Budapest-Komplex: Der Fall Hanna S. vor Gericht

von Tanja Podolski

19.02.2025

In München begann der Prozess gegen die mutmaßliche Linksextremistin Hanna S. im Hochsicherheitssaal in Stadelheim. Die 30-Jährige soll mit anderen in Budapest Jagd auf Rechtsextreme gemacht haben. 

"Your are not alone, you are not alone": Einige Minuten lang branden Rufe und Klatschen auf, als Hanna S. als Angeklagte den Hochsicherheitssaal in der JVA Stadelheim betritt. Sie ist blass, trägt ein schlichtes schwarzes Kleid mit einer dünnen goldenen Kette, das mittelblonde Haar reicht bis in den Nacken. Sie zwinkert und lächelt freundlich zu einzelnen Menschen im Publikum. Das wird sie im Laufe des Vormittags immer wieder tun. In der zweiten Reihe sitzen ihre Eltern, sie wirken gut bürgerlich, irgendwo im Saal sind auch die beiden Schwestern. 

Es ist das erste Strafverfahren zum sogenannten Budapest-Komplex in Deutschland. Die Vorwürfe wiegen schwer. Es geht um versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung, die Strafrahmen reichen von sechs Monaten bis zu 15 Jahren. Für den Prozess unter dem Vorsitz von Dr. Philipp Stoll sind 32 Prozesstage angesetzt, zunächst bis zum 15. September. 

S. soll sich spätestens Anfang Februar 2023 einer linksextremistischen Vereinigung angeschlossen haben. Deren Angehörige sollen eine militante linksextremistische Ideologie teilen, die eine Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats und des staatlichen Gewaltmonopols beinhaltet. Ziel sei es, mit Gewalt gegen Angehörige des politisch rechten Spektrums vorzugehen.

Was S. getan haben soll

Konkret geht es in dieser Verhandlung um Taten, die sich in Ungarn zugetragen haben sollen. Mehrere Personen sollen im Februar nach Budapest gereist sein, um dort Angriffe auf Rechtsextreme zu verüben, die dort jährlich aus ganz Europa zum "Tag der Ehre" zusammenkommen. Das EU-Parlament spricht dazu von durch ungarische Ministerien geförderte "NS-glorifizierenden Neonaziaufmärschen"

S. soll an zwei von insgesamt fünf Angriffen der Gruppe beteiligt gewesen sein. In diesen zwei Fällen sollen die Angreifer mehrfach mit Schlagstöcken und anderem Schlagwerkzeug auf insgesamt drei Personen eingeschlagen haben. Bei einem bereits am Boden liegenden Mann sollen Gruppenmitglieder, darunter S., dann die Beine und Arme fixiert haben, um ihn daran zu hindern, eine Schutzhaltung einzunehmen. Das soll laut dem Generalbundesanwalt (GBA) zu erheblichen Kopfwunden geführt haben, die zum Tode hätte führen können. Auch bei der zweiten Tat soll die Gruppe  mit Schlagstöcken und einem kleinen Hammer auf zwei Männer eingeschlagen haben, ein Mann soll mindestens 15-mal überwiegend an den Kopf geschlagen worden sein.

Anfang Mai 2024 wurde die inzwischen 30-jährige S. verhaftet, am 20. September erhob der GBA vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München Anklage gegen die deutsche Staatsangehörige (Az. 8 St 3/24). Die Tatvorwürfe lauten auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB), versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) sowie gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 StGB). Schon kurze Zeit später ließ das Gericht die Anklage zu

Besonderer Gerichtssaal in Stadelheim

Die Verhandlung ist nun im unterirdischen Hochsicherheitssaal der Münchner Justiz in Stadelheim, direkt neben der JVA. Für ihre Anwälte, Yunus Ziyal aus Nürnberg und Dr. Peer Stolle aus Berlin, wird allein schon durch den Verhandlungsort eine "besondere Bedeutung konstruiert". Es gehe um eine "Dämonisierung und Stigmatisierung", sagt Stolle. 

Zu diesem Verhandlungsort geführt habe die Einschätzung der Polizei, erklärt der Vorsitzende Richter. An die Angeklagte adressiert er: "Das hat mit ihrer Person nichts zu tun. Wir gehen nicht davon aus, dass Sie eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit sind", so Richter Stoll. Dieser Saal sei aber auch freundlicher und heller als andere im Justizzentrum in der Innenstadt, das "ist ja vielleicht ein ganz gutes Vorzeichen".

