Auch Syrer, die sich durch ihre Flucht dem Wehrdienst entzogen haben, sind nicht als Flüchtlinge anzuerkennen. Das hat das OVG NRW heute auf eine Berufung des BAMF entschieden und seine jüngste Rechtsprechung fortgesetzt.
Syrer, die das Land wegen des Militärdienstes verlassen haben, erhalten keine Flüchtlingseigenschaft. Das hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschieden (OVG NRW, Urt. v. 04.05.2017, Az. 14 A 2023/16.A). Damit hat der 14. Senat seine jüngste Rechtsprechung fortgesetzt. Syrer erhalten damit als Bürgerkriegsflüchtlinge lediglich subsidiären Schutz iSd § 4 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG).
Geklagt hatte ein 20-Jähriger. Er hatte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angegeben, sein Land wegen des Militärdienstes verlassen zu haben. Über den gewährten subsidiären Schutz hinaus hatte er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt.
OVG: Rückkehrer sind keine politischen Gegner
Das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf hatte der Klage stattgegeben (Urt. v. 29.08.2016, Az. 13 K 9495/16.A). Auf den Aspekt des Militärdienstes waren die Richter allerdings mit keinem Wort eingegangen, da er für ihre Entscheidung keine Rolle gespielt hatte. Vielmehr erkannte das Düsseldorfer VG – ebenso wie viele Verwaltungsgerichte in ganz Deutschland - dem Mann bereits wegen seiner Herkunft aus dem Bürgerkriegsland Syrien den Flüchtlingsstatus zu. Ein wesentlicher Unterschied zwischen subsidiär Schutzberechtigten und Flüchtlingen besteht darin, dass nur letztere ihre Familien nachholen dürfen.
Der 14. Senat des des OVG NRW teilt diese Auffassung nicht. Auch gebe es keine Erkenntnisse darüber, "dass rückkehrende Asylbewerber wegen des Umstandes, dass sie sich durch Flucht dem Wehrdienst entzogen haben, vom syrischen Staat als politische Gegner angesehen und verfolgt würden", teilte das Gericht mit.
Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG wäre allerdings genau das erforderlich: Dem Kläger müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner politischen Überzeugung oder Religion eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte drohen.
OVG spricht erneut von lebensfremder Einschätzung
Für Syrer, die ohne drohenden Wehrdienst geflohen waren, hatte das OVG NRW bereits im Februar geurteilt, dass diesen lediglich der subsidiäre Schutz zuzuerkennen sei. In jener Entscheidung argumentiert der Senat ebenso wie in der heutigen, dass der syrische Staat den wegen des Krieges geflohenen Zivilisten nicht pauschal auch eine gegen den Staat gerichtete politische Gesinnung zuschreiben würde. Eine derartige Vermutung sei "lebensfremd".
Diese Argumentation zogen die Richter nun auch gegenüber dem 20-jährigen heran, der sich dem Wehrdienst entzogen hatte: Die Annahme "liege noch ferner für Flüchtlinge, für die der zusätzliche Fluchtgrund bestehe, sich vor den weitaus größeren Gefahren des unmittelbaren Kriegseinsatzes in Sicherheit zu bringen", entschied das OVG.
Syrisches Regime ist nicht realitätsblind
Es liege "angesichts des kulturübergreifend verbreiteten Phänomens der Furcht vor einem Kriegseinsatz als Motivation zur Wehrdienstentziehung in Kriegszeiten für jedermann auf der Hand, dass "Flucht und Asylbegehren syrischer Wehrpflichtiger regelmäßig nichts mit politischer Opposition zum syrischen Regime, sondern allein mit - verständlicher - Furcht vor einem Kriegseinsatz zu tun hat", so der Senat unter Vorsitz von Dr. Otmar Schneider.
Das müsste nach Einschätzung des OVG auch das syrische Regime verstehen: "Es hieße, dem syrischen Regime ohne greifbaren Anhalt Realitätsblindheit zu unterstellen, wenn angenommen wird, es könne dies nicht erkennen und schreibe deshalb jedem Wehrdienstentzieher eine gegnerische politische Gesinnung zu."
