Patientenrechtegesetz: Kein zweiter Pschyrembel

von Dominik Franzki

05.12.2012

Der Gesetzgeber hat die Rechte der Patienten nicht neu erfunden. Die Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler ist langjährige Rechtsprechungspraxis, ein Härtefallfonds für Ärztefehler wird nicht eingerichtet und so manch neuer Begriff ist eine Worthülse. Dennoch sollten Ärzte und Patienten einen Blick in den Teil des BGB werfen, der nun den Behandlungsvertrag regelt, meint Dominik Franzki.

Trotz teils heftiger Kritik aus der Opposition beschlossen die Abgeordneten der Regierungskoalition am vergangenen Donnerstag das neue Patientenrechtegesetz, das voraussichtlich im Frühjahr 2013 in Kraft treten wird. In den §§ 630a bis h Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird damit der "Behandlungsvertrag" eingeführt. Die neuen Vorschriften sollen kein Sonderrecht für Ärzte sein, sondern für nahezu alle Berufsgruppen im Gesundheitssektor gelten.

Zwar mag es merkwürdig anmuten, dass Logopäden und Masseure haftungsrechtlich mit den Human- und Zahnmedizinern gleichgestellt werden. Die nichtärztlichen Gesundheitsberufe müssen aber nicht fürchten, in Zukunft wie ein Arzt zu haften. Sie müssen weiterhin nur den Sorgfaltsmaßstab erfüllen, der sich an ihrem eigenen Beruf orientiert, nicht am Facharztstandard.

Unsauberer Umgang mit dem Begriff "Informationspflichten"

Neu ist der Begriff der "Informationspflichten" in § 630c BGB, der als Oberbegriff die allgemeinen, behandlungsbezogenen Schutzpflichten des Mediziners aufgreift. Die gesetzgeberische Intention, eine klare Abgrenzung zwischen den Pflichten des § 630c BGB und der auf konkrete Eingriffe bezogenen Selbstbestimmungsaufklärung in § 630e BGB zu schaffen, ist zwar nachvollziehbar; letztlich ist der Begriff aber nicht viel mehr als eine Worthülse, hinter der sich die bekannten Rechtsfiguren der Sicherungsaufklärung, der wirtschaftlichen Aufklärung und der Fehleroffenbarungspflicht verbergen.
Besonders unglücklich ist in diesem Zusammenhang die Wortwahl in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB, die die Sicherungsaufklärung nicht hinreichend von der Selbstbestimmungsaufklärung abgrenzt.

Bearbeitung der Patientenakte nur noch bei Kenntlichmachung der Änderungen

Außerdem dürfen Ärzte die Patientenakte nur noch so bearbeiten, dass dabei der vorherige Inhalt erkennbar bleibt. Damit soll verhindert werden, dass Ärzte die Patientenakte nachträglich abändern, um die Beweissituation in einem Haftungsprozess zu ihren Gunsten zu verschieben. Demselben Ziel dient auch die Verpflichtung des Mediziners, dem Patienten Kopien der unterschriebenen Aufklärungs- und Einwilligungsunterlagen auszuhändigen (§ 630e Abs. 2 S. 2 BGB).

Erfreulicherweise ist der Gesetzgeber dem Verlangen von Teilen der Opposition nicht nachgekommen, die Beweislastumkehr nicht nur auf grobe, sondern auch auf einfache Behandlungsfehler zu erstrecken. Dies hätte die ausgewogene Rechtsprechung massiv zu Lasten der Ärzte verändert. Es wäre zu befürchten gewesen, dass wegen der hohen Haftungsrisiken nur noch eine so genannte Defensivmedizin betrieben worden wäre, bei der zu viel diagnostiziert und zu wenig therapiert worden wäre.

Kein Fonds für Härtefälle

Ebenfalls nicht aufgegriffen wurde ein Härtefallfonds für Ärztefehler. Dieser hätte bei entsprechender Ausgestaltung langwierige Arzthaftungsprozesse überflüssig machen können und dadurch sowohl Patienten als auch Zivilgerichte entlasten können. Ein tragfähiges Konzept für einen solchen Fonds hatte bis zuletzt niemand vorgelegt. Die Finanzierung blieb unklar.

Außerdem ist eine Fondslösung nur schwer mit dem deutschen Haftungssystem vereinbar, das den potentiellen Schädiger dazu anzuhalten soll, seine Sorgfaltspflichten zu beachten. Ein Härtefallfonds würde dem Arzt das Risiko einer Haftung zumindest teilweise abnehmen, so dass das verhaltenslenkende Element des Haftungsrechts ins Leere liefe.

In einen Härtefallfonds sollten auch keine zu großen Hoffnungen gesetzt werden, weil dieser nur in einer geringen Anzahl von Fällen eingreifen könnte. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten ist das Projekt aber noch nicht endgültig ad acta gelegt und könnte – getrennt vom Patientenrechtegesetz – erneut aufgegriffen werden.

Keine allzu großen Impulse zu erwarten

Mit dem Patientenrechtegesetz hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht aufgegriffen. Massive Änderungen, die das Arzt-Patienten-Verhältnis aus dem Gleichgewicht hätten bringen können, sind damit unterblieben. Allzu große Impulse sind von dem Gesetz allerdings auch nicht zu erwarten.

Als Nutznießer des Patientenrechtegesetzes können sich in erster Linie die Ärzte fühlen. Zum einen bleiben ihnen zu Recht schärfere Haftungsregeln erspart. Zum anderen können sie erstmals Grundzüge des an sie gerichteten Pflichtenprogramms nachlesen, ohne dafür einen Fachanwalt aufsuchen zu müssen.

Die Hoffnung der Bundesregierung, das BGB werde von nun an neben dem Pschyrembel zur Bücherausstattung einer jeden Arztpraxis gehören, wird sich allerdings wohl kaum erfüllen.

Der Autor Dominik Franzki ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht (Prof. Dr. Thomas Mann) an der Georg-August-Universität Göttingen. Daneben verfasst er eine Dissertation im Medizinrecht bei Prof. Dr. Andreas Spickhoff.

Zitiervorschlag

Dominik Franzki, Patientenrechtegesetz: Kein zweiter Pschyrembel . In: Legal Tribune Online, 05.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7712/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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