Neues Pflegelöhneverbesserungsgesetz: Mehr Geld für Pfle­ge­kräfte?

Gastbeitrag von Benjamin Keck, LL.M.

02.08.2019

Deutschland benötigt zehntausende Pflegekräfte, um den Bedarf zu decken. Mit dem Entwurf des Pflegelöhneverbesserungsgesetz verfolgt der Gesetzgeber einen umstrittenen Versuch, den Beruf attraktiver zu machen, erläutert Benjamin Keck.

Das marktwirtschaftliche Gesetz von Angebot und Nachfrage greift in der streng regulierten Pflegebranche nicht. Und so spiegelt sich der Fachkräftemangel auch nur sehr begrenzt in einer gelegentlich höheren Vergütung der Pflegekräfte wider. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich eine spürbare Erhöhung des Gehaltsfaktisch nur durch höhere Zuzahlungen der zu pflegenden Bewohner bzw. höhere Pflegeversicherungsbeiträge refinanzieren lässt.

Für den Bereich der Altenpflege gilt bereits seit 2010 ein branchenspezifischer Mindestlohn, der in der Pflegearbeitsbedingungenverordnung geregelt ist. Der Pflegemindestlohn liegt mittlerweile bei 11,05 Euro im Westen mit Berlin und bei 10,55 Euro im Osten. Gerade examinierte Kräfte erzielen zwar bereits heute weitaus höhere Löhne. Finanziell attraktiv ist der Beruf des Altenpflegers freilich dennoch nicht.

Die Bundesregierung hat nun den Entwurf eines Gesetzes für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) vorgelegt, das Kabinett hat ihn beschlossen. Ziel des Gesetzes sind höhere, nach Qualifikation differenzierende Mindestlöhne und ein Wegfall der Ost-West-Differenzierung beim Pflegemindestlohn. Rechtstechnisch will die Bundesregierung das Ziel über eine Anpassung des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) erreichen. Das Gesetz soll bis Ende 2019 in Kraft treten.

"Tarifvertrag für alle?"

So soll ein neuer § 7a Abs. 1a AentG eingeführt werden. Dieser ermöglicht es, durch Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit ohne Zustimmung des Bundesrats Tarifverträge auf die gesamte Pflegebranche zu erstrecken.

Als zu erstreckenden Tarifvertrag fassen die beiden Ministerien bereits jetzt einen Tarifvertrag ins Auge, der von der just im Juni 2019 gegründeten Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.Di) noch in diesem Jahr noch geschlossen werden soll. Die BVAP ist ein Zusammenschluss von nicht privaten Pflegeanbietern und Wohlfahrtsverbänden, unter anderem des Arbeiter-Samariter-Bundes, der Arbeiterwohlfahrt, der Diakonischen Dienstgeber in Niedersachsen, des Paritätischen Gesamtverbandes und der Volkssolidarität.

Die Verbandsgründung des BVAP erfolgte nach eigenen Angaben, um einen repräsentativen Tarifvertrag in der Pflege durchzusetzen.

Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit bleiben auf der Strecke

Der Zusammenhang zwischen Gesetzesinitiative und Gründung des Arbeitgeberverbands drängt sich damit nicht nur auf, er wird sogar offen eingeräumt. Staatliche Neutralität in der Tarifpolitik sieht allerdings anders aus. Kritische Stimmen sprechen gar von Klientelpolitik zugunsten des neu gegründeten Arbeitgeberbands BVAP und Ver.Di. Das gilt umso mehr, als die unter dem BVAP versammelten Träger weit davon entfernt sind, die Mehrheit der Beschäftigten zu repräsentieren – die Mehrheit arbeitet in privaten Einrichtungen. Zudem lässt sich das geplante Gesetz mit dem historisch gewachsenen und sozialrechtlich vorgeschriebenen Gebot der Trägervielfalt nicht in Einklang bringen. So ist ein gleichberechtigtes Nebeneinander von öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Pflegeheimen und Pflegediensten zwingend. Deren Vielfalt, Selbstständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängigkeit ist zu wahren und zu achten.

Gegen die geplante Erstreckung des Tarifwerks auf Grundlage des neuen Gesetzes sprechen wegen des Eingriffs in die Tarifautonomie auch gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken. Voraussetzung für die Erstreckung eines Tarifvertrags ist nach wie vor ein gebotenes öffentliches Interesse, das einen Verdrängungswettbewerb aufgrund sinkender Löhne voraussetzt. Aktuell gibt es indes keinen Verdrängungswettbewerb aufgrund sinkender Löhne in der Pflege. Das Gegenteil ist der Fall, herrscht in der Pflegebranche doch Vollbeschäftigung.

