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Transparenz in der Rechtswissenschaft: Ver­giss mein Pla­giat nicht

Gastbeitrag von Dr. Jochen Zenthöfer

20.05.2023

Laptop

Plagiatsvorwurf: Vor mehr als sieben Jahren ist Ulrike Müßig kurz von der Bildschirmfläche verschwunden. Foto: fizkes/stock.adobe.com

Ein juristischer Aufsatz wird wegen Plagiaten gesperrt, taucht aber immer wieder auf. Doch statt ihn zu löschen, will die JuristenZeitung den Beitrag online lassen – und so potenzielle Täter abschrecken, beobachtet Jochen Zenthöfer.

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Vor mehr als sieben Jahren ist Ulrike Müßig kurz von der Bildschirmfläche verschwunden. Zumindest ihr digitales Selbst: Die JuristenZeitung (JZ) hatte einen "wissenschaftlichen" Aufsatz von ihr im elektronischen Archiv gesperrt. Die Professorin an der Universität Passau hatte von ihrem Frankfurter Kollegen Alexander Peukert abgeschrieben. Am 17. September 2015 berichtete LTO über den Fall an der Universität Passau. 

Doch verschollen war das Plagiat nie. Wie eine Langzeitverfolgung belegte, konnte man ihn noch Jahre später auf einer Plattform für 25 Dollar abrufen. Einen Hinweis auf das Plagiat suchte man vergebens. Damals erklärte der die JZ herausgebende Verlag Mohr Siebeck, es handele sich um den Fehler eines Dienstleisters. Daraufhin wurde der Aufsatz erneut gesperrt.  

Im Jahr 2021 tauchte er im Online-Archiv JSTOR auf. Verwunderung bei der JZ, Schriftleiter Martin Idler schrieb damals: "Ich werde gleich nachforschen, woher JSTOR die Daten bekommen hat." Letztendlich war der Vorgang aufgrund von Personalwechseln nicht vollständig zu rekonstruieren. Kurz danach verschwand der Artikel zum dritten Mal.  

Seine abermalige Wiederauferstehung feierte er im Dezember 2022. Nun führt JSTOR den Beitrag wieder in voller Länge – allerdings versehen mit einem Plagiatshinweis: "This article has been retracted because of plagiarism." Auch in der "Retraction Watch Database" ist der Sachverhalt inzwischen dokumentiert.  

Naming and Shaming 

Das von JSTOR gewählte Verfahren wird von Plagiatsexperten und der JZ begrüßt. Es habe den Vorteil, dass der Sachverhalt auf den ersten Blick transparent gemacht wird und transparent bleibt. "Vor allem aber dürfte die fortwährende Abrufbarkeit mit dem Hinweis auf das Plagiat eine abschreckende Wirkung haben: Autoren müssen so davon ausgehen, dass immer wieder jemand auf ihr Fehlverhalten aufmerksam wird, und nicht so leicht Gras über die Sache wächst", sagt Idler.  

Dem stimmt Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff von der HTW Berlin zu: "Da man davon ausgehen muss, dass veröffentlichte Aufsätze nicht nur gelesen, sondern auch zitiert worden sind, ist es zwingend notwendig, dass sie veröffentlicht bleiben." Diese Veröffentlichung müsse versehen sein mit einer Retraction-Kennzeichnung und gerne auch einer Retraction Notice, einer kurzen Erklärung, warum der Aufsatz zurückgezogen worden ist.  

"Dafür kann es viele Gründe geben", sagt Weber-Wulff LTO: "Wenn ein Aufsatz verschwindet, weiß man nicht, warum. Heutzutage könnte es dazu führen, dass man dann glaubt, einen von ChatGPT generierten, falschen Verweis gefunden zu haben." 

Das Plagiatsopfer stimmt der neuen Regelung zu 

Wie aber geht es dem Plagiatsopfer Peukert mit der neuen Kennzeichnung? Zumindest in den USA könnte Peukert als Inhaber eines verletzten Urheberrechts die Plattform JSTOR mit einer Takedown Order nach dem Digital Millenium Copyright Act dazu zwingen, den Aufsatz zu entfernen.  

