Während der Pessimismus aus einem Scherz unter Philosophen entstanden ist, hat der Optimismus eine ehrwürdige Tradition. Sie hat ihn aber nicht davor geschützt, psychologisch herunterzukommen und in der Justiz oft verteufelt zu werden.
Manchmal überraschen die Menschen in Deutschland durch die Klarheit ihrer Gefühle und vor allem durch die Entschlussfreude, eine richtige Antwort geben zu wollen.
Werden sie etwa in statistisch relevanter Zahl gefragt, ob sie "sehr" bzw. "eher optimistisch" auf ihre Zukunft blickten oder "sehr" oder "eher pessimistisch", ist der Anteil derer, die mit einem ambiguitätstoleranten "weder noch" antworten, seit vielen Jahren konstant niedrig.
Nur zwischen zwei und vier Prozent der Befragten gehen hier, wie das von Statista feilgebotene Zahlenmaterial der Jahre 2006 bis 2021 zeigt, stoisch den Weg der "weder noch"-Mitte.
Diese Werte sollten vielleicht freundlich als Beleg für die Entschlussfreude in Deutschland gewürdigt werden – schließlich hat man in anderen Fragen ja doch Grund, an ihr zu zweifeln.
Überraschend sind auch die konstant recht rosigen Werte, die der "Zukunftsoptimismus" unter den repräsentativ befragten Bewohnern des Bundesgebiets findet. So waren es seit 2006 selten weniger als 80 Prozent, die sich für "sehr" oder "eher" optimistisch hielten. Wider Erwarten hat handfester Pessimismus in Deutschland keine echte Konjunktur – solange man nur demoskopisch fragt.
Vermutlich gilt es aber, gnädig über die Frage hinwegzuschauen, was es überhaupt heißen soll, "optimistisch" zu sein. Auch der Begriff "Zukunftsoptimismus" verursacht ein leichtes Stirnrunzeln. Aber in einem Land, in dem niemand laut auflacht, wenn das Wort "Zukunftsinvestitionen" verwendet wird, fällt das Rätsel, worin wohl ein Vergangenheitsoptimismus liegen könnte, nicht weiter ins Gewicht.
Große Philosophie im "geometrischen Stil"
Es gibt auch noch einen elementaren Grund dafür, gnädig mit der Frage umzugehen, was die Leute überhaupt meinen, wenn sie darauf antworten, ob sie optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft, wohin sonst, schauen: der Begriff des "Optimismus" ist ohnehin gründlich auf den Hund gekommen.
Erfunden haben ihn französische Jesuiten im Jahr 1737 in polemischer Absicht, nachdem ein deutscher Philosoph sich daran gemacht hatte, eine genuin theologische Frage im Stil der Zeit "de more geometrico" zu bearbeiten – also in mathematischer Methodik.
Juristinnen und Juristen haben hier einen Anlass, die Ohren zu spitzen, denn mit dem berühmten "vor die Klammer ziehen" – dem Systemprinzip von Bürgerlichem Gesetzbuch und Strafgesetzbuch – sind sie vielleicht die letzten Intellektuellen, die sogar beruflich noch mit diesem Denkstil des Barockzeitalters vertraut sind.
Außerdem war Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), von dem wir hier sprechen, nicht nur als Philosoph und Mathematiker ein Genie seiner Zeit, sondern auch ein promovierter Jurist. Sich mit dem zu befassen, was seine französischen Gegner Optimismus nannten, ist also ein Stück berufsständischer Solidarität über die Jahrhunderte hinweg.
Stark vereinfacht formuliert ging der mathematisch inspirierte Gedanke dahin, dass Gott aus der Unendlichkeit möglicher Welten mit der unseren die beste erschaffen habe. Über den Sinn von "Unendlichkeit" in mathematischer wie theologischer Hinsicht nachzudenken, kam seinerzeit stark in Mode.
Leibniz sprach selbst zwar nicht von Optimismus, lud dazu aber mit einem mathematischen Gleichnis ein, das den Grund für die Annahme der "besten" aller möglichen Welten illustrieren sollte: "Es muss nämlich immer bei den Dingen der Bestimmungsgrund aus dem Maximum oder Minimum gesucht werden, so nämlich, dass die größte Wirkung aus dem geringsten Aufwand sozusagen gezogen werde."
Damit war eine alte Frage neu im mathematischen Stil formuliert: Wenn "Gott", den man philosophisch definiert, das absolut Gute und der Allmächtige ist, warum hat er dann auch das Übel und das Böse in der Welt geschaffen? – Die Antwort, natürlich immer noch vereinfacht gesagt: Das was wir vorfinden, ist die beste der möglichen Welten, abzüglich von Übel und Bösem ist sie auch immer noch gut.
