Ex-Kanzleramtschef Pofalla sitzt wohl bald im Vorstand der Deutschen Bahn, um dort die Kontakte zur Politik zu pflegen. Es ist nicht der erste Wechsel eines hochrangigen Politikers in die Wirtschaft, der in der Öffentlichkeit für Unmut sorgt. Der Strafrechtler Michael Kubiciel erklärt im Interview, warum er Karenzzeiten für kosmetisch, aber sinnvoll, und Interessenkonflikte für systemimmanent hält.
LTO: Sollte ein direkter Wechsel von der Politik in die Wirtschaft gesetzlich verboten werden? Etwa, indem man eine "Karenzzeit" einführt?
Kubiciel: Ich halte das für sinnvoll. Eine Karenzzeit muss sich aber an Art. 12 Grundgesetz (GG), also der Berufsfreiheit, messen lassen. Das Problem dabei ist: Wenn eine solche Abkühlungsphase tatsächlich Wirkung entfalten soll, dann müsste dieser Zeitraum sehr lang sein. Mehr als ein oder zwei Jahre halte ich aber für unverhältnismäßig, weil das einem Berufsausübungsverbot gleichkäme.
Eine Karenzzeit von zwölf bis maximal 24 Monaten ist daher eher ein Mittel der politischen Ästhetik, eine Regelung, die dem Ansehen der Politik in der Bevölkerung dient, und kein Mittel, um Interessenkonflikte wirklich auszuschließen.
Allerdings kann man Interessenkonflikte auch nicht vollständig verhindern. Man muss sie hinnehmen. Wenn wir Politiker nur für eine gewisse Zeit mit einem öffentlichen Amt ausstatten wollen, dann müssen wir ihnen auch gestatten, anschließend wieder einen Beruf auszuüben, der ihren Qualifikationen entspricht. Und dieser wird häufig einen Bezug zu ihrer früheren politischen Tätigkeit haben.
"Verstoß gegen Karenzzeit könnte mit Kürzung der Pension bestraft werden"
LTO: Wie lange müsste eine Karenzzeit sein, um einen Interessenkonflikt doch zu verhindern?
Kubiciel: Ein klarer Fall sind die Minister der ehemaligen Regierung Schröder, etwa Joschka Fischer. Deren heutige Tätigkeiten stehen nicht mehr im Zusammenhang mit früheren politischen Kontakten oder ihrem Wirken aus der Regierungszeit. Allerdings liegt die Regierungszeit von Gerhard Schröder nun schon viele Jahre zurück und eine so lange Karenzzeit wäre sicherlich nicht mit Art. 12 GG vereinbar.
LTO: Die Forderung nach einer Karenzzeit wird auch damit begründet, dass der Anschein der Vetternwirtschaft vermieden werden soll.
Kubiciel: Genau, es geht um die politische Ästhetik. Der Anschein der Käuflichkeit ist das, was die Bevölkerung am meisten in Aufruhr versetzt. Um diesem Anschein abzuhelfen, ist eine kurze Karenzzeit auch ausreichend.
LTO: Wie könnte ein Verstoß gegen eine Karenzzeit geahndet werden?
Kubiciel: Bisher gibt es solche Karenzzeiten nur für Berufsbeamte. Die haben die Pflicht, in den drei oder fünf Jahren nach dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses, Beschäftigungen anzuzeigen, die in einem Interessenkonflikt zu ihrer früheren Tätigkeit stehen könnten. Wenn sie das nicht tun, können ihnen die Bezüge gekürzt werden. Entsprechende Regelungen könnte man auch für Minister schaffen.
Nur zeigt die Praxis, dass die Anzeige häufig unterbleibt und selten zu Sanktionen gegriffen wird. Außerdem haben Berufsbeamte die Möglichkeit, auf ihre Pensionsansprüche zu verzichten. Damit sind sie dann nicht mehr gegenüber dem Staat verpflichtet. Sie müssen Tätigkeiten nicht anzeigen und keine Sanktionen fürchten. Wo keine Rechte, etwa auf ein Ruhegehalt, da keine Pflichten.
LTO: Es würde nicht ausreichen, an die frühere Tätigkeit des Beamten oder Ministers anzuknüpfen?
Kubiciel: Man kann das schon machen. Das begründete aber eine Sonderpflicht für herausragende Persönlichkeiten, die nicht mit einem Recht, beispielsweise auf Ruhegehalt, korreliert. Zur Stabilisierung des Vertrauens in die Demokratie, also eines fundamental wichtigen Rechtsguts, wäre das verhältnismäßig. Allerdings nur für einen sehr kleinen Personenkreis, wie die Bundesminister. Nicht für einfache Bundestagsabgeordnete oder Staatssekretäre.
2/2: "Pofalla muss sein Bundestagsmandat nicht aufgeben"
LTO: Zurück zu Pofalla: Kann er weiter Bundestagsabgeordneter bleiben, wenn er tatsächlich in Zukunft im Vorstand der Deutschen Bahn sitzt?
Kubiciel: Rechtlich ist er nicht dazu verpflichtet, sein Amt aufzugeben. Im Gegensatz zu Ministern dürfen Abgeordnete Nebentätigkeiten nachgehen. Sie müssen diese nur der Bundestagsverwaltung anzeigen und dabei auch die Gehaltsstufe offenlegen. Ob Pofalla sein Bundestagsmandat aufgibt, ist ebenfalls eine Frage der politischen Ästhetik.
LTO: Gibt es Grenzen für Nebentätigkeiten von Abgeordneten?
