Die Bremer Behörden haben rund 100 Fragen, die sie zur Ermittlung von Scheinehen stellen: zu Geschenken, Zahnpasta – und was noch? Eine Bürgerrechtsorganisation wollte es genauer wissen. Kirsten Wiese erläutert das Verfahren vor dem OVG.
Was haben Sie ihrem Ehepartner zum letzten Geburtstag geschenkt? Was hat Ihr Ehepartner Ihnen geschenkt? Welche Zahnpasta benutzt Ihre Ehepartnerin? – Menschen aus binationalen Ehen, denen die deutschen Behörden unterstellen, dass sie die Ehe nur zu Aufenthaltszwecken geschlossen haben, werden von diesen zu manchmal sehr persönlichen Bereichen befragt.
Im Land Bremen will die Humanistische Union e.V., eine bundesweit tätige Bürgerrechtsorganisation, wissen, welche Fragen Ausländerbehörden für Ermittlungen verwenden, wenn sie den Anfangsverdacht einer Scheinehe haben. Im Internet sind viele der Fragen zu finden, die bei der Ermittlung von Scheinehen verwendet werden. Gleichwohl war und ist es der Humanistischen Union daran gelegen, offiziell Auskunft zu erhalten, um die öffentliche Diskussion über die Annahme von Scheinehen und dem Generalverdacht, dem sich viele binationale Ehen ausgesetzt sehen, zu fördern.
Die Humanistische Union klagte deshalb auf Einsichtnahme nach dem Bremer Informationsfreiheitsgesetz (BremIFG). Diese Klage wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen in zweiter Instanz ab (Urt. v. 24.10.2017, AZ. 1 LB 17/17), jetzt liegen die Gründe vor.
Beziehung zum Zwecke des Aufenthalts
Nichtdeutsche erhalten nach § 27 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ein Aufenthaltsrecht in Deutschland, wenn sie mit einem bzw. einer Deutschen oder - unter bestimmten Voraussetzungen - mit einem Ausländer mit Aufenthaltsrecht verheiratet oder verpartnert sind. Das gilt aber nicht, wenn die Partner die Ehe oder Lebenspartnerschaft "ausschließlich" zu dem Zweck geschlossen oder begründet haben, "dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen". Ein solches Handeln ist nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht.
Von einer zum Aufenthalt berechtigenden Ehe wird nur ausgegangen "wenn die Ehepartner erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung zusammenleben oder zusammenleben wollen", so heißt es in Ziffer 27.1a.1.1.0 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AW-AufenthG). Bei Scheinehen vermuten die Behörden, dass eine solche Lebensgemeinschaft tatsächlich nicht besteht.
Wenn der ausländische Partner zuvor illegal oder geduldet in Deutschland gelebt hat oder zwischen den binationalen Eheleuten ein großer Altersunterschied besteht, schöpfen manche Ausländerbehörden Scheinehenverdacht. Für die weiteren Ermittlungen in solchen Fällen sieht die AW-AufenthG ausdrücklich vor, dass die Eheleute getrennt voneinander zu Umständen des persönlichen Kennenlernens, Umständen der Hochzeit, Familienverhältnisse des Ehegatten, gemeinsame Lebensplanung in Deutschland etc. " befragt werden können. Wenn die Ehepartner diese Frage nicht gleich beantworten, kann das als Indiz dafür gewertet werden, dass sie tatsächlich keine häusliche Lebensgemeinschaft führen. Bundesweit werden von Ausländerbehörden wie auch von den Visaabteilungen der deutschen Botschaften im Ausland in etwa dieselben Fragen zur Ermittlung von Scheinehen verwendet.
Wenig Fälle und viele Fragen
In Bremen existiert für die Ermittlung von Scheinehen beim Senator für Inneres ein Pool von circa 100 Fragen, aus dem das Bürger- und Ordnungsamtes Bremerhaven und das Migrationsamt Bremen Fragen auswählen können. In den vergangenen Jahren sind kaum Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Scheinehe geführt worden: im Jahr 2014 waren es 14, im Jahr 2015 sieben, und nur eines im Jahr 2016, so die Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der CDU vom 21. März 2017 (Bremische Bürgerschaft, Drs. 19/992).
