Die Piratenpartei hat beim BVerfG ein Organstreitverfahren eingeleitet. Sie hält sich für benachteiligt durch eine Änderung der Regeln zur Parteienfinanzierung. Und tatsächlich: Bei näherem Hinsehen bekommen die etablierten Parteien künftig ein bisschen mehr, der politische Nachwuchs aber erheblich weniger vom Staat – auch, wenn er viele Wählerstimmen hat, erklärt Sebastian Roßner.
Es war im Sommer des vergangenen Jahres, als der Bundestag zwischen Atomausstieg und Regelung der Präimplantationsdiagnostik eine unscheinbare, aber finanziell folgenreiche Änderung des Parteiengesetzes vornahm. Nach Ansicht der Piraten verschärft sie die Ungleichbehandlung großer und kleiner Parteien und steht "im klaren Widerspruch zu dem im Parteiengesetz verankerten Grundsatz, Parteien gemessen an ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu fördern".
Die Antragsschrift ist in Karlsruhe eingereicht, Bernd Schlämer, Stellvertretender Vorsitzender der Newcomer-Partei erklärte dazu "Man könnte meinen, dass eine Partei mit hohem Wahlerfolg auch ein Anrecht auf einen hohen Zuschuss hat. Doch auch wenn ihr nach Zahl der Wählerstimmen und Spendenhöhe mehr zustehen würde, wird der Zuschuss seit eh und je auf die Höhe der Eigeneinnahmen der Partei gekürzt. Nach den Neuregelungen wird einer kleinen Partei nun sogar noch Geld über die Höhe der Eigenfinanzierung hinaus gestrichen".
Tatsächlich erhalten Parteien, die über ein hohes Aufkommen aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen verfügen, künftig mehr Geld vom Staat. Weil die Gesamtsumme der staatlichen Parteienfinanzierung gedeckelt ist, bedeutet das weniger Budget für die übrigen Parteien. Die Änderung begünstigt bei näherem Hinsehen also Parteien mit einer ausgebauten Organisationsstruktur und spendenbereiten Unterstützern. Benachteiligt werden dagegen "startups", die an den Wahlurnen erfolgreich sind, aber noch keine umfangreichen Strukturen aufgebaut haben. Für die Großen gibt es künftig 1 bis 2 Prozent mehr, für die Kleinen aber erheblich weniger. Für die Piraten hätte der Verlust bei den Zuwendungen im Jahr 2010 etwa 12 Prozent betragen.
Die Parteienfinanzierung und ihre Grenzen
Um den Effekt nachvollziehen zu können, ist ein Ausflug in die Welt der staatlichen Parteienfinanzierung nötig: Im Jahr 1991 rückte das Bundesverfassungsgericht von der längst brüchig gewordenen Fiktion der bloßen Wahlkampfkostenerstattung ab und ließ eine allgemeine Parteienfinanzierung zu (Urt. v. 26.11.1991, Az. 2 BvE 2/89).
Damit die Parteien sich an den staatlichen Fleischtöpfen aber nicht so sehr mästen, dass ihnen jeder Hunger vergeht, sich weiter um die Gunst der Bürger zu bemühen, zogen die Karlsruher Richter der staatlichen Alimentation zwei Grenzen. Keine Partei soll mehr öffentliches Geld erhalten, als sie selbst durch eigenes Bemühen an Spenden, Mitglieds und Mandatsträgerbeiträgen und sonstigen Einnahmen erzielt, die so genannte relative Obergrenze. Die staatliche Parteienfinanzierung darf also maximal die Hälfte der Einnahmen einer Partei ausmachen.
Mit der so genannten absoluten Obergrenze deckelte das Gericht die Gesamtsumme der vom Staat an die Parteien fließenden Gelder. Es orientierte sich dabei an den Beträgen, die in den letzten Jahren vor seinem Sinneswandel an die Parteien geflossen waren und gestattete für die Zukunft lediglich eine angemessene Anpassung an die Preisentwicklung.
