OVG Münster zu E-Zigaretten: Kein zulassungspflichtiges Arzneimittel

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Nikotinhaltige Liquids sind kein Arzneimittel und E-Zigaretten folglich kein Medizinprodukt. Beides darf also ohne Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz verkauft werden. So sieht es jedenfalls das OVG Münster in drei Urteilen vom Dienstag. Vor allem NRW will sich damit nicht zufrieden geben. Der Fall wird wohl in Leipzig landen. Derweil arbeitet die EU an einer strengeren Regulierung.
Die Gesundheitsministerin von Nordrhein-Westfalen (NRW) lässt nicht locker. Sie will E-Zigaretten aus dem Verkehr ziehen. Bereits Ende 2011 verkündete sie deshalb, dass nikotinhaltige Liquids ein zulassungspflichtiges Arzneimittel seien. Da es ihnen an einer Zulassung fehle, sei ihr Verkauf verboten.
Diese Warnung hatte bei den Herstellern nicht nur einen Einbruch der Umsatzzahlen zur Folge, sondern auch ein Gerichtsverfahren, das am Dienstag in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster mündete. Die Richter des 13. Senats blieben dabei: Sie halten die nikotinhaltigen Flüssigkeiten für rauchfreie E-Zigaretten nicht für Arzneimittel. Die E-Zigaretten selbst sind damit keine Medizinprodukte. Für Arzneimittel gilt ein langwieriges Zulassungsverfahren. Anschließend dürfen die Produkte in der Regel nur in Apotheken verkauft werden.
Nikotinhaltige Liquids würden nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen. Die Liquids seien auch kein Funktionsarzneimittel. Arzneimittel hätten typischerweise eine therapeutische Wirkung. Die Liquids seien nach wissenschaftlichen Studien aber weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, sich das Rauchen dauerhaften abzugewöhnen (Urt. v. 17.09.2013, Az. 13 A 2448/12, 13 A 2541/12 und 13 A 1100/12). Diese Ansicht hatten sie bereits im April 2012 im Eilverfahren vertreten und dem Land per einstweiliger Verfügung aufgegeben, die Warnung zu unterlassen.
Händler und Gesundheitsamt halten Rechtslage für unzureichend
"Es gibt keine Dossierungsanleitung, die Aromen sollen Spaß machen. Außerdem fehlt eine therapeutische Wirkung", so das Gericht am Dienstag. Die Befriedigung der Nikotinsucht sorge nicht für eine Heilung, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Lau.
Verhandelt wurde am Dienstag zunächst ein Fall aus Wuppertal. Das Gesundheitsamt der Stadt hatte einer Frau den Verkauf der Liquids untersagt, weil es die Flüssigkeiten ab einer bestimmten Konzentration als Arzneimittel einstufte. Beide Seiten hatten kritisiert, dass die juristische Lage zur Einordnung von E-Zigaretten unzureichend sei.
Die bloße Tatsache, dass die Liquids Nikotin enthalten, schafft noch keine Klarheit. Zigaretten enthalten auch Nikotin, fallen aber unter die Tabakrichtlinie und sind damit kein Arzneimittel. Nikotinpflaster dagegen sind ein Arzneimittel und dürfen nur von Apotheken verkauft werden. Die E-Zigaretten-Liquids unter die Tabakrichtlinie zu stellen, war vom zuständigen Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit abgelehnt worden.
Ministerium hätte mit Warnung vorsichtiger sein sollen
Im zweiten Verfahren, in dem es um die Warnhinweise des Gesundheitsministeriums NRW ging, kritisierte das Gericht die Landesregierung. "Eine geäußerte Meinung muss rechtssicher sein. Wenn es Zweifel gibt, muss das Ministerium auf Zweifel auch hinweisen", sagte Lau. Er verwies auf ein Urteil aus dem Jahr 2011, bei dem ein Gericht die Arzneimittel-Zugehörigkeit von nikotinhaltigen Liquids verneint hatte. "Das hätte das Ministerium berücksichtigen müssen." Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte dagegen in erster Instanz Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) Recht gegeben: Die Liquids seien ein zulassungspflichtiges Arzneimittel, dem es an der Zulassung fehle (Az. 16 K 3792/12).
Die Ministerin bedauerte die Entscheidung aus Münster denn auch außerordentlich. Sie widerspreche der Entwicklung auf der europäischen Ebene. "Durch die Veränderungen der EU-Tabakrichtlinie beabsichtigt Brüssel klarzustellen, dass es sich bei nikotinhaltigen Liquids für E-Zigaretten um Arzneimittel handelt", gab Steffens in einer Pressemitteilung bekannt. Auch die Anti-Baby-Pille oder das Nikotinpflaster hätten keine direkte "therapeutische Wirkung", würden aber zweifelsfrei als Arzneimittel qualifiziert.
Eine Überarbeitung der Tabakproduktrichtlinie berät derzeit das europäische Parlament. Die Kommission hatte Ende 2012 einen Entwurf vorgelegt. Danach sollen auch E-Zigaretten ab einem bestimmten Grenzwert als Arzneimittel gelten und einer Zulassung bedürfen. Der Grenzwert bestimmt sich nach dem Nikotingehalt von Entwöhnungsprodukten wie Nikotinpflastern. Den Marburger Juraprofessor Wolfgang Voit überzeugt dieser Ansatz nicht. "Das Missbrauchspotenzial ist zu groß. Tabakunternehmen könnten einfach ein Entwöhnungspflaster mit einem geringeren Nikotingehalt auf den Markt bringen und damit die Anbieter von E-Zigaretten aus dem Markt verdrängen." Grenzwerte, die tatsächlich am Gesundheitsschutz ausgerichtet sind, hält der Medizinrechtler für vorzugswürdig.