Häufiger ermittelten die Behörden wegen der möglicherweise falschen Anerkennung einer Vaterschaft zur Ermöglichung eines Aufenthaltstitels für Kind und Mutter. Die Behörden schließen aber nicht aus, in zukünftigen Ermittlungen die Fragen erneut zu verwenden. Lediglich elf Fragen, die die Bremer Datenschutzbeauftragte beanstandete, z.B. "Wer von Ihnen schläft auf der linken Seite des Bettes, wenn man davor steht?", dürfen nicht mehr verwendet werden.
2/2: OVG: Veröffentlichung als Gefahr für die Sicherheit
Die Humanistische Union beantragte bereits 2012 nach dem BremIFG Einsicht in alle 100 Fragen. Das Gesetz gewährt grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen und Veröffentlichung der Informationen im Informationsfreiheitsregister. Dieser Anspruch kann aber unter anderem nach § 3 Nr. 2 BremIFG ausgeschlossen werden, wenn und soweit das Bekanntwerden die äußere oder die öffentliche Sicherheit gefährden kann. Auf diesen Ausschlussgrund stützte das OVG sein Urteil.
Das Gericht sah in dem Verstoß gegen das AufenthG durch Eingehen einer Scheinehe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die getrennte Befragung mit gleichlautenden Fragen sei ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr. Der Zweck der Befragung würde vereitelt, könnten die Betreffenden sich zielgerichtet auf sie vorbereiten. Wenn die Betroffenen alle Fragen des Fragenpools bekannt wären, könnten sie die Antworten aufeinander abstimmen und sich dadurch eine erhöhte Glaubwürdigkeit verleihen.
Eine Revision ließ das OVG nicht zu. Zwar kann diese Entscheidung mit der Beschwerde angefochten werden, weil das in Frage stehende Gesetz ein Landesgesetz ist, dürfte aber mangels Vorliegen der Revisionsgründe iSd § 137 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung erfolglos bleiben. Es bliebe noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Nichtveröffentlichung der Scheinehefragen.
Reichweite der informationellen Selbstbestimmung
Das Bundesverfassungsgericht hat den Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu einem Anspruch mit Verfassungsrang erhoben (u.a. Beschl. v. 20.06.2017, Az. 1 BvR 1978/13). Der Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ist eröffnet, wenn der Gesetzgeber die grundsätzliche Zugänglichkeit von staatlichen Vorgängen festlegt. Mit Blick auf diesen grundrechtlichen Schutz ist fraglich, ob der Humanistischen Union die Einsicht in die Fragenkatalog verweigert werden durfte.
Bereits der Zweck der Verwendung des Fragenkataloges ist wohl nicht legitim. Menschen mit so intimen Fragen über ihr Eheleben zu konfrontieren, verstößt gegen deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Bremen jedenfalls für den Fall einer Befragung ohne konkretes Verdachtsmoment anerkannt (Beschl. v. 23.05.2012, Az. 4 V 320/12).
Zudem verstößt die Verwendung der Fragen gegen das Gleichbehandlungsgebot. Personen, die von im Ausländerrecht erfahrenen Anwälten vertreten werden, die einen Teil der Fragen oder das Fragemuster kennen, sind gegenüber anderen im Vorteil. Des Weiteren sind die verdeckten Fragen wenig geeignet, tatsächlich zu ermitteln, ob eine Scheinehe besteht. Menschen erleben das Zusammenleben in einer Ehe oder Partnerschaft oft unterschiedlich und nehmen gemeinsame Erlebnisse unterschiedlich wahr. Divergierende Antworten über gemeinsam Erlebtes werden deshalb auch Paare geben, die tatsächlich zusammen leben. Da zugleich die Behörde Absprachen im Vorfeld der Beantwortung fürchtet, entsteht die paradoxe Situation, dass viele übereinstimmende ebenso wie viele voneinander abweichende Antworten der Eheleute den Verdacht der Ausländerbehörde auf Nichtbestehen einer Ehe nähren können.
Dr. Kirsten Wiese ist gegenwärtig Professorin für Öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen. Sie ist Mitglied in der Humanistischen Union e.V. und hat diese in der ersten Instanz vor dem VG Bremen in dem Scheinehe-Verfahren vertreten.
Kirsten Wiese, OVG zur Ermittlung von Scheinehen: 100 geheime Fragen . In: Legal Tribune Online, 13.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26009/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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