Bundesweit rüstet sich die Polizei für Krawalle, die sie am Maifeiertag erwartet. Immer häufiger werden Polizisten im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen attackiert. Die Bundesregierung streitet über Möglichkeiten eines besseren Schutzes für die Beschützer. Polemik im NRW-Wahlkampf oder blutige Notwendigkeit?
Ähnlich wie in Frankreich und Griechenland starten Randalierer immer häufiger Attacken gegen Polizisten im öffentlichen Raum. Auch Feuerwehrleute, Rettungsdienstkräfte und Busfahrer werden zunehmend Opfer der Gewalt. Bei den Maikrawallen des vergangenen Jahres wurden allein in Berlin 479 Sicherheitskräfte verletzt. Die Behörden fragen sich, wie viele es in diesem Jahr sein werden.
Von der Justiz sind die Polizeibeamten zunehmend enttäuscht. Sie sehen ein stetiges Sinken der Hemmschwelle, einen Wandel in den Anschauungen, dem die Justiz jedenfalls nicht entgegenwirkt.
Ein hochrangiger Beamter, der selbst viele Jahre im polizeilichen Dienst war und ein erfahrener Volljurist ist, stellt einen direkten Zusammenhang her: "Wenn Polizeibeamte sich beispielsweise in Alltagssituationen als 'Ausländerhasser', 'komischer Vogel', oder 'Oberförster' bezeichnen lassen müssen und auch ein Ausspruch wie 'all cops are bastards' nicht dazu führt, dass die Täter nennenswert zur Verantwortung gezogen werden, sehen wir einen Wandel in den Anschauungen." Dieser eskaliere in Gewaltorgien, wenn die Möglichkeit zu Exzessen besteht. "Weil Täter nach Guerilla-Art aus Hinterhalten, aus dem Verborgenen oder aus der Anonymität agieren", so der Beamte.
Doch auch die Polizeiführungen sind in die Kritik geraten. Zwar können sie auf Grundlage der gestiegenen Verletztenzahlen auf einen generellen Anstieg der Gewalt verweisen. Intern aber werden die von polizeilicher Seite jahrelang angewandten Deeskalationsstrategien hinterfragt: Immer häufiger ist die Frage zu hören, ob ein Verständnis von Rechtsanwendung angebracht sei, das sich in der Beschwichtigung potenzieller Gewalttäter erschöpfe.
Der strafrechtliche Schutz der Polizeibeamten in der Diskussion
Auch die politischen Ebenen und die Berufsvertretungen sind in Sorge, der strafrechtliche Schutz der Polizeibeamten könne nicht ausreichen. Vorstöße, das Strafrecht mit dem Ziel, diesen Schutz etwa durch qualifizierte Tatbestandsmerkmale oder schärfere Strafandrohungen zu verfeinern, hatten in der Vergangenheit keinen Erfolg.
Heute suchen der Bund und die meisten Länder als Dienstherren der Polizei nach empirischem Material, das als belastbare Basis für eine Verbesserung des Strafrechtsschutzes dienen kann.
Indes streitet die Bundesregierung erbittert - und in den Medien zum Teil wenig klar - darüber, ob und wie Verbesserungen aussehen könnten. Innenminister Lothar de Maizière (CDU) fordert einen neuen besonderen Tatbestand für Körperverletzungen zum Nachteil von Polizisten. Dabei soll offenbar jede Attacke auf Polizeibeamte unmittelbar als Körperverletzung geahndet werden.
Parallel spricht die CDU sich für eine Erhöhung des Strafrahmens bei Gewalt gegen Polizisten aus.
Die FDP rund um Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lehnt hingegen Strafverschärfungen ab. Allein durch höhere Strafandrohungen ließen sich zu allem entschlossene Gewalttäter kaum beeindrucken. Ein Gesetzentwurf der FDP beschränkt sich nach Informationen des Magazins SPIEGEL darauf, Angriffe mit gefährlichen Werkzeugen auf Polizisten ebenso zu verfolgen wie Gewalttaten mit echten Waffen. Geplant zu sein scheint also eine Ausdehnung des Katalogs der besonders schweren Fälle nach § 113 Abs. 2 StGB.
Das geltende Recht
Derzeit riskiert eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, wer "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" nach § 113 StGB leistet. Dabei ist Tatbestandsvoraussetzung, dass der Täter mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder den Vollstreckungsbeamten tätlich angreift. Ein besonders schwerer Fall, geahndet mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu fünf Jahren, liegt vor, wenn der Täter eine Waffe mit Verwendungsabsicht bei sich führt oder durch die Tat schwere Folgen wie der Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung des Beamten entstehen (§ 113 Abs. 2 StGB).
Im Übrigen werden Beleidigungen, Körperverletzungen oder Nötigungen zum Nachteil von Polizeibeamten geahndet wie die zum Nachteil anderer Bürger auch, das heißt im Höchstmaß mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.
Die politische Diskussion - die in ihrer extrem lauten Ausprägung möglicherweise auch dem Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geschuldet sein mag - beschränkt sich soweit ersichtlich auf das Strafrecht.
Das Strafrecht, das in Polizeikreisen durchaus als zum Teil zu liberal beklagt wird, ist aber aus polizeilicher Sicht nur ein Hebel zur Lösung des Problems. Die Beamten weisen auf die Polizeigesetze der Länder hin, die ihnen Befugnisse schon im präventiven Bereich einräumen.
Der Insider, der namentlich nicht benannt werden möchte, fordert über die gesellschaftliche Ächtung von Gewalt hinaus eine konsequente Anwendung des Rechts im Einzelfall, die sich nicht auf repressive, das heißt strafrechtliche Maßnahmen beschränkt: "Die Polizei braucht nicht zu warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die Polizeigesetze des Bundes und der Länder halten ein differenziertes Instrumentarium bereit, mit dem vermutete Randalierer daran gehindert werden können, Unheil zu stiften – von der Gefährderansprache bis zur präventiven Freiheitsentziehung." Ein solcher Unterbindungsgewahrsam bedarf allerdings wiederum der richterlichen Bestätigung.
Von der gesellschaftlichen Relevanz möglicherweise gewandelter Anschauungen einmal abgesehen, stellen sich auch für Juristen und Kriminologen spannende Fragen: Könnte es ausreichen, wenn die Justiz vorhandene Strafrahmen extensiver ausschöpfte? Sind Neuregelungen überhaupt notwendig? Wenn ja, bedarf es Korrekturen schon im präventiven Bereich? Sind auf repressiver Ebene Änderungen erforderlich – oder auch nur geeignet? Gibt es Lücken im System oder wären Strafverschärfungen durch den Gesetzgeber angebracht?
Den Polizeibeamten, die am morgigen Tag ausrücken müssen, dürfte relativ gleichgültig sein, wie eine Regelung letztendlich aussieht. Wenn die laute Diskussion nicht nur viel Lärm um nichts war und die Spirale der Gewalt ein Ende findet.
Polizei: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/456 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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