Keine Deutschlandfahnen während der Fußball-EM: Polizei muss Flagge zeigen dürfen

Gastbeitrag von Dr. Florian Albrecht

22.03.2024

Berliner Polizisten sollen während der Fußball-EM im Sommer keine Deutschlandfahnen an ihren Dienstfahrzeugen anbringen dürfen. Denn die Beamten hätten Neutralität zu wahren. Dr. Florian Albrecht hält diese Begründung für nicht tragfähig.

Während der Heim-EM im Sommer sollen keine Deutschlandflaggen an Berliner Polizeiautos angebracht werden dürfen. Gegenüber t-online erklärte eine Sprecherin der Berliner Polizei, dass sich das Verbot auch auf Aufkleber und Ähnliches erstreckt. Die Polizeiführung begründet die Maßnahmen damit, dass die Neutralität und Unparteilichkeit der Beamtinnen und Beamten zum Ausdruck gebracht werden solle. Zudem könne eine entsprechende Beflaggung der Polizeifahrzeuge gegenüber den Fans gegnerischer Mannschaften eskalierend wirken. Es müsse dafür Sorge getragen werden, dass Einsatzkräfte bei Ausschreitungen zwischen rivalisierenden Anhängern nicht für Fans gehalten würden. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass seitens der Polizei im Umgang mit der Regenbogenflagge möglicherweise weniger streng verfahren wird.

Die zur Rechtfertigung der dienstlichen Anordnung angeführten Gründe überzeugen nicht. Insbesondere übersieht die Berliner Polizeiführung, dass das Neutralitätsgebot nicht gegenüber dem Staat gilt und durch das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung begrenzt wird. Die Beamtinnen und Beamten sind ihrem Dienstherrn gegenüber zur Treue verpflichtet. Das Zeigen der in Art. 22 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verankerten Bundesflagge zeugt nicht von fehlender Neutralität, sondern betont die im Beamtenverhältnis bestehenden engen Bindungen. Daran ändern auch die besonderen Umstände eines internationalen Fußballturniers nichts.

Die zur Begründung des Flaggenverbots angeführte Neutralitätspflicht gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG). Die Neutralität des Staates und seiner Funktionsträger soll insbesondere gewährleisten, dass die demokratische Willensbildung vom Volk hin zu den Staatsorganen und den Amtswaltern erfolgt und nicht umgekehrt. Zudem schützt die Neutralitätsverpflichtung den Bürger beim Gebrauch seiner Freiheitsrechte vor gleichheitswidrigen oder voreingenommenen Beeinträchtigungen. Die Beamtinnen und Beamten sollen sich bei ihren Amtshandlungen nicht von persönlichen Motiven leiten lassen, sondern sich am Gesetz orientieren.

Einheitliches Erscheinungsbild verkörpert Neutralität

Die Neutralität stärkt überdies auch das Vertrauen und die Achtung, die den Beamtinnen und Beamten seitens der Bürgerinnen und Bürger entgegengebracht werden. Der Polizeidienst ist wie kaum eine andere hoheitliche Tätigkeit darauf angewiesen, dass die mit Zwangsbefugnissen ausgestatteten Beamtinnen und Beamten als vertrauenswürdige und verlässliche Amtswalter wahrgenommen werden.

Diese Wahrnehmung hängt zu einem erheblichen Teil von deren Auftreten und äußerem Erscheinungsbild ab. Die Uniform und die Aufmachung der Dienstfahrzeuge stehen laut Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) als nach außen gerichtete, gut wahrnehmbare Zeichen dafür, "dass die Individualität der Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person der handelnden Beamten als hoheitliche Maßnahmen des Staates wahrgenommen werden", so das Gericht in einem Urteil vom 14. Mai 2020 (Az. 2 C 13.19, Rn. 26).

Vor diesem Hintergrund verfolgt der Staat legitime Interessen, wenn er hinsichtlich des Erscheinungsbilds der Polizei Regelungen wie § 74 Bundesbeamtengesetz (BBG) oder § 70 Landesbeamtengesetz Berlin schafft, die gewährleisten sollen, dass die Neutralität des Polizeidienstes nicht gefährdet wird. Das Zeigen der Deutschlandfahne als solches stellt die Neutralität der Polizei jedoch nicht in Frage.

