Manchmal ist der Gesetzgeber regelungswütig, manchmal faul. Wenn es um Minderjährige und deren Gesundheit geht, trifft irgendwie beides zu. Was dem 17-Jährigen verboten ist, der 14-Jährige darf und warum die Pubertät generell schwierig ist für den Arzt, erklärt Sebastian T. Vogel.
Der Kinder- und Jugendschutz ist ein hehres Gut. Vor allem, sollte man meinen, in medizinischen Fragen. Doch in nicht wenigen Konstellationen werden Ärzte allein gelassen. Kein Gesetz, zum Teil noch nicht einmal eine gefestigte Rechtsprechung existieren zu der Frage, ob und wann der Wille des Kindes beachtlich ist.
Leicht lassen sich diese Fragen zwar beantworten, wo das Gesetz doch bestimmte Altersangaben macht oder gar die Entscheidungswege aufzeigt. Das ist aber nur in Spezialbereichen der Fall wie etwa bei der Organspende oder Arzneimittelprüfung. Ab wann das Kind gegen den Wunsch der Eltern eine Impfung verweigern kann, ob der Arzt bei einer minderjährigen Schwangeren einen Abbruch vornehmen darf, ohne ihre Eltern zu fragen, steht nirgends.
Darauf lassen sich freilich Antworten finden, damit Ärzte die überall lauernde Haftungsfalle umgehen können. Die Frage aber bleibt, ob man diese Problemkreise nicht gleichwohl irgendwo regeln sollte. Und die noch größere Frage: Wie?
Der Klügere liest nach
Feste Altersgrenzen sind beispielsweise im Transplantationsgesetz (TPG) benannt. Wer schon frühzeitig Organspenden misstraut, kann nach § 2 Abs. 2 S. 3 TPG mit 14 Jahren einen Widerspruch erklären, den auch die Eltern nicht überstimmen dürfen. Für eine Zustimmung zur Organspende nach dem eigenen Tod muss der Jugendliche schon 16 Jahre alt sein. Und wer etwa eine Niere spenden mag, wird nur gehört, wenn er volljährig ist (§ 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a TPG). Eine Zwischenlösung gibt es bei der Knochenmarkspende: Bei Minderjährigen bedarf es stets der Zustimmung der Eltern. Ist der Jugendliche einwilligungsfähig, erkennt er also Wesen, Bedeutung und Tragweite der Entnahme, muss auch er aktiv einwilligen. Erkennt er dies nicht, ist nur ein etwaiger Widerspruch zu beachten; eine Einwilligung ist nicht nötig. Ohne die Eltern geht aber nichts (§ 8a TPG).
Eine ähnliche Regelung findet sich bei klinischen Arzneimittelprüfungen nach § 40 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes (AMG). Für Minderjährige gänzlich ausgeschlossen ist es hingegen, eine Patientenverfügung im Sinne von § 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu verfassen. Selbst diejenigen, die eine lange Leidesgeschichte hinter sich haben und um die Folgen genau wissen, dürfen für die Zukunft nicht über den Abbruch etwaiger lebenserhaltender Maßnahmen rechtsverbindlich verfügen.
18 Jahre sind auch das Alter, ab dem Tabak und Schnaps das erste Mal legal erworben werden dürfen. Auch dies sind gesundheits- und jugendschützende Regelungen.
Ansonsten heißt es: improvisieren
Während diese Spezialfälle geregelt sind, ist der übliche ärztliche Behandlungsfall nirgends normiert. Schwangerschaftsabbrüche, Schönheitsoperationen, Impfungen, der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen: Hier bekommt der Arzt vom Juristen grobe Leitlinien an die Hand, darf aber im Einzelfall selbst sehen, wo er bleibt.
Ganz grob gilt: Wer unter 14 Jahre ist, ist in der Regel einwilligungsunfähig, anstelle des Kindes müssen die Eltern einwilligen. Der Fünfjährige kann also noch so schreien, die Impfung darf es trotzdem geben. Bei allen Über-16-Jährigen wird im Regelfall von der Einwilligungsfähigkeit ausgegangen. Die verständige 17-Jährige kann also sehr wohl einen Schwangerschaftsabbruch bekommen, ohne dass der Arzt ihren Eltern – Schweigepflicht! –davon erzählen muss oder darf.