Doch Peukert hat Zustimmung zu der Kennzeichnung als Plagiat erteilt; für ihn ist die Angelegenheit abgeschlossen. "Wichtig ist, dass sich die Wissenschaft Regeln gibt, wie mit solchen Täuschungsversuchen umgegangen wird", sagt er. Das ist nun bei der JZ vorbildhaft geschehen.   

In seinem von Müßig plagiierten Original von 2013 beschäftigte sich Peukert ausgerechnet mit dem Thema "Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Wissenschaft: Auf die Perspektive kommt es an!". Der Beitrag erschien im Journal of Intellectual Property, Information Technology and E- Commerce Law. 

Über das Urheberrecht zu schreiben, heißt nicht es zu beachten 

Dass es auf die Perspektive ankommt, dachte sich wohl auch Müßig. Grundlegende Sätze kopierte sie damals komplett, zum Beispiel den Satz: "Der urheberrechtliche Begriff der Wissenschaft hat mit methodengerechter Wahrheitssuche und intrinsischer Wahrheitsliebe nichts zu tun."  

Teilweise hatte Müßig das Original auch leicht umformuliert: Während es bei Peukert noch hieß "Dieser fundamentale Konflikt äußerte sich um die Jahrtausendwende in der sog. Zeitschriften(preis)krise", schrieb Müßig "Diese Problemlage wurde in der sogenannten Zeitschriftenkrise offensichtlich."  

Auch Fußnoten wurden übernommen, etwa die auffällige Zitierung: "Public Access to Science Act, 108th Congress (2003 – 2004), thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z; hierzu aus ökonomischer Sicht Shavell […]."  

Kurzum, es war ein klarer Fall. Deshalb fiel er in den Kreisen der Juristerei auch sofort auf. Schon wenige Wochen später, am 11. November 2015, stellte die Passauer Universitätsleitung fest, dass ein Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis vorliegt. Dieser Verstoß wurde ausdrücklich missbilligt. "Die Autorin hat das Fehlverhalten ohne Einschränkung eingeräumt", hieß es in einer Pressemitteilung der Hochschule, die weiterhin abrufbar ist.  

Ein virulentes Problem 

Aufsatzplagiate gibt es in der Rechtswissenschaft immer wieder. Im Jahre 2015 berichtete Hermann Horstkotte in der LTO, dass ein Habilitand eine Klausur fürs Staatsexamen irreführend als Aufsatz unter eigenem Namen veröffentlicht hatte. 

Der Berliner Rechtsprofessor Gerhard Dannemann berichtet, jeder vierte bis fünfte Artikel, der zur Veröffentlichung im von ihm herausgegebenen "Oxford University Comparative Law Forum" eingereicht wird, enthalte Plagiate. Entdeckte Aufsatzplagiate in deutschsprachigen Zeitschriften werden, wie man hört, bislang oft vertraulich zwischen den betroffenen Autoren und Verlagen verhandelt. Nachhonorierungen spielen dabei eine Rolle.  

Eine veröffentlichte Retraction Notice wäre da indes für die Wissenschaft transparenter. Die JZ ist ein Vorreiter, dem anderen Zeitschriften folgten sollten. 

 

Dr. Jochen Zenthöfer ist Journalist für Medien in Luxemburg und Deutschland. Er schreibt über Wissenschafts- und Rechtsthemen. Er hat unter anderem in Berlin Jura studiert und wurde an der Universität Potsdam promoviert. In der Vergangenheit war Zenthöfer etwa als Redenschreiber für den Ministerpräsidenten von Nordrhein- Westfalen tätig.

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Transparenz in der Rechtswissenschaft: Vergiss mein Plagiat nicht . In: Legal Tribune Online, 20.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51814/ (abgerufen am: 31.05.2023 )

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