Es geht hier letztlich um nicht weniger als ein Anliegen, das noch radikaler ist als das berühmte Böckenförde-Diktum, dass der Staat seine Voraussetzungen nicht selbst schaffen könne: Ist die Welt bei allem Übel und Leid in der Summe positiv oder ist das Böse ein dem Guten gleichrangiges absolutes Prinzip?
Wer das als esoterische Frage abtut, die agnostische Juristinnen und atheistische Juristen gar nichts angehe, findet sich in der Präambel zum Grundgesetz (GG) mit dem eingeforderten Bewusstsein der "Verantwortung vor Gott und dem Menschen" konfrontiert. Einen Grund, mit dem Kollegen Leibniz über das schlechthin absolut Gute (und vielleicht absolut Böse) nachzudenken, gäbe es also durchaus.
Optimismus ist psychologisch auf den Hund gekommen, und zwar mächtig
Solcher provokativen Einfälle hat sich der deutsche Sprachgebrauch allerdings schon seit dem frühen 19. Jahrhundert entledigt. Seither wird "Optimismus" nicht mehr in philosophischer Strenge verstanden, sondern psychologisiert – als Synonym für eine Haltung, die irgendwie mit Hoffnung und Lebensbejahung zu tun haben soll. Der Gegenbegriff "Pessimismus" kam seinerzeit als Scherzvokabel auf.
Ums Jahr 1800 herum fasste Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831) das nunmehr nur noch psychologische Begriffspaar bereits wie folgt zusammen: "Der Optimism und Pessimism sind Zwillingsbrüder … Keinen Augenblick kann man einen ohne den andern besitzen; und scheint auch einmal einer allein zu Gaste zu kommen, so tritt doch gleich der andre hinterdrein … Kurz, dieses edle Brüderpaar hat sich so ziemlich, ohne weiter ihr Recht zu beweisen, zu Herren und Herrschern der moralischen und physischen Welt gemacht."
Der Dichter und Dramatiker Klinger – sein Stück "Sturm und Drang" gab der Epoche ihren Namen – hatte damit einen Makel entdeckt, der sich bis in die Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland nachweisen lässt: Optimismus und Pessimismus sind Begriffe, die sich, "ohne weiter ihr Recht zu beweisen", zu den "Herren und Herrschern der moralischen … Welt gemacht" haben.
Blick in die Rechtsprechung zum Optimismus
In der Rechtsprechung findet es sich fast immer nur als Vorwurf: Jemand sei zu optimistisch gewesen und habe daher das rechtlich gebotene Verhalten ganz oder teilweise vermissen lassen. Optimismus wird hier aus der juristischen Perspektive zum mehr oder minder pathologischen Element der menschlichen Psyche.
Noch vergleichsweise harmlos ist hier etwa der juristische Befund, den der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 15. Februar 1957 dokumentierte. In den Wirtschaftswunderzeiten hatte ein Unternehmen sich bei der Herstellung von Waagen für die Küche in technischer Hinsicht übernommen. Fraglich war, wie sehr die Geschäftspartner über die konstruktiven Mängel des Prototyps getäuscht worden waren. Am Ende vergeblich ins Feld geführt wurde dabei der "Erfahrungssatz", dass ein "Erfinder regelmäßig in voller Überzeugung sein Werk optimistisch zu betrachten pflege" (BGH, Urt. v. 15.02.1957, Az. I ZR 206/55).
Witzigere Köpfe könnten das gleich auch noch schöpfungsgeschichtlich deuten.
In den Wirtschaftswunderjahren trat der Optimismus als "Herr und Herrscher der moralischen Welt" sehr gehäuft in Konkurrenz zur formaleren juristischen Würdigung.
So wurde einem Immobilienunternehmer in München, der seiner Kundschaft zu viel versprochen hatte, in der Bewertung des Betrugsvorsatzes zugute gehalten, eine "grenzenlos optimistische Einstellung zu seinen Fähigkeiten" zu besitzen, was angesichts der ökonomischen Umstände vielleicht auch objektive Gründe hatte: Es ging um ein Grundstück von 340 Quadratmetern das für weniger als 1.500 Mark den Eigentümer wechselte, insgesamt, nicht je Quadratmeter (BGH, Urt. v. 10.04.1956, Az. 1 StR 66/56).
Auch in der jungen Bundeshauptstadt Bonn ließ die Erkenntnis, dass der Angeklagte in einer Immobilien-Affäre ein "optimistisch veranlagter Mensch" war, die Vermutung zu, dass er in für andere Menschen wirtschaftlich riskanten Anliegen gutgläubig und nicht vorsätzlich betrügerisch gehandelt habe (BGH, Urt. v. 17.11.1958, Az. 2 StR 188/58).
