770 Stunden Arbeit, die Folge ein Rückgang der Umsätze – mit wie viel sollte ein Pflichtverteidiger dafür entschädigt werden? Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl beantragte 77.000 Euro. Das OLG München bewilligte 5.000 Euro. Das ist so unangemessen wenig, dass sich Anwälte überlegen müssen, ob sie es sich leisten können, in Großprozessen als Pflichtverteidiger aufzutreten, meint Ingo E. Fromm.
Vergangene Woche sorgten die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe wieder für Aufregung. Wolfgang Stahl hatte einen Gebührenvorschuss von 77.000 Euro für seine Arbeit im Ermittlungsverfahren beantragt. Das Oberlandesgericht (OLG) München bewilligte ihm aber nur 5.000 Euro, nicht einmal ein Zehntel.
Die Befangenheitsanträge, die das Verteidiger-Trio anschließend einlegten, blieben erfolglos. Ob die Entscheidung über den Vorschuss kostenrechtlich zutreffend war, ist damit zwar nicht festgestellt worden. Allerdings ist sie unanfechtbar, § 51 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
Pflichtverteidiger bekommen 20 Prozent weniger als Wahlverteidiger
Strafrechtliche Großverfahren, die sich wie der NSU-Prozess über eine lange Zeit erstrecken, spannen die Verteidiger erheblich ein. Um die Bemühungen des Anwalts angemessen zu vergüten, ist daher in der Regel eine Stundenhonorarvereinbarung notwendig, vgl. § 3a RVG.
Da solche Großverfahren meist vor den Land- oder Oberlandesgerichten stattfinden, handelt es sich um Fälle der notwendigen Verteidigungen nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung. Ist der meist inhaftierte Angeklagte nicht in der Lage, die Kosten für seinen Verteidiger selbst zu tragen, so wird ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet.
Das Honorar für Pflichtverteidiger liegt 20 Prozent unterhalb der Gebühren für einen Wahlverteidiger. Der Rechtsanwalt, der sich auf eine derartige Strafverteidigung übernimmt, muss daher wissen, auf was er sich einlässt.
Um zu vermeiden, dass sich die Tätigkeit als Pflichtverteidiger in einem umfangreichen Strafprozess als "Draufzahlgeschäft" entwickelt, sieht das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz als finanziellen Ausgleich die Pauschvergütung gemäß § 51 RVG vor. Dafür muss der Anwalt allerdings in einem schriftlichen Antrag möglichst konkret darlegen, dass ein Tätigwerden nur auf Grundlage der gesetzlichen Vergütung wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar ist.
OLG bewilligen Pauschalgebühr sehr zurückhaltend
Die Anzahl der Hauptverhandlungen ist dabei ein wesentliches Kriterium für die Gewährung der Extragebühr, ebenso der Aktenumfang und die Dauer des Verfahrens. Legt der Rechtsanwalt den überdurchschnittlichen zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit inklusive der notwendigen Vor- und Nachbereitung der Termine plausibel dar, ist der Staat verpflichtet, dem Pflichtverteidiger dafür eine zusätzliche Vergütung zu bezahlen.
Die Pauschalgebühr wird grundsätzlich erst nach Abschluss des Verfahrens gewährt. Auf Antrag gibt es allerdings einen angemessenen Vorschuss, vgl. § 51 Abs. 1 S. 5 RVG; etwa dann, wenn dem Anwalt wegen der Dauer des Verfahrens und der Höhe der zu erwartenden Pauschalgebühr nicht zugemutet werden kann, das Ende des Prozesses abzuwarten.
Die Bewilligung von nur 5.000 Euro Vorschuss für die Arbeit im Ermittlungsverfahren im wohl einzigartigen Mammutprozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe vor dem OLG München belegt einmal mehr die insgesamt zurückhaltende finanzielle Zuerkennung von Pauschalgebühren durch die Oberlandesgerichte.
596 Ordner, 770 Stunden Arbeit
Der Pflichtverteidiger hatte sich auf den besonderen Aktenumfang von 596 Stehordnern berufen und vorgetragen, 770 Stunden zur Bearbeitung des Mandats über einen Zeitraum von etwa 51 Wochen investiert zu haben. Außerdem sei sein Umsatz durch die zeitintensive Verteidigung der Angeklagten erheblich zurückgegangen, was Stahl mit konkreten Zahlen aus diesem Jahre belegt hatte.
Bei einem Stundensatzes von 100 Euro kam er damit auf eine Pauschgebühr von 77.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer. Zum Vergleich: Die gesetzliche Gebühr eines Pflichtverteidigers für das Vorverfahren hätte (nur) 299 Euro nettobetragen. Diese Summe setzt sich zusammen aus der Grundgebühr plus einen Zuschlag, da Zschäpe in Haft ist (Nr. 4101 VV RVG i.H.v. 162,00 EUR), sowie der Verfahrensgebühr im Ermittlungsverfahren plus Zuschlag (Nr. 4105 VV RVG i.H.v. 137,00 EUR).
Das OLG München hielt einen Vorschuss von 77.000 Euro dagegen nicht ansatzweise für gerechtfertigt durch den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens. Das Gebührensystem nach § 51 RVG sehe eine Abrechnung auf Stundenbasis nicht vor, weshalb die pauschalierte Vergütung nicht nach einem fiktiven Stundenlohn festgesetzt werden könne.
Staatskasse hielt sogar 3.000 Euro für angemessen
Bei der Berechnung des Vorschusses orientieren sich die Gerichte in der Regel an den Höchstgebühren für Wahlverteidiger, die für das Ermittlungsverfahren 687,50 Euro betragen. Mehr gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn andernfalls der Pflichtverteidiger nicht angemessen entschädigt würde.
Ein Vorschuss, der über das 7,3-fache der gesetzlichen Höchstgebühren für einen Wahlverteidiger hinausgeht, befand das OLG München allerdings für unangemessen hoch. Die Vertreterin der Staatskasse hatte gar eine pauschale Vergütung in Höhe von nur 3.000 Euro für angemessen und ausreichend gehalten.
Man könnte bei einer Zahlung eines derart geringen Betrages den Eindruck gewinnen, dass dem Staat nicht daran gelegen ist, dass Zschäpe und spätere Angeklagte in anderen Großverfahren gut verteidigt werden. Die Folge einer derartigen Rechtsprechung ist nämlich, dass sich Anwälte fortan nicht mehr in umfangreichen Strafprozessen als Pflichtverteidiger engagieren werden, weil es finanziell für sie nicht vertretbar ist.
Der Autor Dr. Ingo E. Fromm ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht bei caspers mock Anwälte in Koblenz.
5.000 Euro Vorschuss für Anwälte im NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9606 (abgerufen am: 07.10.2024 )
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