Druckversion
Dienstag, 13.05.2025, 19:22 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/olg-koblenz-1stE919-folter-prozess-auftakt-syrien-assad-geheimdienst-voelkerstrafrecht
Fenster schließen
Artikel drucken
41399

Auftakt am OLG im Syrien-Folterprozess: Ein Welt­straf­ver­fahren in Kob­lenz

von Dr. Markus Sehl

23.04.2020

23.04.2020, Rheinland-Pfalz, Koblenz: Nebenkläger stehen vor Prozessbeginn neben Anwälten im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts zwischen Corona-Schutzscheiben.

picture alliance/Thomas Lohnes/AFP Pool/dpa

Zum ersten Mal weltweit beginnt ein Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes. Die spezielle Vorgeschichte des Falls könnte seine Bedeutung aber eingrenzen. Laut Ermittlerkreisen führt der GBA rund 80 offene Völkerstrafrechtsverfahren.

Anzeige

Die Erwartungen an den Prozess am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz sind hoch. Das lässt sich schon den Superlativen zum Prozessauftakt entnehmen. Die Bundesanwaltschaft, die Justizministerin und NGOs betonen, dass es sich um das weltweit erste Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit handelt.

NGOs würden gerne stellvertretend das syrische Regime auf der Anklagebank sehen, doch wird es vor dem 1. Strafsenat in den kommenden Monaten um die persönliche Schuld von zwei syrischen Männern gehen, deren Geschichte vor allem auch eine verworrene ist.

Der 57-jährige Anwar R. und der 43-jährige Eyad A. sollen Räder in der Folter-Maschinerie des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gewesen sein. Der Geheimdienstmitarbeiter R. soll die grausame Misshandlung Tausender Menschen in einer Haftanstalt in Damaskus mit organisiert haben. Der zweite Angeklagte A. soll Dutzende von Demonstranten in das Foltergefängnis gebracht haben.

Schläge, Tritte und Elektroschocks im Foltergefängnis

Die beiden Syrer waren nach ihrer Flucht in Deutschland von mutmaßlichen Opfern erkannt und im Februar 2019 in Berlin und Rheinland-Pfalz festgenommen worden. Die Anklage wirft R. Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 vor. Sie legt ihm 58-fachen Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung in Syrien zur Last. A. ist wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus dem Jahr 2011 angeklagt.

R. soll in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus in leitender Funktion für die brutale Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 58 Gefangene seien an den Folgen gestorben. Dem in Rheinland-Pfalz festgenommenen A. wird vorgeworfen, mindestens 30 Demonstranten in das Foltergefängnis mit unmenschlichen Haftbedingungen gebracht zu haben. Die Anklage spricht von brutalen physischen und psychischen Misshandlungen. Die Opfer seien mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks traktiert worden.

Justizministerin: GBA setzt weltweit Maßstäbe

An dem Prozess nehmen auch mehrere der mutmaßlichen Folteropfer, die Zeugenaussagen gemacht haben, als Nebenkläger teil. Der Anwalt Patrick Kroker, der einige von ihnen vertritt, sagte nach dem Prozessauftakt am Donnerstag gegenüber der dpa, die in der Anklage aufgegriffenen Aussagen von 24 Opferzeugen stünden auch für die heutigen Häftlinge in syrischen Foltergefängnissen. "Die Verantwortung geht bis in die höchsten Regierungskreise", ergänzt Kroker mit Blick auf al-Assad.

Oberstaatsanwalt Jasper Klinge von der Bundesanwaltschaft betont am Rande des Prozesses: "Wir sind es den Opfern, die ja teilweise hier bei uns im Lande leben, aber auch unserer historischen Verantwortung schuldig, dass die Verantwortlichen für solche Taten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn dies denn dann in unseren Möglichkeiten steht."

Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verweist auf die historische Dimension des Strafprozesses gegen mutmaßliche syrische Kriegsverbrecher: "Erstmals werden tausendfache schreckliche Folterungen und Misshandlungen vor einem unabhängigen Gericht in Deutschland verfolgt." Mit seinen beharrlichen und systematischen Ermittlungen setze der Generalbundesanwalt weltweit Maßstäbe.

"Dieser Prozess ist weltweit von erheblicher Bedeutung", so Anwalt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Seine Organisation unterstützt Folterüberlebende in dem Verfahren. "Die Machtverhältnisse im UN-Sicherheitsrat verhindern derzeit, dass der Internationale Strafgerichtshof oder ein Sondertribunal tätig werden." Kaleck sagte weiter: "Es ist ein Beginn – nicht mehr, aber auch nicht weniger."