Auf jeden Fall waren diese Worte schon ein Vorzeichen für seine Verhandlungsführung. Es gibt amüsante Momente an diesem Tag, etwa als der Vorsitzende die guten Noten der Angeklagten aus ihrem Abschlusszeugnis vorliest. Am Ende applaudieren die Zuhörer, Stoll lässt das kurz zu, sorgt dann wieder mit wenigen, souveränen Worten für Ruhe.

Schreinerlehre und Kunststudium

Insgesamt war S.s Leben lange Zeit gradlinig. Bürgerliches Elternhaus, Fachhochschulreife, Meisterschule in München, Schreinerlehre in einer Kulturstätte, danach Studium an einer Kunstakademie in Nürnberg. S. jobbte nebenbei in der Gastronomie und lebte mit Hund in ihrer eigenen Wohnung in Nürnberg. 

Einen wesentlichen Bruch gab es, als während der Ausbildung ein Mann aus ihrer Klasse von der Polizei abgeholt wurde, um abgeschoben zu werden. Dieses Ereignis habe sie grundlegend verändert, trägt der Richter aus einem von S. selbst geschriebenen Dokument vor. Woher dieses Dokument stammt, wird an diesem Tag nicht erklärt, auf jeden Fall ist es Teil der Akten und kling wie ein Motivationsschreiben aus einer Bewerbung. Ihr sei nie richtig bewusst gewesen, so heißt es dort, wie behütet sie selbst aufgewachsen sei, und dass es anderen so anders geht. Damals habe sie angefangen, sich zu engagieren. Wie genau, wird sie vermutlich selbst beim nächsten Prozesstag schildern – ihre persönliche Erklärung ist jedenfalls angekündigt.

Bis dahin bleibt S. in Stadelheim inhaftiert, hierhin war sie für den Prozess aus Nürnberg verlegt worden. So wird sie nach wenigen Stunden des Verlesens von Dokumenten wieder abgeführt. Um die Vorgänge in Budapest selbst geht es – abgesehen von der Anklageverlesung – an diesem Tag nicht mehr.

Nach rund drei Stunden beendet Stoll den Prozesstag, bittet die rund 100 Zuschauer und Pressevertreter aus dem Saal. Er spricht die Eltern direkt an: Wenn alle weg seien, könnten sie noch kurz zu ihrer Tochter, das gelte auch für die Schwestern. 

Vor dem wuchtigen Gebäude der JVA geht derweil die Mahnwache von Menschen aus der linken Szene weiter. Rund 100 Personen hatten sich beobachtet von einem starken Polizeiaufgebot ab dem frühen Morgen versammelt, um ihre Solidarität auszudrücken. Auf Plakaten steht "Wir sind alle Antifa". Gelegentlich skandieren die meist jungen Menschen Sätze wie: "Alle zusammen, gegen den Faschismus" und "Free Hanna". 

Weitere Beschuldigte in deutschen Haftanstalten

In den Budapest-Komplex sollen weitere Personen involviert sein, sieben weitere Personen hatten sich im Januar an verschiedenen Orten den Behörden gestellt, gegen sechs deutsche Staatsangehörige davon hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Haftbefehle erlassen. Die siebte Person ist ein Syrer, dem aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Auslieferung nach Ungarn droht. Das stand auch für die Deutschen im Raum, doch in Bezug auf die sechs Deutschen hatte der GBA den für Auslieferungsverfahren jeweils zuständigen Generalstaatsanwaltschaften mit Schreiben vom 31. Januar 2025 mitgeteilt, dass nach Einschätzung der Behörde die hiesigen Ermittlungen vorrangig seien. "Diese Bewertung, bei der insbesondere der Gesichtspunkt der Effektivität der Strafverfolgung zu gewichten war, ist auf der Grundlage des aktuellen Ermittlungsstands erfolgt", teilte der GBA LTO mit. 

Zu der jetzt in Deutschland verfolgten Gruppe zählt auch die non-binäre Person Maja T. Deren schnelle Auslieferung über Nacht nach Ungarn hatte im Juli 2024 für deutliche Kritik und erhebliche Bedenken auf Seiten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Hinblick auf die Abläufe bei der Überstellung gesorgt.

Zitiervorschlag

Budapest-Komplex: . In: Legal Tribune Online, 19.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56634 (abgerufen am: 26.04.2025 )

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