Deutschlandflagge versinnbildlicht Verfassungstreue

Mit der Bundesflagge wird an die Tradition der nationalen und liberalen Bewegung des 19. Jahrhunderts angeknüpft. Sie steht mit ihren Farben Schwarz, Rot und Gold unter anderem für die Märzrevolution (1848) und die Weimarer Republik (1918 bis 1933). Als Nationalsymbol verkörpert die Deutschlandfahne "das Bekenntnis zur Einheit in der Freiheit" (Ludwig Bergsträsser) und versinnbildlicht die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Folglich steht die Bundesflagge mit ihren Staatsfarben für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes.

Die Bundesrepublik Deutschland nutzt die Bundesflagge zu ihrer Selbstdarstellung. Mittels der Beflaggung wird an das Staatsgefühl der Bürgerinnen und Bürger appelliert. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verweist darauf, dass die Bundesrepublik als freiheitlicher Staat auf die Identifikation ihrer Bürgerinnen und Bürger mit den in der Flagge versinnbildlichten Grundwerten angewiesen ist. Die Bundesflagge sei ein "wichtiges Integrationsmittel" (Urt. v. 07.03.1990, Az. 1 BvR 266/86 u. 1 BvR 913/87) und das Zeigen der Deutschlandfahne dementsprechend als deutliches Bekenntnis zu den Grundwerten des Grundgesetzes zu verstehen.

Das wirkt sich auf das Beamtenverhältnis aus, denn die Beamtinnen und Beamten der Polizeibehörden müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen (§ 60 Abs. 1 Satz 3 BBG, § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtstatusgesetz). Diese Verpflichtung begrenzt die Neutralitätspflicht, weil sich die im öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehenden Polizisten gegenüber den Grundwerten unseres Staats- und Gemeinwesens ausdrücklich nicht neutral verhalten dürfen. Damit setzt sich die Begründung des Flaggenverbots durch die Berliner Polizeiführung gar nicht auseinander.

Auch während einer Fußball-EM

Die Besonderheiten einer Fußball-Europameisterschaft ändern daran nichts. Sicherlich trifft es zu, dass Polizeibeamtinnen und -beamte während einer EM – in den Worten des ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch – "nicht in ihrer Eigenschaft als deutsche Fußballfans unterwegs" sein können. Allerdings dürfte selbst im Fangetümmel eine derart eingeschränkte Wahrnehmung der uniformierten Polizei eher fernliegend sein. Hinzu kommt, dass es sich beim "Flagge zeigen" im Kontext eines Länderwettkampfs um mehr als eine ausschließlich mit der Begeisterung für den Fußballsport erklärbare Geste handelt. Die Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft sind Fußballfans, aber auch Deutschlandfans.

Dies gilt auch hinsichtlich der fußballbegeisterten Polizeibeamtinnen und -beamte, die ihr Dienstfahrzeug mit der Deutschlandflagge schmücken wollen. Selbst dann, wenn im üblichen Dienstbetrieb auf das Zeigen der Deutschlandflagge verzichtet wird, steht die Bundesflagge wegen ihrer besonderen Bedeutung als Nationalsymbol auch im Kontext Fußball-EM für ein Bekenntnis zur Bundesrepublik und ihren Grundwerten. Dass sich Polizisten darüberhinausgehend auch als Fußballfans zu erkennen geben, steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Eine Inanspruchnahme der schwarz-rot-goldenen Flagge als bloße Fan-Devotionalie kommt nur dann in Betracht, wenn ihr Gebrauch nicht mehr dezent erfolgt, sondern Ausmaße annimmt, die dem mündigen Bürger Anlass zur Befürchtung geben, er habe es mit Extrem-Fans zu tun.

Ohnehin dürfte es vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs und der großen Anteilnahme der Bevölkerung an einer Europameisterschaft mit Blick auf die zu gewährleistende Neutralität unschädlich sein, wenn sich Polizisten als Fans zu erkennen geben, weil es sich dabei um keine politische Auffälligkeit handelt. Im Gebrauch der Deutschlandflagge kann dann auch kein objektiver Grund liegen, der aus Sicht eines vernünftigen Betrachters Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Beamtinnen und Beamten erregt. Dies gilt insbesondere im Kontext ausländischer Fußballfans. Deren Neutralitätserwartungen sind nämlich insofern nur eingeschränkt schützenwert, als solche Fans nicht an der demokratischen Willensbildung in Deutschland teilhaben können.

