Es ist wie verhext. Je länger über die Pkw-Maut diskutiert wird, desto mehr Probleme tun sich auf. Neben der Vereinbarkeit mit dem Europarecht, die nun auch die Bundestagsjuristen anzweifeln, könnte die Kontrolle den Zoll überfordern. Europarechtlich gibt es einen Ausweg, meint Volker Boehme-Neßler und appelliert dennoch: Es ist Zeit, rational über das Projekt nachzudenken.
Vor der Sommerpause hat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt seinen Vorschlag für die Pkw-Maut auf den Tisch gelegt. Was er will, ist allerdings nur in sehr groben Umrissen erkennbar. Er hat nämlich noch keinen fertigen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt, sondern nur ein skizzenhaftes Ideenpapier.
Zwei Eckpunkte scheinen aber klar zu sein. Sowohl ausländische als auch deutsche Autofahrer sollen eine Maut zahlen müssen, wenn sie das öffentliche Straßennetz – also Autobahnen, Land- und Kommunalstraßen – benutzen wollen. Für die deutschen Pkw-Halter werden die Kosten allerdings über einen Freibetrag in der Kfz-Steuer vollständig kompensiert. Das klingt erfrischend einfach, ist aber sehr problematisch.
Ein Bürokratie-Monster?
Dobrindt schlägt eine sehr differenzierte Maut vor. Es soll eine Reihe unterschiedlicher Vignetten zu abgestuften Preisen geben abhängig von zeitlichen und technischen Kriterien. Ähnlich wie die Kfz-Steuer wird der Preis für die Vignette nach der Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge sowie nach Hubraum und Zulassungsjahr gestaffelt.
Über die Kriterien lässt sich im Einzelnen (verkehrs-)politisch streiten. Eine Gefahr ist groß: Die von CSU-Chef Horst Seehofer so sehr gewünschte Maut könnte zum unkontrollierbaren Bürokratie-Monster mutieren. Je stärker ausdifferenziert eine Regelung ist, desto schwieriger und aufwändiger ist nämlich die Kontrolle. Als Kontrollbehörde ist im Augenblick der Zoll im Gespräch. Aus praktisch-organisatorischer Sicht ist das sinnvoll. Grundsätzlich hat die Zollverwaltung sicher die Fähigkeiten und die Ressourcen, um die Vignette auf den deutschen Straßen zu kontrollieren.
Allerdings warnt Finanzminister Wolfgang Schäuble, der oberste Dienstherr der Zollverwaltung, schon vor einer Überlastung. Gerade erst haben die Zollbeamten einen neue, sehr aufwändige Aufgabe erhalten: Sie müssen kontrollieren, ob die Vorschriften zum Mindestlohn in der Wirtschaft eingehalten werden. Damit sind sie jetzt für Hundertausende Betriebe und Millionen Arbeitnehmer zuständig.
Zudem hat Dobrindt als Vorteil seiner Lösung hervorgehoben, dass die Vignetten leicht zu erwerben sein sollen: online und über Automaten an Tankstellen. Ob ein Autofahrer die richtige Vignette kauft, lässt sich beim Verkauf also nicht kontrollieren. Die Kontrolle müsste während der Fahrt stattfinden. Patrouilliert der deutsche Zoll dann regelmäßig auf deutschen Straßen, um zu überprüfen, ob die richtigen Mautvignetten an den Windschutzscheiben kleben? Das wäre ein enormer Aufwand.
Europarecht gegen Innenpolitik
Das entscheidende Problem ist allerdings ein anderes. Die europarechtlichen Vorgaben und die innenpolitischen Anforderungen an die Maut widersprechen sich diametral. Innenpolitisch gilt weiter das Versprechen der Großen Koalition: Kein deutscher Autofahrer soll durch die Pkw-Maut stärker belastet werden als bisher. Die einfachste Lösung wäre deshalb, die Maut nur von ausländischen Autofahrern zu erheben. So wird sich das Seehofer im bayerischen Wahlkampf auch vorgestellt haben. Europarechtlich ist dieser Weg aber nicht gangbar. Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbietet die Diskriminierung von EU-Ausländern ganz eindeutig.