Für beide Fälle aber gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel. Man nehme den Fall eines Elfjährigen, der eine lange Leidensgeschichte mit x Chemotherapien hinter sich hat, intelligent ist und eine strapaziöse neuerliche Chemotherapie mit geringer Erfolgsaussicht in Kenntnis aller Vor- und Nachteile ablehnt. Hier kann es sein, dass gerade dieses Kind am besten weiß, was es will, weshalb ein solcher Wunsch zum Behandlungsabbruch im Einzelfall verbindlich sein kann. Ebenso kann eine Jugendliche von 17 Jahren, die eine Brustvergrößerung und eine Liposuktion verlangt, nur um ihrem Idol ähnlicher zu sehen, unter Umständen als einwilligungsunfähig betrachtet werden.
Der Raum zwischen 14 und 16 Jahren ist der Interpretation des Arztes anheimgestellt. Er hat sich ein Bild von dem Jugendlichen zu machen und zu eruieren, ob dieser einwilligungsfähig ist. Kann er die Tragweite des Eingriffs nicht überblicken, müssen die Eltern an seiner Statt einwilligen. Ansonsten ist nur der Jugendliche gefragt.
Der Logik folgen, Entscheidungswege ändern
Diese Rechtslage entbehrt nicht jedweder Logik. Minderjährige unter 14 Jahren im Regelfall als einwilligungsunfähig, über 16 Jahren regelmäßig als einwilligungsfähig zu betrachten, ist praxistauglich und wird der Realität gerecht. Die in jedem Fall möglichen Einzelfallbetrachtungen verhindern ungerechte, weil zu pauschale Entscheidungen: Kinder gleichen Alters können, abhängig etwa von Bildungsstand und Geschlecht, unterschiedlich weit sein in ihrer geistigen Entwicklung. Im Übrigen ist jedem Arzt auch zuzutrauen, seine Patienten, gerade die 14- bis 16-jährigen, richtig einzuschätzen. Dies sollte der Gesetzgeber folglich nicht ändern, jedoch angesichts mancher Irrläufer in der Rechtsprechung endlich gesetzlich festschreiben.
Bei gewissen Entscheidungen sollte der Arzt aber nicht allein gelassen werden, namentlich bei nicht-indizierten und bei lebensgefährdenden Eingriffen und deren Unterlassen. Will heißen: Bei Behandlungsabbrüchen, gefährlichen Operationen und nicht-indizierten Eingriffen sollte eine zusätzliche Instanz installiert werden.
Hier gibt der Gesetzgeber eine gewisse Logik vor. Einer postmortalen Organspende zuzustimmen (mindestens 16 Jahre), erst recht sie abzulehnen (14), ist weniger folgenreich als einer Lebendspende (18 Jahre plus Begutachtung durch eine auch psychologisch versierte Kommission). Gleichsam bei der Knochenmarkspende oder klinischen Arzneimittelprüfungen Minderjähriger, die ebenso nicht indiziert sind, muss mit den Eltern stets eine zusätzliche Instanz entscheiden. Bei Entscheidungen über das eigene Leben per Patientenverfügung sind Minderjährige ganz ausgenommen. Letztlich vor Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Wochen ist altersunabhängig eine zusätzliche Beratung vorgeschrieben, was auch dem Lebensschutz, nämlich des Ungeborenen, dient.
Diese Logik sollte auch auf Behandlungsabbrüche, gefährliche Operationen und nicht-indizierte Eingriffe angewandt werden. Die Juristin Lysann Hennig hat in ihrem Standardwerk über "Tattoos, Piercings, Schönheitsoperationen" ein Regelungsmodell vorgeschlagen, wonach je nach Schwere des medizinisch nicht-indizierten Eingriffs eine zusätzliche Instanz eingeschaltet werden muss: zumindest die Eltern, bei Schönheits-OPs auch ein Psychologe sowie eine Kommission.
Bei von Minderjährigen gewünschten Behandlungsabbrüchen und arg risikobehafteten Operationen sollte außerdem ein Psychologe verpflichtend beigezogen werden. Dies dient dem Schutz vor unbedachten Entscheidungen, vor denen auch einwilligungsfähige Minderjährige nicht gefeit sind. Dass sie stärker geschützt werden müssen, zeigen die Regelungen zur Lebendspende, Patientenverfügung und Arzneimittelprüfung. Insofern sollte der Gesetzgeber auch hier eine zusätzliche Instanz fordern. Die bei der Formulierung einer solchen Regelung rauchenden Politikerköpfe wären dann in der Tat gesundheitsförderlich.
Der Autor Dr. iur. Sebastian T. Vogel ist Rechtsanwalt in der auf das Strafrecht spezialisierten Kanzlei Fachanwälte für Strafrecht am Potsdamer Platz in Berlin. Er bearbeitet dort u. a. den Bereich Medizin- und Arztstrafrecht.
Rechte des Patienten Kind: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11732 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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