppe) und der Kanzlei Damm und Mann organisierte Veranstaltung kurzerhand in das Gallus Theater verlegt worden. Eine auch im übertragenen Sinne gute Wahl. Denn bekanntlich geraten auch presserechtliche Gerichtsverhandlungen oft zum großen Theater.
Wohl in keinem anderen Rechtsgebiet wird derart heftig und emotional miteinander gestritten. Während Richter, die andere Rechtsgebiete verhandeln, längst zur Ordnung rufen würden, lassen erfahrene Richter:innen im Presserecht die mitunter auch persönlich verfeindeten Anwälte geduldig weiter zetern – schließlich geht es ja meist um die Meinungsfreiheit und Eingreifen könnte das Verfahren noch länger werden lassen (Befangenheitsanträge).
Allerdings gibt es auch bedächtige Vertreter dieses Faches, etwa Veranstaltungsleiter Prof. Dr. Roger Mann aus Hamburg, der beherzt eingriff und tiefere Grabenkämpfen z.B. zwischen den Vertretern von Schertz-Bergmann-Rechtsanwälte und des Spiegels hierdurch verhinderte.
Informantenschutz – Pflicht oder Vertrag?
Die meisten Kanzleien im Presserecht sind entweder auf Betroffenenseite (Prominente, Unternehmen, Bürger) oder vertreten Medien. Entsprechend dieser Konfliktlinien ist es das kluge Konzept der Veranstaltung, dass jeweils zwei Personen aus unterschiedlichen Blickwinkeln Impulsvorträge zu einem Thema halten, mit anschließender Diskussion unter Einbindung des Publikums.
Im ersten Forum ging es um die Frage "Informantenschutz – Pflicht oder Vertrag?" Hintergrund ist die Kontroverse um den Verleger der Berliner Zeitung Holger Friedrich. Diese hatte ihm von Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt anvertraute Informationen an den Axel Springer Verlag weitergegeben, ihn also dort verpfiffen.
Reichelt zog daraufhin gegen Friedrich vor Gericht. Das Landgericht Berlin gab allerdings Friedrich recht. Dessen Meinungsfreiheit überwiege, auch habe es keine Vertraulichkeitsabrede gegeben (LTO berichtete). Der deutsche Presserat hingegen sprach gegenüber Holger Friedrich eine Rüge aus. Auf dem Forum widmeten sich Roman Portack, Geschäftsführer des Presserats und Rechtsanwalt Oliver Löffel (Löffel Abrar) dieser Divergenz.
Dabei herrschte zwischen beiden Einigkeit, dass das Pressekodex keine direkte Verbindlichkeit für die ordentlichen Gerichte hat. Man wolle keine "Presserechts-Scharia" so Portack. Die hartnäckigen Fragen aus dem Publikum, warum denn der Presserat angesichts von widersprüchlich-diffusen Kodex-Formulierungen in Richtlinie 5 einen Verstoß bejahte, suchte Portack mit rechtshistorischen Auslegungen zu zerstreuen. Rechtsanwalt Löffel erweiterte den rein presserechtlichen Blick und widmete sich der Frage, wie sich Vertragsrecht und Datenschutzrecht zum Informantenschutz verhalten.
In der anschließenden Diskussionsrunde berichteten die Verlags-Praktiker, dass explizite schriftliche Geheimhaltungsvereinbarungen so gut wie nie vorkommen. Vertraulichkeit würde als Existenzgrundlage der Medien für zukünftigen Informationsfluss von Journalisten stets eingehalten.
Verfügungsverfahren: Was verträgt die Dringlichkeit?
Im nächsten Forum ging es um das presserechtliche Eilverfahren. Noch vor wenigen Jahren konnten Verfügungsverfahren im Presserecht vollständig einseitig geführt werden. Der Anwalt eines Betroffenen stellte einen Unterlassungsantrag gegen ein Medium bei Gericht. Bei Bedenken gegen die Antragsfassung rief das Gericht den Anwalt des Betroffenen an, der daraufhin Anpassungen vornehmen konnte. Von alldem erfuhr das jeweilige Medium als Antragsgegner bis zur Zustellung der einstweiligen Verfügung genau nichts (es sei denn, es hatte nach Abmahnung eine Schutzschrift eingereicht).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Grundsatzbeschluss von 2018 dieser Praxis einen ersten Riegel vorgeschoben und wegen zögerlicher Umsetzung seitdem immer wieder die Pressekammern für "wiederholte Verstöße" und Ungehorsam gerügt (LTO berichtete). Die Folge ist, dass die Pressekammern nun dazu übergegangen sind, in aller Regel die Gegenseite anzuhören, wodurch sich die Verfahren durch Anhörungs-Ping-Pong erheblich verlängern.
