Nach offiziellen Zahlen verlässt nur etwa jeder fünfte Ausländer, der zur Ausreise verpflichtet ist, die EU. Die EU-Kommission will das ändern. Dazu möchte sie eine Vereinheitlichung der verschiedenen Regelungen in den Mitgliedstaaten.
Die Europäische (EU) Kommission hat einen Plan für die schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber und sonstiger ausreisepflichtiger Ausländer vorgelegt. Er sieht unter anderem vor, den Druck auf Migranten zu erhöhen, die nicht bei der Rückführung kooperieren, wie aus einem Verordnungsvorschlag der Brüsseler Behörde hervorgeht. So drohen etwa Leistungskürzungen.
Außerdem soll die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten erleichtert werden, um die Verfahren zu beschleunigen. EU-Staaten sollen zudem die Möglichkeit bekommen, abgelehnte Asylbewerber in speziellen Abschiebezentren außerhalb der EU unterzubringen. Der Vorschlag zielt darauf ab, die Effizienz der Rückführungsverfahren zu steigern und in der gesamten EU vereinheitlichte Regeln zu schaffen. Nach Angaben der Kommission verlässt zurzeit nur etwa jeder fünfte Migrant, gegen den es eine Rückkehrentscheidung gibt, die EU.
"Das Vorhaben, die existierenden Regeln für Rückkehr und Abschiebungen aus der so genannten Rückführungsrichtlinie von 2008 zu reformieren, plant die Kommission bereits seit 2018", so Dr. Constantin Hruschka, Migrationsrechtler und Professor für Sozialrecht an der EH Freiburg. "Die Pläne haben es aber nicht in die Vereinbarung über das gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) geschafft. Hier geht es nämlich nicht nur um Asylsuchende, sondern auch um andere Ausreisepflichtige – etwa solche, die z.B. in der EU studiert haben und kein Aufenthaltsrecht mehr haben." Die nun angekündigten Regelungen seien bereits in einigen Ländern existent und sollen nach dem Wunsch der Kommission offenbar nun noch stärker vereinheitlicht werden, so Hruschka.
Leistungskürzungen bei fehlender Mitwirkung
Nach den Plänen der Kommission sollen Ausländer und abgelehnte Asylbewerber verpflichtet werden, aktiv an ihrer Rückführung mitzuwirken. Dazu gehört unter anderem, dass sie ihre Identität offenlegen und keine falschen Angaben machen. Wer sich weigert, soll mit Sanktionen rechnen müssen, etwa der Kürzung von Leistungen oder einem längeren Einreiseverbot.
Diese Regelung gibt es für Asylbewerber in Deutschland bereits seit Februar 2024: Nach § 15 Asylgesetz (AsylG) ist ein Ausländer verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und u.a. wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Auch die Möglichkeit zur Leistungskürzung für Menschen, die ihre Mitwirkungspflichten im Asylverfahren verletzen, besteht in Deutschland seit Jahren: Sie wurde bereits mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (Geordnete-Rückkehr-Gesetz) von August 2019 eingeführt. Das Gesetz aus dem damaligen Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer hatte damals für erhebliche Kritik gesorgt.
Ähnliche Regelungen gibt es bereits für die Ausländer, die keine Asylbewerber sind, etwa die Mitwirkungspflichten in § 48 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) - neu wären die Verpflcihtung in Deutschland also nicht.
Strengere Regeln für Sicherheitsbedrohungen
Für Personen, die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden, sollen nach der Vorstellung der EU-Kommission strengere Regeln gelten. So sollen etwa die Gründe für eine Inhaftierung erweitert werden.
Auch dazu hat die damalige große Koalition bereits für alle Ausländer mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz eine Verschärfung umgesetzt: So wurde unter anderem die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams in § 62b Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufhG) von zehn Tagen auf 28 Tage verlängert. Zudem wurde die Abschiebung von Straftätern in ihre Herkunftsstaaten erleichtert. Schon damals kritisierte der DAV-Ausschuss Migrationsrecht etwa den verlängerten Ausreisegewahrsam: "Die Haftkriterien in diesem Bereich sind ohnehin schon messerscharf. Die nun zur Debatte stehende Regelung ist kaum noch im Bereich der Verhältnismäßigkeit."
"Der Ausreisegewahrsam ist in dieser Form bisher sicher europarechtswidrig", meint auch Hruschka. Denn die einschlägige Rückführungsrichtlinie, Art. 15 bis 18 der RiLi, beinhalte diese Form der Inhaftierung nicht. Abschiebungshaft dürfe nämlich nur angeordnet werden, wenn ihre Durchführung auch möglich ist. Der Ausreisegewahrsam sei auch verfassungsrechtlich bedenklich, eine grundsätzliche Klärung liege gleichwohl auch aufgrund der geringen praktischen Relevanz bisher nicht vor.
Gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen
Die EU-Kommission wünscht sich zudem eine gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen: Die Mitgliedstaaten sollen im Regelfall Rückkehrentscheidungen innerhalb der EU gegenseitig anerkennen, um die Verfahren zu beschleunigen.
In Asylverfahren können sich die Mitgliedstaaten bereits auf die Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten verlassen. So hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits auf eine Vorlage aus Deutschland entschieden, dass die Mitgliedstaaten Folgeanträge stets bereits als unzulässig ablehnen können (EuGH, Urt. v. 19.12.24, Az. C-123/23 Khan Yunis, Az. C-202/23 Baabda). Dies gilt, wenn Ausländer einen erneuten Asylantrag in einem zweiten Mitgliedstaat stellen – und zwar unabhängig davon, welcher Mitgliedstaat die erste Entscheidung über einen Asylantrag getroffen hat. Das folge aus der Asylverfahrensrichtlinie, Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32, so der EuGH. Nötig sei nur, dass ein Mitgliedstaat bestandskräftig über den Fall entschieden habe und keine neuen Umstände hinzugetreten seien. Der EuGH verwies dazu auf die Legaldefinition des Begriffs des Folgeantrags in Art. 2 Buchst. q der Verfahrensrichtlinie (2013/32). Das Gericht betont, dass es bei dieser Rechtslage auch um die Eindämmung der sogenannten Sekundärmigration gehe.
Für Rückkehrentscheidungen allerdings gibt es die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen formal nicht das will die Kommission ändern. "Dies soll dann dazu führen, dass man eine ausreisepflichtige Person auch von Deutschland aus ins Herkunftsland abschieben kann, wenn bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat existiert". Ein Automatismus wäre allerdings mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, weil der rückführende Mitgliedstaat sicherstellen muss, dass der Person keine menschenrechtswidrige Behandlung droht.
Rückkehrzentren außerhalb der EU
Auch kein migrationspolitisches Neuland ist der Vorschlag aus der EU-Kommission, dass Ausländer und abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten, also außerhalb der EU, verbracht werden sollen, um von dort aus abgeschoben zu werden. Dabei müssten, so die Kommission, Menschenrechtsstandards eingehalten und die Umsetzung überwacht werden. Minderjährige und Familien mit Kindern sollen ausgenommen werden.
Diese Forderung gibt es aus verschiedenen Ländern seit einiger Zeit, eine erste Umsetzung versuchte – bereits als Nicht-EU-Land – Großbritannien mit dem so genannten Ruanda-Deal. Schon zum ersten geplanten Abschiebeflug hat der Euroäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) dessen Rechtswidrigkeit festgestellt, der Flug fand nicht statt. Inzwischen hat Premierminister Keir Starmer das Vorhaben seiens Vorgängers als Symbolpolitik beendet.
Die in Italien amtierende rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni arbeitet an dem Plan, schon Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen. Ihr erster Versuch, über die Asylanträge von Migranten in einem Lager in Albanien entscheiden zu lassen, war jedoch an der italienischen Justiz gescheitert. Die beiden eröffneten Lager stehen leer. Aktuell prüft der EuGH einen italienischen Erlass zu dem Vorhaben.
Auch in Deutschland wird seit Jahren über die Durchführung von Asylverfahren im Ausland diskutiert, Prof. Dr. Daniel Thym ordnete dies bereits 2023 für LTO ein. Im vergangenen Jahr debattierte die Innenministerkonferenz über diese Möglichkeit.
Die Kommission setzt indes nun bei den Abschiebungen an. Diese auf EU-Ebene zu koordinieren, dürfte für viele Politiker rechts von Bündnis90/Grüne auf Zustimmung stoßen.
"Dies ist eine Lieblingsidee der Kommission, aber es wird sich in der Praxis kein Land bereit erklären, solche Abschiebungen tatsächlich durchzuführen", so Hruschka. Albanien habe lediglich Land zur Verfügung gestellt, nach der Vereinbarung liegt die Verantwortung für die Durchführung der Abschiebung jedoch weiter in Italien. "Das wird rechtlich zu regeln sein, es wird aber in der Praxis sehr wahrscheinlich nicht umsetzbar sein", so Hruschka.
Parlament und Rat müssen zustimmen
Nach der Vorstellung des Gesetzesvorschlags durch die Brüsseler Behörde muss dieser vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union geprüft und angenommen werden. Die Reform gehört zu den zentralen Projekten der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den Vorschlag aus Brüssel. "Wir brauchen ein effektives Rückkehrsystem auf europäischer Ebene. Dabei muss ein Schwerpunkt auf umfassenden Pflichten von Ausreisepflichtigen und Sanktionen im Fall ihrer Verletzung liegen", sagte die SPD-Politikerin. Bürokratische Verfahren müssten vermieden werden.
Mit Material von dpa
Pläne für ausreisepflichtige Ausländer: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56775 (abgerufen am: 18.03.2025 )
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