Mit etwas politischer Kreativität scheint sich ein Ausweg aus diesem Dilemma anzubieten. Alle Pkw-Fahrer – auch die deutschen – zahlen eine Maut. Damit scheint dem Antidiskriminierungsgrundsatz der EU Genüge getan. Um die deutschen Autofahrer aber nicht stärker als bisher zu belasten, werden sie parallel dazu bei der Kfz-Steuer entlastet. Damit hätte die Koalition auch dieses Versprechen erfüllt.
Das ist genau die Idee, auf der Verkehrsminister Dobrindt sein Maut-Konzept aufbaut. Damit verkennt er aber die europäische Rechtslage. Denn europäisches Recht wertet solche simplen Kompensationslösungen grundsätzlich als indirekte Diskriminierung, die genau wie eine direkte Ungleichbehandlung verboten ist. Darauf hat der Europäische Gerichtshof Deutschland bereits 1992 hingewiesen, als es um die Einführung einer Maut für schwere Lkw ging, die für deutsche Verkehrsteilnehmer über die Steuer kompensiert werden sollte (Urt. v. 19.05.1992, Az. C-195/90). Auf diesem Standpunkt steht in der aktuellen Diskussion auch die Europäische Kommission. Schon im Januar sagte Verkehrskommissar Siim Kallas kurz und bündig: "Es darf keine kostenlosen Vignetten oder auch Rabatte allein für in Deutschland registrierte Autos geben."
Der Bundesverkehrsminister sitzt also in der Zwickmühle. Erfüllt er sein Wahlversprechen, verletzt er europäisches Recht. Beachtet er dagegen das Europarecht, kann er das Wahlversprechen seiner Partei nicht erfüllen. Eine ausweglose Situation?
Ausweg: Umbau der Kfz-Steuer
Der Königsweg zur Lösung des Problems ist ein Umbau der Kfz-Steuer. So weitreichend die europäische Integration bisher ist, die Steuerhoheit liegt immer noch fast vollständig bei den Mitgliedstaaten. Sie dürfen ihr nationales Steuersystem grundsätzlich selbstständig gestalten. Deutschland dürfte also sein Kfz-Steuersystem umbauen, ohne dass europäische Vorgaben Einfluss darauf hätten. Entscheidend dabei ist nur, dass der Umbau keine indirekte Diskriminierung der ausländischen Autofahrer ist.
Wie lässt sich das erreichen? Das Kfz-Steuersystem müsste tief greifend geändert werden. Denkbar ist dabei vieles – so könnten Infrastrukturvorhaben künftig gänzlich über die Maut statt über Steuern finanziert werden. Das Ziel einer solchen Steuerrechtsnovelle wäre dann umfassender als die simple Entlastung der deutschen Autofahrer, letztere wäre nur noch ein willkommener Nebeneffekt, nicht das einzige oder vorrangige Ziel der Reform.
Es bleibt aber schwierig. Denn ein Umbau der Kfz-Steuer tangiert unterschiedlichste politische und wirtschaftliche Interessen. Der Finanzminister hat seine Einnahmen im Blick. Wirtschaftspolitiker und Lobbyisten der Automobilindustrie denken an die Interessen der Hersteller. Aus umweltpolitischer Sicht ist eine Änderung der Kfz-Steuer ebenfalls relevant.
Dazu kommen noch parteipolitische Überlegungen, die in der Steuerpolitik immer auch eine wichtige Rolle spielen. Vielleicht ist es Zeit, rational über den Sinn und die Machbarkeit der Maut nachzudenken. Immerhin ist der Wahlkampf, in dem sie erfunden wurde, schon lange vorbei.
Der Autor Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler lehrt unter anderem Staats- und Verfassungsrecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.
Volker Boehme-Neßler, Die Pkw-Maut zwischen Europarecht und Innenpolitik: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12782 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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