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OVG NRW entscheidet über Kohlekraftwerk: Wie recht­mäßig ist Dat­teln IV?

von Tanja Podolski

24.08.2021

Das Kraftwerk Datteln IV.

P.S.DES!GN - stock.adobe.com

Mit Datteln IV läuft seit einem Jahr ein Steinkohlekraftwerk, dessen Bau seine Gegner für rechtswidrig halten. Das OVG NRW wird am Donnerstag über den zugrunde liegenden Bebauungsplan der Stadt entscheiden.

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Datteln IV ist ein brandneues Kraftwerk in NRW, das entgegen der Empfehlung der damaligen Kohlekommission vergangenes Jahr ans Netz gegangen ist. Für die Betreiberin, die Uniper Kraftwerke GmbH (Uniper) mit Sitz in Düsseldorf, ist es "eines der modernsten Steinkohlekraftwerke der Welt". Für seine Gegner ist Datteln IV das "Klimakiller-Kraftwerk". Am Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster ist es ein Fall. Der 10. Senat wird aller Voraussicht nach am Donnerstag entscheiden, ob der dem Bau des Kraftwerks zugrunde liegende vorhabenbezogene Bebauungsplan der Stadt Datteln rechtmäßig ist (Az. 10 D 106/14, 10 D 40/15 und 10 D 43/15).

Antragsteller in den Normenkontrollverfahren sind die angrenzende Stadt Waltrop, die Naturschutzorganisation BUND NRW sowie fünf Privatpersonen. Antragsgegnerin ist die Stadt Datteln. Der Betreiber Uniper sowie das Land NRW sind beigeladen. Die Antragsteller wenden sich gegen den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 105a - Kraftwerk - der Stadt Datteln. Der Bebauungsplan soll das Steinkohlekraftwerk Datteln IV, das seit Mai 2020 in Betrieb ist, planerisch absichern.

Schon einmal unwirksam, dann neu aufgesetzt

Diverse Verfahren gegen das Kraftwerk laufen seit rund vierzehn Jahren: Ein erstes Ergebnis gab es bereits 2009, als das OVG NRW auf das von einem Landwirt aus Waltrop angestrengte Verfahren gegen einen ersten Bebauungsplan für das Kraftwerk diesen für unwirksam erklärte (Urt. v. 03.09.2009, Az. 10 D 121/07). Der Bau des Kraftwerks wurde daraufhin - vorübergehend - gestoppt.

Die OVG-Richterinnen und -Richter hatten u.a. moniert, dass der Plan nicht mit der Landesentwicklungsplanung übereinstimme. Der sah als Standort für ein Großkraftwerk ein weiter entferntes Gebiet im Nordosten der Stadt vor. Außerdem seien die Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes nicht ausreichend beachtet worden. Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zurück (BVerwG, Beschl. v. 16.03.2010, Az. 4 BN 66.09).

Auch der BUND ging gegen das Kraftwerk gerichtlich vor, u.a. gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks. Das OVG Münster hob auf diese Klage der Naturschutzorganisation den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid ebenfalls auf (Urt. v. 12.06.2012, Az. 8 D 38/08.AK). Auch dieser Entscheidung half das BVerwG nicht ab. Der weitere Bau des Kraftwerks lag allerdings zu dieser Zeit schon wegen des erfolgreichen Landwirts auf Eis.

Landesregierung ermöglichte neuen Bebauungsplan

Nun wurde die Landesregierung zugunsten von Datteln IV aktiv: Die Regierung – zu der Zeit regierte vorübergehend Rot-Grün - traf eine Zielabweichungsentscheidung. "Damit wurde ein Abweichen von den regionalplanerischen Vorgaben möglich", erklärt der BUND auf seiner Website. Der damals zwar ruhende, aber schon weit fortgeschrittene Bau an der falschen Stelle - rund fünf Kilometer entfernt von der planerischen Vorgabe - sollte so nachträglich rechtmäßig werden.

Der Rat der Stadt Datteln beschloss auf ein neues Planverfahren im Mai 2014 hin also einen neuen Bebauungsplan und eine Flächennutzungsplanänderung, zudem beantragte Uniper ein neues immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 4 Abs. 1 S. 1, § 6 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG). Nach einem Erörterungstermin im September 2015 erteilte die Bezirksregierung Münster Uniper die Genehmigung und erklärte sie für sofort vollziehbar. Uniper, zunächst eine Abspaltung von E.on und seit März 2020 mehrheitlich dem finnischen Energiekonzern Fortum gehörend, konnte weiter an dem Kraftwerk bauen.

Doch gegen den neu aufgestellten Bebauungsplan reichten der BUND ebenso wie die vier Privatpersonen und die Stadt Waltrop wiederum die jetzt zu verhandelnden Normenkontrollanträge ein. Der BUND klagte zudem wieder gegen die neue immissionsschutzrechtliche Genehmigung.