Auch an einer für die Anerkennung als Flüchtling erforderlichen Verfolgungshandlung fehlt es nach Ansicht des OVG. Zwar könne unterstellt werden, dass es durch die syrische Armee zu völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen komme. Der Kläger habe aber den Militärdienst nicht verweigert, sondern sich dem lediglich durch Flucht entzogen. Eine Verweigerung i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG sei auch nicht bei einer hypothetischen Rückkehr zu erwarten.
2/2: OVG bisher durchgängig gegen Anerkennung entschieden
"Die Entscheidung setzt die zunehmend restriktive Linie obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf Geflüchtete aus Syrien fort und ist insofern keine große Überraschung", sagt Marcel Keienborg, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Asylrecht und Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. "Das macht die Begründung dieser Gerichte jedoch nicht weniger erstaunlich. Es gibt mehr als nur deutliche Hinweise auf Kriegsverbrechen, die durch Assads Regime begangen wurden. Dennoch vertrauen die Gerichte darauf, dass die syrischen Stellen willens und in der Lage sind, mit Rückkehrern aus dem westlichen Ausland rational umzugehen."
Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Flüchtlingsstatus von Syrern fielen bislang sehr unterschiedlich aus – auch ohne den zusätzlichen Aspekt der Wehrdienstverweigerung. Obergerichtlich haben das OVG Schleswig und das OVG Münster bislang restriktiv entschieden: Beide urteilten ebenso wie nun das OVG NRW, teilten die Auffassung des BAMF und lehnten den Flüchtlingsstatus ab.
Das OVG Niedersachsen hat für Ende Juni eine weitere Entscheidung in dieser Frage angekündigt (OVG, Az. 2 LB 117/17 und 2 LB 78/17 auf Berufung zu VG Oldenburg, Urt. v. 13.01.2017, Az. 2 A 6283/16). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat für den morgigen Freitag eine Entscheidung in dieser Frage in drei Fällen angekündigt (Az.: A 11 S 513/17 und A 11 S 530/17 sowie A 11 S 562/17)
Weiteres Urteil der 13. Kammer in der Welt
Inzwischen hat die 13. Kammer des VG Düsseldorf auch speziell zur Frage des Flüchtlingsstatus im Kontext des Militärdienstes eine weitere Entscheidung getroffen und den Flüchtlingsstatus zuerkannt (Urt. v. 10.03.2017, Az. 13 K 8452/16.A). Die Richter des VG Düsseldorf bezogen sich auf das wehrdienstbezogene Regelbeispiel des § 3a Abs.2 Nr.5 AsylG, nach dem eine hinreichend eingriffsintensive Verfolgungshandlung regelmäßig angenommen werden könne bei einer Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs.2 AsylG fallen.
Ebenso hatte im Übrigen auch die 5. Kammer des VG Düsseldorf im Fall eines Syrers im wehrpflichtigen Altern entschieden (Urt. v. 15.02.2017, Az. 5 K 7480/16.A), ebenso wie das VG Chemnitz, das VG Aachen (Urt. v. 14.02.2017, AZ: 9 K 2245/15.A u.a.) und das VG Oldenburg (Urt. v. 18.11.2016, Az. 2 A5162/16).
Beim OVG sind derzeit weitere 121 Verfahren syrischer Asylbewerber anhängig (Anträge auf Zulassung der Berufung). Bei den sieben Verwaltungsgerichten in NRW sind mehr als 13.500 Syrien-Verfahren anhängig. In der ersten Grundsatzentscheidung vom 21. Februar 2017 war der Senat davon ausgegangen, dass syrische Asylbewerber nicht generell als Flüchtlinge anzuerkennen sind; die Frage der Wehrdienstentziehung hatte sich in dem Verfahren nicht gestellt.
Tanja Podolski, OVG Münster zu Schutzstatus bei Wehrpflicht: Kein Flüchtlingsstatus für Syrer im wehrdienstfähigen Alter . In: Legal Tribune Online, 04.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22823/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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