So jedenfalls die kritische Sichtweise von Medienanwältin Dr. Stephanie Vendt (Nesselhauf Rechtsanwälte). Sie monierte, dass das BVerfG – bei langem Zuwarten des Gerichts – nun auch eine mündliche Verhandlung (1 BvR 1011/23) verlange, was dem effektiven Rechtsschutz für ihre Mandanten entgegenstünde, da so eine Falschaussage wochen- oder sogar monatelang weiter online wäre und sich verbreite.
Ihr Counterpart Prof. Dr. Elmar Schuhmacher (LST Schuhmacher), dessen Kanzlei unter anderem RTL vertritt, war anderer Ansicht. Die Zeiten des Prozess-Sonderrechts im Presserecht seien endlich vorbei. Die Presserechtler müssten sich allmählich daran gewöhnen, dass die Zivilprozessordnung auch für sie gelte. Auch die starren Dringlichkeitsfristen der Gerichte (Beispiel: LG Stuttgart erlaubt Eilverfahren bis 8 Wochen nach Kenntnisnahme einer Äußerung), gehörten nach der BVerfG-Entscheidung auf den Prüfstand, jeder Einzelfall müsse gesondert betrachtet werden.
Ausgewogene Verdachtsberichtserstattung?
Im Forum über Verdachtsberichterstattung trafen Oliver Jörgens, Richter am Oberlandesgericht Köln (15. Zivilsenat) und Rechtsanwalt Dr. Lucas Brost (Brost Claßen) aufeinander. Während Jörgens entsprechend seiner Richterrolle nüchtern über die jüngste Rechtsprechung zum Thema referierte, forderte Betroffenen-Anwalt Brost, dass auch in Teasern über Verdachtsfälle, etwa bei X oder Facebook, eine Ausgewogenheit hergestellt werden müsse. Denn schließlich gäbe es viele Leser, die den verlinkten Artikel nicht aufrufen, vor allem wenn sich dieser hinter einer Bezahlschranke verstecke.
Weitgehend forderte er sogar, dass Medien bei der Bildauswahl in Verdachtsfällen besondere Zurückhaltung walten lassen müssten. Er kritisierte ein Bild von Hubert Aiwanger, was diesen vermeintlich unvorteilhaft von unten zeigt und echauffierte sich über ein weiteres Bild des Spiegels von Lindemann, das ihn mit aufgerissenem Mund geradezu als Sexmonster vorverurteile. Spiegel-Justiziar Sascha Sajuntz wollte dies nicht stehen lassen und verwies darauf, dass es sich schlicht um ein Konzertbild handele, also um ein solches vom Ort des Geschehens und überdies die Vorwürfe der sexuellen Handlung an sich unbestritten seien. Andere Teilnehmer von Verlagsseite meldeten sich ebenfalls zu Wort und stellten darauf ab, dass es die Pressefreiheit verletzen würde, wenn man solche Artikel nur noch mit Passfotos illustrieren dürfte.
Die anschließenden Diskussionen etwa über die Frage, ob es noch ausgewogen ist, wenn eine Stellungnahme eines Betroffenen erst ganz am Ende eines Berichts kommt und wie viel "Meinung" bei Verdachtsberichterstattung erlaubt ist, zeigte den anwesenden Richterinnen und Richtern, dass in Sachen Verdachtsberichterstattung noch viel Abgrenzungsarbeit auf sie zukommen wird.
Schade nur, dass die aktuell spannendste Frage, wann überhaupt eine Verdachtsäußerung beginnt (mit der Folge, dass die strengen Regeln zur Verdachtsberichterstattung eingehalten werden müssen) oder "nur" eine meinungshaltige Schlussfolgerung vorliegt, nicht diskutiert wurde (dazu der LTO-Bericht zum Fall Lindemann vs. Lynn).
Gegendarstellung: Abschaffen oder aktueller denn je?