Die Klagen bzw. Anträge wurden allerdings im Einvernehmen der Beteiligten im Hinblick auf den Ausgang des Klageverfahrens des BUND gegen das benachbarte Trianel-Kohlekraftwerk Lünen zunächst ruhend gestellt – das Lünen-Verfahren liegt nach Aufhebung des zugunsten des Betreibers ergangen OVG-Urteils durch das BVerwG (Urt. v. 15.05.2019, Az. 7 C 27.17) wieder beim OVG.

Nun aber alles gegen Datteln IV

Zwischenzeitlich hat Uniper Datteln IV fertig gebaut, am 30. Mai 2020 ging das Werk in Betrieb. "Dieses ist der letzte Kohleblock, der in Deutschland ans Netz ging, und das umstrittener Weise trotz schon beschlossenem Kohleausstieg", erklärt Francesca Mascha Klein, Volljuristin bei der NGO ClientEarth, die die vier Privatpersonen bei ihren juristischen Interventionen unterstützt.

Sie und die Umweltschützer des BUND halten auch den neuen Bebauungsplan für rechtswidrig und argumentieren u.a. mit Überschreitungen der Lärmgrenzwerte, Verschattungen durch Schwaden und einem erheblichen Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung durch Schadstoffbelastung sowie durch die Legionellengefahr – "das insbesondere, weil der Kühlturm sich in der unmittelbaren Nähe zu einem reinen Wohngebiet und einem Kinderkrankenhaus befindet", so Klein.

Stadt: Pläne passen zu Vorgaben des Naturschutzes

Auf der Grundlage des Lünen-Urteils hat die Stadt Datteln nach Angaben des OVG NRW im Juli 2020 einen Aktualitätsnachweis der Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Verträglichkeitsuntersuchung für den angegriffenen Bebauungsplan vorgelegt, an der nach Ansicht der Stadt unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung keine Zweifel bestünden. Für den BUND hingegen ist auch die FFH-Verträglichkeitsprüfung, bei der die Auswirkungen des Bebauungsplans auf naturschutzrechtlich geschützte Gebiete geprüft werden soll, unzureichend. Darüber hinaus seien mögliche Standortalternativen nicht fehlerfrei geprüft worden, die Abwägung also insgesamt fehlerhaft ausgeübt worden.

Die Stadt Datteln sieht das anders: "Bei der Neuplanung hat die Stadt Datteln sich umfassend mit den Beanstandungen des OVG Münster im ersten Urteil aus dem Jahr 2009 zum ursprünglichen Bebauungsplan auseinandergesetzt", teilte die Stadt auf LTO-Anfrage mit. Und weiter: "Die Umweltverträglichkeit des Vorhabens wurde eingehend von unabhängigen sachverständigen Gutachtern unter konservativen Annahmen geprüft und bestätigt. Wie bei allen Gerichtsverfahren, gerade bei Großinfrastrukturprojekten, lässt sich das Risiko einer negativen Entscheidung nicht vollständig ausschließen. Wir blicken aber zuversichtlich auf die anstehende mündliche Verhandlung."

Datteln IV bleibt am Netz

Uniper reagierte auf eine LTO-Anfrage zum Verfahren nicht. Dabei steht viel auf dem Spiel: "Folgt das Gericht den Antragstellern, könnte dem Kraftwerk, welches entgegen der Empfehlung der Kohlekommission erst vergangenes Jahr ans Netz ging und bis 2038 laufen soll, die rechtliche Grundlage entzogen werden", so ClientEarth-Juristin Klein.

Direkt vom Netz gehen würde das Kraftwerk allerdings nicht. Die Konsequenz aus dem Urteil am Donnerstag wäre maximal, dass der Bebauungsplan rechtswidrig ist und damit auch das Bauwerk rechtswidrig errichtet wurde. Das hätte nicht unmittelbar die Einstellung des Betriebs des Kraftwerks zur Folge. "Die gerichtliche Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung steht noch aus und ist in einem separaten Verfahren zu klären", sagt Klein. Die Verhandlungen zur Genehmigung sind aber noch nicht einmal terminiert.

Erst nach diesen Verfahren könnte das Kraftwerk vom Netz gehen - und nach einem Versprechen von E.on aus dem Jahr 2007 müsste es sogar zurückgebaut werden, sagt der BUND. Eine nochmalige Überarbeitung des Bebauungsplans sei zwar theoretisch denkbar, aber wenig erfolgsversprechend und politisch wohl kaum zu rechtfertigen, so Klein. Im Sinne von Uniper wäre das, das Unternehmen hat sich dazu gegenüber der Rheinischen Post längst positioniert. Der Zeitung sagte der Geschäftsführer Ende 2020: "Datteln wird das letzte Kohlekraftwerk sein, das in Deutschland vom Netz geht". Im Jahr 2038.

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OVG NRW entscheidet über Kohlekraftwerk: Wie rechtmäßig ist Datteln IV? . In: Legal Tribune Online, 24.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45811/ (abgerufen am: 07.06.2023 )

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