Kubiciel: Nein, der Umfang ist zeitlich nicht begrenzt und die Höhe der Einnahmen ist nach oben offen. Faktisch ist es aber natürlich auch für Parlamentarier nicht möglich, ihren Abgeordnetenstatus zur Fassade werden zu lassen. Schließlich müssen sie ihre Aufgaben in den Ausschüssen oder im Wahlkreis wahrnehmen.
LTO: Reichen die Regelungen für die Nebentätigkeit von Abgeordneten aus?
Kubiciel: Die kürzlich in Kraft getretene Verbesserung der Transparenz bei den Nebeneinkünften geht in die richtige Richtung. Das System ist mittlerweile schon sehr fein ausdifferenziert. Sicherlich wäre es ideal, wenn Abgeordnete verpflichtet wären, die Höhe ihrer Nebeneinkommen auf Heller und Pfennig offenzulegen. Ich weiß, dass es da rechtliche Schwierigkeiten gibt bei Freiberuflern, insbesondere bei Rechtsanwälten. Aber ich denke, das wäre lösbar.
Allerdings gibt es das aktuelle System ja auch erst seit Kurzem. Das sollte man erst einmal wirken lassen.
"Deutsche Bahn wird Pofalla nicht als Dankeschön einstellen"
LTO: Was ist mit dem umgekehrten Wechsel, von der Wirtschaft in die Politik?
Kubiciel: In diesem Fall ist ein "Interessenkonflikt" sogar erwünscht. Wenn Personen aus der Wirtschaft in die Politik wechseln, dann sollen sie ja gerade ihre Expertise und ihre Erfahrung in den politischen Prozess einbringen. Wir wollen ja nicht nur Berufspolitiker, sondern auch Abgeordnete und Minister, die aus dem realen Leben kommen. Und eben weil unser politisches System keine reine politische Berufselite kennt, ist die Möglichkeit eines Interessenkonflikts angelegt.
LTO: Aus der Perspektive des Strafrechtlers: Wann ist die Grenze zur Vorteilsannahme oder Bestechlichkeit überschritten?
Kubiciel: Im Fall von Roland Pofalla sicherlich nicht. Man wird nicht nachweisen können, dass das Jobangebot der Deutschen Bahn eine Gegenleistung ist, für eine Diensthandlung des ehemaligen Kanzleramtsministers. Das Unternehmen wird Pofalla nicht als Dankeschön einstellen, sondern um seine Expertise zu nutzen.
Bemerkenswert ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Vorteilsannahme sinkt, je enger der Bezug zwischen der späteren privaten Tätigkeit und der Tätigkeit im Amt ist. Umgekehrt heißt das: Ein klarer Fall der Vorteilsannahme läge vor, wenn ein Unternehmen einen ehemaligen Minister in einem Bereich einsetzt, für den er keinerlei Expertise hat. Letzteres lässt sich gerade bei den Herren Pofalla oder von Klaeden nicht sagen.
"Enquete-Kommission sollte Best-Practice-Regeln aufstellen"
LTO: Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD vorgenommen, angemessene Regelungen für scheidende Kabinettsmitglieder, Staatssekretäre und politische Beamte zu finden, um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden. Wie könnte das funktionieren?
Kubiciel: Zurzeit versucht man, die Probleme zu lösen, indem man aufs Strafrecht verweist. Da wird etwa die unzureichende Gestaltung der Abgeordnetenbestechung bemängelt. Wichtiger wäre es aber, die Verhaltensregeln zu präzisieren, an die das Strafrecht anknüpft. Die sind bisher viel zu diffus. Das betrifft sowohl die Regeln für Abgeordnete als auch jene für Minister.
Ich glaube jedoch nicht, dass die Politik alleine in der Lage ist, die Regeln zu präzisieren. Häufig fehlt der politische Wille, weil man selbst betroffen sein könnte. Auch besteht die Sorge, es könnten Verhaltensweisen verboten werden, die im politischen Geschäft unerlässlich sind. Deshalb sollte man eine Enquete-Kommission einsetzen, die Best-Practice-Regeln aufstellt. In einer solchen Kommission sollten neben aktiven auch altgediente Politiker sowie Personen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft sitzen.
LTO: Gibt es solche Überlegungen bereits?
Kubiciel: Von Seiten der Bundesregierung ist mir das nicht bekannt. Aber die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, also der Interessenverband der Lobbyisten, macht ähnliche Vorschläge. Die haben auch ein Interesse daran, sich von schwarzen Schafen zu distanzieren und das Verhältnis zwischen Privatwirtschaft und Politik auf eine transparente Basis zu stellen.
LTO: Die SPD hatte in ihrem Wahlprogramm vorgeschlagen, dass spätere Tätigkeiten ehemaliger Regierungsmitglieder von einer Ethikkommission oder dem Bundeskanzler genehmigt werden sollten. Was halten Sie davon?
Kubiciel: Von einer Genehmigung durch den Bundeskanzler halte ich nichts. Hier bestünde die Gefahr, dass die Entscheidung hauptsächlich politisch getroffen wird. Stellen Sie sich vor, Frau Merkel hätte über die Tätigkeiten von Herrn Schröder und seinen Ministern entscheiden müssen! Besser finde ich die Einschaltung einer Ethikkommission oder, das wäre meine Empfehlung, eines Bundesbeauftragten für Lobbykontrolle. Letzterer müsste jedoch erst geschaffen werden.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Professor Dr. Michael Kubiciel ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung an der Universität zu Köln. Er berät die EU in Antikorruptionsfragen, gibt hier aber ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Von der Politik in die Wirtschaft: "Interessenkonflikte erwünscht" . In: Legal Tribune Online, 06.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10554/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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