Auch Regenbogenflagge verletzt Neutralitätsgebot nicht

Auch das Anbringen einer Regenbogenflagge auf Polizeifahrzeugen verletzt die Neutralität staatlicher Stellen nicht. Im Streit um Schwarz-Rot-Gold auf Polizeiautos und -uniformen während der EM wies die Bild-Zeitung darauf hin, dass die Regenbogenflagge als LGBTQI-Symbol nicht von dem Verbot umfasst sei. Diese unterschiedliche Behandlung sei "merkwürdig". Richtigerweise sind beide Flaggen unproblematisch, also das Hissen beider Flaggen sollte erlaubt sein – und auch während einer Fußball-EM auch erlaubt bleiben.

Die Regenbogenfahne steht nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts Dresden (VG Dresden) "nach derzeitigem gesellschaftlichem Verständnis" für die "Toleranz und Akzeptanz, der Vielfalt von Lebensformen" (Beschl. v. 12.06.2020, Az. 6 L 402/20, S. 5). Diese Werte werden auch durch die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Deutschlandflagge verkörpert. Selbst dann, wenn man dies aufgrund vereinzelter Beeinflussungen des Diskurses durch aggressive LGBTQ-Aktivisten anders sehen wollte, würde es sich bei der Verwendung der Regenbogenflagge durch einen Polizisten um eine zumindest mehrdeutige Meinungsäußerung handeln, deren Sinn nach dem Verständnis eines vernünftigen Dritten zu ermitteln ist (BVerwG, Urt. v. 14.06.2023, Az. 2 WD 11.22, Rn. 25). Dass die Regenbogenflagge zum Zwecke der Ausgrenzung gebraucht wird, dürfte dann regelmäßig auszuschließen sein. Eine Gefährdung der Neutralität des öffentlichen Dienstes ist somit auch hier nicht festzustellen.

Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass das Zeigen der Bundesflagge und der Regenbogenfahne im Wesentlichen gleich zu behandeln sind. Das Zeigen solcher Flaggen sollte Polizeibeamtinnen und -beamten, jedenfalls dann, wenn es dezent erfolgt (etwa mit einer kleinen Reversnadel an der Uniform), erlaubt sein, wobei im Umgang mit dem Staatssymbol der Bundesflagge noch etwas mehr an Großzügigkeit geschuldet ist.

Deeskalationswirkung staatlicher Neutralität

Professionelles Handeln und die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit setzen voraus, dass sich Polizeibeamtinnen und -beamte in Konfliktsituationen deeskalierend verhalten und Gewalt nur dann anwenden, wenn es nicht anders geht. Deeskalierend wirken etwa Höflichkeit und Respekt sowie Transparenz und Verständnis für die andere Seite. Dazu gehört auch, dass sich Polizisten in Konfliktsituationen unparteiisch zeigen und professionell verhalten.

Dem trägt der Umstand Rechnung, dass sich staatliche Neutralität nicht aus der Sicht eines aggressiven und ggf. alkoholisierten Fußballfans bemisst, sondern aus der eines "vernünftigen Betrachters" (BVerwG, Urt. v. 20.02.2001, Az. 1 D 55/99, Rn. 37). Vor diesem Hintergrund kann es nicht die Aufgabe der Polizei sein, sich in vorauseilendem Gehorsam der mutmaßlichen Erwartungshaltung gewaltbereiter Fußballfans anzupassen. In Erinnerung zu rufen ist dabei der denkwürdige Auftritt der Bundesinnenministerin mit OneLove-Armbinde bei der Fußball-WM in Katar. Neutralität und Deeskalation können demnach durchaus auch durch andere Werte überlagert werden.

Dr. Florian Albrecht, M.A., ist Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Er lehrt und forscht insbesondere auf dem Gebiet des Beamtenrechts.

Zitiervorschlag

Keine Deutschlandfahnen während der Fußball-EM: . In: Legal Tribune Online, 22.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54185 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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