Diese beiden Grenzen begründete Karlsruhe mit der Staatsfreiheit der Parteien aus Art. 21 Abs.1 Grundgesetz (GG). Diese gebiete, dass die Parteien in finanzieller Hinsicht nicht völlig vom Staat abhängig werden dürfen.
Finanzierung nach Wahlerfolgen und Einnahmen
Die Chancengleichheit der Parteien wollte das höchste deutsche Gericht damals mit drei Kriterien sichern, an welche es die staatlichen Leistungen und deren Verteilung knüpfte: Den Erfolg einer Partei bei Wahlen, die von ihr eingeworbenen Spenden und die eingenommenen Mitgliedsbeiträge.
Diese Grundsätze hat das Parteiengesetz (PartG) in §§ 18 ff. zu einem System verarbeitet, in dem Parteien vereinfacht gesprochen für jede gewonnene Stimme 0,70 Euro erhalten. Zusätzlich fließen aus der Staatskasse 0,38 Euro für jeden Euro an Spenden und Mitglieds- oder Mandatsträgerbeiträgen in die Kasse der jeweiligen Partei.
Die so berechneten Ansprüche der Parteien werden in zwei weiteren Schritten anhand der absoluten und der relativen Obergrenze gekürzt.
Nach der alten Fassung des § 19a Abs. 5 S.1 PartG, gegen dessen Änderung die Piraten sich nun wenden, wurden dabei zunächst die summierten rechnerischen Ansprüche der absoluten Obergrenze (bis 2010 133 Millionen Euro, nunmehr erhöht auf 150,8 Millionen Euro ab dem Jahr 2012) unterworfen und entsprechend gekürzt. Die rechnerischen Ansprüche der einzelnen Parteien wurden anschließend proportional verringert, das heißt multipliziert mit dem Verhältnis des Betrags der absoluten Obergrenze zur Gesamtsumme der rechnerischen Ansprüche aller Parteien. Da dieser Faktor stets kleiner als 1 ist, vermindert die absolute Obergrenze die Ansprüche jeder Partei.
Den so auf jede Partei entfallenden Betrag kürzte das PartG dann durch die Anwendung der relativen Obergrenze. Standen ihm nicht selbsterwirtschaftete Mittel der Partei in gleicher Höhe gegenüber, wurden die staatlichen Zuwendungen für die jeweilige Partei entsprechend vermindert.
Weniger Kürzung für große Parteien
Das am 26. August 2011 verkündete Änderungsgesetz ändert die Reihenfolge, in der die Obergrenzen auf die zuvor errechneten Finanzierungsansprüche der Parteien angewendet werden. Die rechnerischen Ansprüche jeder Partei werden jetzt also zunächst auf das nach der relativen Obergrenze erlaubte Maß gekürzt, erst danach wird die absolute Obergrenze angewandt.
Die Kürzung, die daraus resultiert, fällt nun allerdings geringer aus als nach der alten Regelung. Denn nach der Kürzung des Gesamtbetrages, der an die Parteien ausgeschüttet wird, muss das verbleibende Geld proportional an die Parteien verteilt werden. Dazu wird zunächst der Gesamtbetrag nach der absoluten Obergrenze in Verhältnis gesetzt zu der Summe aller Finanzierungsansprüche der Parteien, die sich nach der vorherigen Kürzung durch die relative Obergrenze ergibt, also nicht mehr in Verhältnis zu den ursprünglichen rechnerischen Ansprüchen. Mit diesem nun größeren Faktor wird bei der proportionalen Verteilung für jede Partei der Betrag multipliziert, der sich ergibt, nachdem im ersten Schritt ihre rechnerischen Ansprüche durch die relative Obergrenze gekürzt wurden.
Obwohl die neue Regelung formal für alle Parteien in gleicher Weise gilt, verstärkt sie für einen Teil der Parteien den staatlichen Geldsegen und vermindert ihn für den Rest. Die relative Obergrenze reduziert nämlich die Ansprüche der Parteien nicht, bei denen die rechnerischen Ansprüche gegen den Staat hauptsächlich auf ihren privaten Zuwendungen beruhen. Diese Parteien profitieren von der jetzt geringeren Kürzung, die durch die absolute Obergrenze bewirkt wird.