2/2: EuGH muss über ähnliche Frage zu Legal Highs entscheiden
Auf der Tagesordnung stand am Dienstag in Münster schließlich noch ein drittes Verfahren. Zwei Unternehmen, die nikotinhaltige Liquids und E-Zigaretten herstellen sowie vertreiben wollten gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gerichtlich feststellen lassen, dass die Liquids keine Arzneimittel und die E-Zigaretten keine Medizinprodukte sind.
Das VG Köln hatte der Klage stattgegeben (Urt. v. 02.04.2012, Az. 7 K 3169/11), worauf die Behörde Berufung eingelegt hatte. Im Gegensatz zu den Gerichten ist das BfArM der Ansicht, dass die Liquids keine Genussmittel sind, sondern wegen der pharmakologischen Wirkung des Nikotins zulassungspflichtige Arzneimittel.
Voit, der für ein Unternehmen zur arzneimittelrechtlichen Einordnung der E-Zigarette ein Gutachten verfasst hat, ist mit dem Urteil des OVG Münster zufrieden. Zwar ergebe sich die "therapeutische Wirkung" nicht direkt aus dem Wortlaut des Arzneimittelgesetzes. Diese enge Auslegung sei aber erforderlich, um einen zu weiten Anwendungsbereich auszuschließen. "Sonst müssten die Uhu-Werke und Tankstellen schließen, weil das Schnüffeln von Kleber oder das Trinken von Benzin auch Körperfunktionen beeinflussen."
Voit weist aber darauf hin, dass der Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof vor kurzem ein Verfahren vorgelegt hat, in dem es um eine sehr ähnliche Frage geht: Fallen Legal Highs unter den Arzneimittelbegriff (Beschl. v. 28.05.2013, Az. 3 StR 437/12)?
Gesundheitsministerium NRW warnt weiter vor E-Zigaretten
Ein Ende hat der Streit um die elektronischen Glimmstengel mit dem Urteil aus Münster wohl noch nicht gefunden. Das OVG ließ in allen drei Verfahren die Revision zu. Gesundheitsministerin Steffens kündigte bereits an, nach Prüfung der Urteilsgründe die möglichen Rechtsmittel einlegen zu wollen. Das BfArM will die Urteilsgründe abwarten, bevor es über eine Revision entscheidet.
Eine Warnung spricht das Ministerium in Düsseldorf auch aktuell aus. Angesichts noch ungeklärter gesundheitlicher Risiken warnt es vor den möglichen gesundheitlichen Folgen durch den Konsum von E-Zigaretten: "Nikotin ist eine pharmakologisch wirksame Substanz. Beim Inhalieren von Nikotin – unabhängig, ob Rauch oder Dampf inhaliert wird – nimmt der Körper erhebliche Nikotinmengen auf."
E-Zigaretten gibt es mit und ohne Nikotin. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) enthalten sie unter anderem eine atemwegsreizende Substanz und zum Teil krebserzeugende Stoffe - wenn auch weniger als herkömmliche Zigaretten. "Nach der aktuellen Datenlage können elektrische Zigaretten zwar Entzugssymptome lindern, ob sie aber zu einem dauerhaften Rauchstopp verhelfen, ist derzeit noch nicht erwiesen", schreibt das DKFZ.
Die E-Zigaretten enthalten einen Akku, einen Verdampfer, eine Heizspirale und eine Flüssigkeit. Letztere werde bei 65 bis 120 Grad Celsius verdampft, erläutert das Fraunhofer-Institut für Holzforschung, das eine Studie zu E-Zigaretten gemacht hat. Man könne davon ausgehen, dass andere Menschen dem Dampf ausgesetzt seien und somit "Passivdampfen" möglich sei.
Handel mit E-Zigaretten und Rauchverbot in Gaststätten
Das Urteil hat eine weitere Folge. Der Handel mit den Flüssigkeiten ist jedenfalls nach dem Arzneimittegesetz nicht strafbar. Das Landgericht Frankfurt hatte allerdings im Juni entschieden, dass das Tabakgesetz den Vertrieb von E-Zigaretten verbietet.
Die Strafrichter waren der Ansicht, dass die Liquids Tabakerzeugnisse sind und unzulässige Zusatzstoffe enthielten (Urt. v. 24.06.2013, Az. 526 KLs 3/13). Das Gericht verurteilte damit einen Geschäftsmann zu einer Geldstrafe, der mittlerweile Revision gegen die Entscheidung eingelegt hat.
Ein weiterer Aspekt kam am Dienstag in Münster nicht zur Sprache: Das Rauchverbot in Kneipen und auf Schulhöfen. In NRW gilt das Rauchverbot in Gaststätten auch für E-Zigaretten. Ein Kölner Gastwirt klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht Köln. Vor Ende des Jahres wird das Gericht allerdings nicht über die Sache verhandeln.
In Gießen verlor kürzlich ein Lehrer einen Rechtsstreit, der auf dem Schulhof seine E-Zigarette rauchen wollte, was ihm der Schulleiter unter Verweis auf das hessische Schulgesetz untersagt hatte. Das VG gab dem Schulleiter Recht, berief sich dabei jedoch nicht auf den Nichtraucherschutz, sondern auf die Vorbildfunktion des Lehrers (Urt. v. 20.02.2013, Az. 5 K 455/12.GI).
dpa/cko/LTO-Redaktion