Im Panel über die Zukunft des Gegendarstellungsrechts trafen sodann zwei langjährige Großkaliber des Presserechts aufeinander. Einig waren sich Prof. Dr. Stefan Engels (DLA Piper) und Prof. Dr. Christian Schertz (Schertz Bergmann Rechtsanwälte) allein darin, dass der Gegendarstellungsanspruch aktuell ein Schattendasein führt, da dieser äußerst schwierig durchsetzbar ist. Dies beginnt schon mit der in den meisten Bundesländern bestehenden Notwendigkeit einer schriftlichen Zustellung und Unterschrift des Betroffenen. Zudem gilt im Gegendarstellungsrecht verbreitet das "Alles-Oder-Nichts-Prinzip".
Ist die Erwiderung zu lang (geschwätzig) oder umgekehrt zu bruchstückhaft (irreführend), kann dies nicht etwa im Gerichtsverfahren durch Anpassung korrigiert werden. Stattdessen verliert der Antragsteller den Prozess mit erheblichem Kostenfolgen und muss das gesamte Zuleitungs-Verfahren und etwaig Gerichtsverfahren neu aufrollen, wenn die Fristen dies überhaupt noch zulassen.
Auch Stefan Engels sieht diese Probleme, doch plädiert dafür, deshalb einen klaren Schritt zu vollziehen. Der Anspruch sollte gänzlich abgeschafft und dafür der Richtigstellungsanspruch effektiver für den Betroffenen ausgestaltet werden. Der Gegendarstellungsanspruch habe sich in Zeiten von Social Media, wo viele Betroffene größere Reichweite hätten als ganze Medien überholt. Dort und nicht beim länglichen Gegendarstellungsverfahren hätten sie die Möglichkeit, schnell entgegnen zu können. Für Christian Schertz ist der Anspruch hingegen ein Menschenrecht. Nicht zu Unrecht sei er im Zuge der Französischen Revolution erfunden worden. Der Anspruch müsse reformiert werden und auch der Redaktionsschwanz, der Medien eine Erwiderung erlaubt, abgeschafft werden. Schließlich appellierte Schertz an die Medien, Gegendarstellung ohne Gerichtsverfahren freiwillig abzudrucken.
Veranstaltungsleiter Mann schloss das Gegendarstellungs-Forum, indem er dem Publikum eine Bild-Zeitung aus dem Jahre 2006 zeigte. Dort hatte der ebenfalls anwesende Rechtsanwalt Johannes Eisenberg für die ehemalige Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein Heide Simonis erstmalig eine Gegendarstellung auf der Titelseite bis zum Umbruch durchgesetzt.
Berichterstattung über MeToo-Fälle
In der abschließenden, von Mann moderierten, Podiumsdiskussion sollte es dann eigentlich eher abstrakt um die MeToo-Berichterstattung gehen. Eisenberg (Eisenberg König Schork), Dr. Ben M. Irle (Irle Moser) und Verna Haisch (Cronemeyer Haisch) kamen jedoch immer wieder auf die Fälle "Till Lindemann" und "Luke Mockridge" gegen den Spiegel* zu sprechen, über deren genaue Feinheiten sie nicht gänzlich im Bilde waren, weswegen Lindemann- und Mockridge-Anwalt Simon Bergmann (Schertz Bergmann) sich im Publikum kaum auf dem Stuhl halten konnte. Die Diskussion verflachte hier rechtlich auch etwas und bewegte sich im Rahmen von Appellen à la "Den Frauen glauben" oder umgekehrt "Den Frauen nicht glauben".
Wie aber genau das Recht dieser Unsicherheit in Aussage-Aussage-Konstellationen begegnen soll, wie Frauen, die sich offen an Medien wenden und eidesstattliche Versicherungen abgegeben, vor dem Hintergrund von § 186 StGB (üble Nachrede) geschützt werden müssen oder sollten, wurde nicht weiter erörtert. Allerdings konnte das Forum in Sachen Unterhaltungswert durch stetige Interventionen von Simon Bergmann und Wortgefechte mit Johannes Eisenberg punkten.
Auch das Jahr 2024 verspricht im Presserecht und spiegelbildlich zu den gesellschafts-politischen Konfliktfeldern wieder interessant zu werden. Auch werden zum ersten Mal Oberlandesgerichte über die Berichterstattung zu Till Lindemann urteilen. Hinzu kommt die Neuaussteuerung des Verfügungsverfahrens und weiter schwelende Diskussionen um den fliegenden Gerichtsstand. Für genug Inhalt und Theatralik dürfte also auch auf dem 14. Presserechtsforum im nächsten Jahr gesorgt sein.
* konkretisierende Ergänzung am 6.2.24
MeToo-Berichterstattung, Verfügungsverfahren, Gegendarstellung: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53739 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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