Die Verlierer: Wer viele Stimmen, aber wenig Geld hat
Für die anderen Parteien, bei denen ein großer Anteil der rechnerischen Ansprüche auf gewonnene Wählerstimmen zurückgeht, die aber vergleichsweise wenige Eigenmittel erwirtschaften, wirkt die Gesetzesänderung umgekehrt: Früher hat die absolute Obergrenze bei ihnen die staatlichen Zuwendungen effektiv nicht vermindert, da der verbleibende Betrag stets größer war, als es die relative Obergrenze zuließ. Nach der neuen Gesetzeslage werden bei diesen Parteien aber zunächst die rechnerischen Ansprüche auf das nach der relativen Obergrenze erlaubte Maß gestutzt. Weil nur der verbleibende Rest dann der absoluten Obergrenze unterworfen wird, kommt es nun zu einer zweiten Kürzung.
Die Änderung von § 19a Abs. 6 S. 1 PartG verschiebt also die effektive staatliche Bezuschussung weg von den gewonnenen Wählerstimmen hin zu den privaten Zuwendungen - nach der Devise, wer hat, dem wird gegeben. Faktisch begünstigt werden davon alle im Bundestag vertretenen Parteien. Vom Gesetzgeber sicherlich nicht intendierte Nutznießer der neuen Regelung wären nach den Zahlen der Festsetzungsbescheide von 2010 unter anderem auch die NPD, die Republikaner und die DVU gewesen.
Die etablierten Parteien bremsen den Nachwuchs aus
So richtet sich der von den Piraten angestrengte Organstreit denn auch wegen der beschriebenen Effekte hauptsächlich gegen die neue Reihenfolge, in der die Obergrenzen angewandt werden. Vorstellbar ist, dass das BVerfG hier auf einen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG erkennt.
Zwar betrifft die Regelung formal alle Parteien. Sie wirkt sich jedoch auf unterschiedliche Typen von Parteien höchst unterschiedlich aus: Wer über eine ausgebaute Organisationsstruktur und spendenbereite Unterstützer verfügt, wird auch zukünftig staatlich gefördert. Der politische Nachwuchs dagegen, der solche Strukturen erst aufbauen muss, verliert mit den Änderungen, mag er an den Wahlurnen auch noch so erfolgreich sein.
Um den politischen Wettbewerb und damit die Demokratie zu schützen, handhabt das BVerfG den Grundsatz der politischen Chancengleichheit streng. Daher beziehen die Karlsruher Richter auch die praktischen Auswirkungen einer Norm in ihre Prüfung ein. Es ist gut denkbar, dass sie es nicht goutieren werden, wenn die größeren Parteien in eigener Sache Gesetze machen und ihre finanzielle Lage auf Kosten der kleineren Parteien verbessern, zumal sie damit praktisch das Nachwachsen politischer Konkurrenz bremsen.
Eine weitere interessante verfassungsrechtliche Frage haben die Piraten dem BVerfG gestellt, indem sie behauptet haben, es sei verfassungswidrig, die Mandatsträgerbeiträge mit staatlichen Zuschüssen an die Parteien zu prämieren. Tatsächlich darf man fragen, welchem Zweck solche Zuschüsse dienen. Mandatsträgerbeiträge sind zwar eine indirekte Konsequenz von Wahlerfolgen, aber diese belohnt der Staat ja bereits direkt, nämlich pro gewonnener Stimme, mit staatlichen Zuwendungen. Die Beiträge sind auch kein Nachweis für einen sonstigen Rückhalt der Partei in der Bevölkerung, der über die ohnehin bestehende Mitgliedschaft des Mandatsträgers in der Partei hinausgeht. Auch hier könnte das BVerfG die staatliche Parteienfinanzierung zurückschneiden.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, Piraten klagen gegen Parteienfinanzierung: . In: Legal Tribune Online, 09.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5738 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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