Optimismus als ganz überwiegend pathologische Eigenschaft
In anderen Entscheidungen gewann die Beobachtung deutlich an Schärfe, dass im Optimismus nicht nur eine Quelle für – noch halbwegs verständliche – Devianz liegen könnte, er vielmehr sehr pathologisch sei.
In einem Urteil des BGH vom 10. September 1957 wird etwa dem Landgericht Hamburg aufgegeben, im zweiten Durchgang zu prüfen, ob die bereits im ersten Urteil einer Betrugsstrafsache beim Angeklagten festgestellte "durch den Altersabbau bedingte Hirnschrumpfung" zu seiner "übertrieben optimistischen Grundhaltung" beigetragen habe, die zu einer Strafmilderung nach § 51 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) a.F. führen könnte (Az. 5 StR 295/57).
Ein BGH-Urteil vom 5. April 1960 führt gleich ein ganzes Ensemble von negativen Eigenschaften an, die in der Person der Angeklagten mit dem Optimismus verbunden waren – sie seien pathologisch, aber nicht strafmildernd zu berücksichtigen. So sei die Angeklagte "labil, empfindlich, reizbar, leicht erregbar, eigenwillig, rechthaberisch", neige zu Kurzschlusshandlungen, habe ein "hochempfindliches Geltungsbedürfnis sowie ein hohes Selbstwertgefühl" und sei eben von leichtfertigem Optimismus erfüllt, verstanden als ein "schiefes Verhältnis zur Wirklichkeit" und als "die mangelnde Steuerungsfähigkeit ihres gesteigerten Geltungsstrebens". In diesem Stil ging es weiter, jedoch erklärte der BGH, dass eine solche "Psychopathie" nur als "Charaktermängel" zu qualifizieren seien, nicht als "krankhafte Störung der Geistestätigkeit" im strafmildernden Sinn (Az. 5 StR 25/60).
Die kriminogenen Qualitäten des Optimismus fasste der BGH auch noch einmal in einem Beschluss vom 3. Juni 1980 (Az. 5 StR 276/80) zusammen – der Angeklagte verfügte demnach über "einen grenzenlosen unkritischen Optimismus sowie über ein starkes und naives Selbstvertrauen" – Psychologen werden hier vielleicht rätseln, worin sich diese Konstrukte unterscheiden –, das ihn dazu antreibe, "sich selbst in unerschütterlicher und unkorrigierbarer Weise" selbst zu überschätzen.
Allerdings durchlief der Begriff des Optimismus nie das Klärungswerk der juristischen Dogmatik. Damit konnte er auch positiv angeführt werden. So wurde etwa in einem Disziplinarverfahren gegen einen Soldaten, dem insbesondere vorgehalten wurde, dass seine Ehegattin sich dem Verdacht unsittlichen Verhaltens ausgesetzt habe, im Charakterprofil attestiert, er sei ein "anständiger, verläßlicher, stets einsatzbereiter und leistungswilliger Offizier, der mit Optimismus, Temperament an alle Probleme herangehe und über einen gesunden Menschenverstand verfüge" – Eigenschaften, die seine Fachkenntnisse ausgerechnet in der Abwehr atomarer, biologischer oder chemischer Angriffe offenbar günstig ergänzten (Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 19.03.1968, Az. II WD 79/67).
Fazit: Klinger'sche Willkür bleibt erhalten
In der Rechtsprechung wie im Alltagsleben scheinen "Optimismus" wie "Pessimismus" also Eigenschaften oder Haltungen von Menschen zu sein, die – nach den Worten des "Sturm und Drang"-Dichters Friedrich Maximilian Klinger –"ihr Recht" nicht weiter beweisen müssen, um als Herrscher der "moralischen und physischen Welt" zu gelten.
Ob etwa Optimismus ein günstiger Aspekt im Charakterprofil öffentlicher Bediensteter ist oder dazu dient, das Urteil über die Psyche eines Angeklagten im Strafverfahren einzufärben, liegt in der Willkür der Gutachter und Richter. Ein feines Problem bleibt: Während man sich offenbar darauf verständigen kann, wo beim Optimismus die Grenzen zwischen sozial erwünschten und devianten Aspekten liegen, fehlt dies allem Anschein nach für den Pessimismus: Für die Zensur von Schwarzseherei hat die öffentliche Ordnung keinen rechten Begriff und Anhaltspunkt.
Vielleicht muss man deshalb doch noch einmal ganz von vorn, mit Leibniz, anfangen.
Optimismus in der Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51339 (abgerufen am: 10.11.2024 )
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