(Zu) starke Rolle der kirchlichen Träger

Der Bedeutung der kirchlichen Träger in der Pflege trägt die Bundesregierung in dem Entwurf ebenfalls Rechnung. Die eigens von den Kirchen benannten Kommissionen erhalten danach Gelegenheit, noch vor Abschluss des jeweiligen Tarifvertrags zu dessen voraussichtlichem Inhalt Stellung zu nehmen. Ohne die Zustimmung von mindestens zwei repräsentativen Religionsgesellschaften soll keine Erstreckung eines Tarifvertrags auf die gesamte Pflegebranche möglich sein. Das ist bemerkenswert. Sind die kirchlichen Träger aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts – Stichwort "Dritter Weg" – doch überhaupt nicht von einer Erstreckung eines Tarifvertrags betroffen. Dennoch sieht der Gesetzesentwurf praktisch ein Vetorecht der Religionsgesellschaften vor. Sicherlich wird sich zu gegebener Zeit das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu befassen haben, ob dieser Weg mit der Koalitionsfreiheit in Einklang steht.   

Ständige Pflegekommission zur Bestimmung eines Pflegemindestlohns

Neben der Tarifvertragslösung sieht das Pflegelöhneverbesserungsgesetz die Errichtung einer dauerhaft eingerichteten Pflegekommission vor. Bisher löste sich die Pflegekommission nach der Entscheidungsfindung zu einem Pflegemindestlohn jedes Mal wieder auf. Die Kommission setzt sich mit jeweils zwei Mitgliedern aus dem Gewerkschaftslager, aus dem Arbeitgeberlager, aus dem Lager der kirchlichen Dienstgeber und aus dem Lager der kirchlichen Dienstnehmerseite zusammen. Diese Kommission soll insbesondere Empfehlungen zu Mindestlöhnen, zur Dauer des Erholungsurlaubs, zum Urlaubsentgelt oder zusätzlichem Urlaubsgeld geben. Anders als bislang soll die Kommission dabei nach dem Willen der Bundesregierung berücksichtigen, dass der Pflegemindestlohn nach Qualifikation differenziert ausfällt und die unterschiedliche Höhe des Pflegemindestlohns in Ost- und Westdeutschland wegfallen soll. Warum der Gesetzgeber der Pflegekommission nun zusätzliche Vorgaben bei der Festlegung des Pflegemindestlohns macht, ist völlig unverständlich angesichts der ausdrücklich im Gesetzesentwurf vorgesehenen Weisungsfreiheit der Kommissionsmitglieder.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann über § 11 AEntG sodann aufgrund einer Empfehlung der Kommission durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates bestimmen, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen auf alle Arbeitsverhältnisse in der Pflegebranche Anwendung finden. Den Fall einer möglichen Konkurrenz zwischen einer Verordnung nach § 7a AEntG (Tarifvertragslösung) und § 11 AEntG (Kommissionslösung) will der Gesetzgeber zugunsten der Tarifvertragslösung lösen. Das überzeugt nicht. Der BVAP und Ver.Di werden bei den Pflegekräften in arge Erklärungsnot geraten, wenn es zu der Situation kommt, was durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass die Pflegekommission einen Branchenmindestlohn vorschlägt, der oberhalb der im Tarifvertrag vorgesehenen Löhne liegt – auch in diesem Fall soll die Tarifvertragslösung Vorrang haben.

Finanzierung unklar

Das Berliner IGES Institut, ein unabhängiges Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen, hat im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit die finanziellen Auswirkungen einer flächendeckenden tariflichen Entlohnung errechnet und mit jährlich 3,1 bis 5,2 Milliarden Euro beziffert. Wie das Ganze finanziert werden soll? Diese Frage lässt die Bundesregierung unbeantwortet. Es sei vorgesehen, Pflegebedürftige und Angehörige vor einer Überforderung bei den Eigenanteilen in der Pflege zu schützen sowie einen Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge über 40 Prozent zu vermeiden. Mit anderen Worten: Die Finanzierung der Kosten ist aktuell noch vollkommen ungeklärt. Mit Spannung darf daher erwartet werden, ob der rechtlich und tatsächlich auf dünnem Eis gebaute Gesetzesentwurf der Bundesregierung tatsächlich einmal in Kraft treten wird.

Benjamin Keck, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist in der auf das Arbeitsrecht in der Pflegebranche spezialisierten Sozietät Steinrücke.Sausen tätig.

 

Zitiervorschlag

Neues Pflegelöhneverbesserungsgesetz: Mehr Geld für Pflegekräfte? . In: Legal Tribune Online, 02.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36851/ (abgerufen am: 14.04.2024 )

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