Streit um Ausbildungsentschädigungen beim SV Wilhelmshaven: "BGH hat offenbar Zweifel am Zwangs­ab­s­tieg"

Interview mit Dr. Markus H. Schneider

05.07.2016

2/2: "Pauschale Ausbildungsentschädigungen laut BGH unwirksam"

LTO: Hat sich an den Regularien der FIFA und der Rechtsprechung des CAS zu Ausbildungsentschädigungen inzwischen etwas geändert, oder stehen beide noch auf demselben Standpunkt wie zu Beginn des Streits?

Schneider: Jein, an den Standpunkten hat sich eigentlich nichts geändert. Die Entscheidung eines deutschen (Oberlandes-)Gerichts gegen die Regeln der "Ausbildungsentschädigung" hat bislang jedenfalls keine sichtbare Unruhe beim Weltfußballverband verursacht.

Anders aber beim NFV. Dieser hat seine Satzung angepasst und letztlich das klargestellt, was der BGH bei der für den Rechtsstreit maßgeblichen alten Satzung zu vermissen scheint, nämlich eine wirksame Rechtsgrundlage für den Vollzug von FIFA-Entscheidungen.

LTO: Wird sich etwas ändern müssen, wenn der BGH dem SV Recht gibt? Wie würde dieser Widerspruch zwischen internationalem Sportrecht und nationalem deutschem Recht dann aufgelöst?

Schneider: Das ist eine spannende Frage. In jedem Fall müssen die Sportverbände klare Rechtsgrundlagen schaffen, die auch von kleinen Vereinen in ihrer Tragweite verstanden werden müssen. Das gilt auch für die Regelung von Ausbildungsentschädigungen. Die Ausbildung von Sportlern ist die Basis allen Erfolgs. Das muss, wenn nicht belohnt, so doch entschädigt werden. Regelungen müssen aber mit den geltenden nationalen und internationalen Grundsätzen übereinstimmen und von allen Beteiligten bis in die Provinz nachvollzogen und verstanden werden.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH verstoßen pauschale Ausbildungsentschädigungen im Fußball gegen die Berufsfreiheit. Der Europäische Gerichtshof steht solchen Entschädigungen ebenfalls skeptisch gegenüber. Problematisch ist letztlich die systematische Festlegung von pauschalen Entschädigungen. Diese können den Einzelnen daran hindern, Freizügigkeitsrechte auszuüben. Kann ein Verein Ausbildungskosten konkret nachweisen, mag ihm eine Entschädigung zustehen.

Das FIFA-System sieht indes Pauschalen vor. Diese sind zwar nach bestimmten Kriterien gestaffelt, maßgeblich sind aber nicht tatsächlich nachgewiesene Ausbildungskosten der ausbildenden Vereine, sondern ersparte Kosten des aufnehmenden Vereins. Das System der Ausbildungsentschädigung steht auch deshalb möglicherweise im Widerspruch zur Arbeitnehmerfreizügigkeit im Sinne des Artikels 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Um den Fußball und die Ausbildung von qualifiziertem Nachwuchs wird man sich aber keine Sorgen machen müssen. Irgendwann gelingt den Sportverbänden eine rechtlich haltbare Regelung von Ausbildungsentschädigungen. Allerdings braucht es mutige Kläger, wie den SV Wilhelmshaven, die sich den geltenden Regularien nicht beugen und so letztlich für Rechtsicherheit im Sport sorgen.

Damit müssen die großen Sportverbände seit jeher leben. Viele werden sich an den Fußballer Jean-Marc Bosman erinnern, der letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof eine Änderung des Transferrechtes erstritt.

Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).

Zitiervorschlag

Dr. Markus H. Schneider, Streit um Ausbildungsentschädigungen beim SV Wilhelmshaven: "BGH hat offenbar Zweifel am Zwangsabstieg" . In: Legal Tribune Online, 05.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19893/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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