R. meldet sich bei der Polizei – wenig später wird gegen ihn ermittelt

Dass die deutschen Ermittler R. und A. überhaupt verhafteten und die beiden schließlich vor Gericht landeten, hat eine sehr spezielle Vorgeschichte – und könnte den Koblenzer Prozess vor allem zu einem Einzelfall machen.

Denn die beiden Angeklagten kamen aus freien Stücken nach Deutschland, erst das machte ihre spätere Festnahme möglich. Recherchen von Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung und weiteren Medien zeigen auch, dass die Geschichte des Falles kompliziert ist und es alles anderes als eindeutig, wer wann auf welcher Seite stand.

R. kam 2014 nach Deutschland. Ein Jahr später meldete er sich bei der Polizei, er fühle sich verfolgt von Assads Schergen in Deutschland. Denn 2012 hatte R. die Seiten gewechselt: Er floh aus Syrien nach Jordanien. Fortan gab er Erkenntnisse über seine Zeit und den Apparat des syrischen Geheimdienstes weiter. Als er 2015 in Deutschland zur Polizei ging, leitete die seine Angaben zu der befürchteten Verfolgung an die Bundesanwaltschaft weiter - und die nahm Ermittlungen auf, aber nicht gegen mutmaßliche Verfolger von R., sondern gegen ihn selbst.

So speziell die Ausgangslage für das Koblenzer Verfahren ist, so gering könnte ihre generelle Aussagekraft zu den Erfolgsaussichten bei der Strafverfolgung von staatlichen Verbrechen in Syrien sein.

Ermittlerkreise: Rund 80 offene Verfahren nach Völkerstrafgesetzbuch

Zwar erlaubt das sogenannte Weltrechtsprinzip es der Bundesanwaltschaft auch Taten zu verfolgen, die im Ausland begangen wurden und gar keinen Bezug zu Deutschland aufweisen. Dadurch löst sich aber nicht das Problem auf, wie deutsche Ermittler an Beweismaterial aus dem Bürgerkriegsland kommen können.

Als ein Kernbestand liegen der Bundesanwaltschaft seit Februar 2016 die sogenannten Caesar-Dateien vor. Die rund 28.000 Fotos zeigen Leichen mit massiven Folterspuren. Die Aufnahmen wurden von einem unter dem Decknamen "Caesar" bekannten Fotografen der syrischen Militärpolizei und seinen Kollegen in einem Krankenhaus in Damaskus aufgenommen. Die Auswertung der Dateien dient der Beweissicherung und der Identifikation von Tätern, teilt die Bundesanwaltschaft mit.

Aus Ermittlerkreisen erfuhr LTO, dass derzeit rund 80 offene Ermittlungsverfahren zu Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bei der Bundesanwaltschaft geführt werden.

Wie schwierig bei völkerstrafrechtlichen Prozessen die Aufklärung geraten kann, hat die Justiz im Verfahren gegen zwei mutmaßliche ruandische Rebellenführer erlebt. Der Prozess wegen Kriegsverbrechen im Ostkongo zog sich am OLG Stuttgart über viereinhalb Jahre und kostete rund fünf Millionen Euro - und er ist immer noch nicht zu Ende. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied 2018, dass der Fall teilweise neu verhandelt werden muss.

Im Juni 2018 war bekannt geworden, dass die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (BGH) einen internationalen Haftbefehl gegen einen ehemaligen Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes erwirkt hat. Weltweit gesucht wird Jamil Hassan wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Hassan soll von staatlicher Folter in den Jahren 2011 bis 2013 unter Assad gewusst haben. Er hält sich immer mal wieder im Libanon auf, verhaftet wird er dort nicht.

Erste Äußerung des Angeklagten frühestens am dritten Verhandlungstag

Laut dem OLG Koblenz sind vorerst 24 Verhandlungstermine bis zum 13. August terminiert. Wegen des erwarteten Andrangs sei schon vor der Coronakrise ein Ausweichen in den größten Saal des Landgerichts Koblenz vorgesehen gewesen. Angesichts des hochansteckenden Coronavirus verringere sich nun im dortigen Saal 128 die Zahl der Sitzplätze für Zuschauer und Journalisten von mindestens 92 auf 29.

Am Donnerstag trugen laut der dpa in Koblenz viele Prozessbeteiligte Gesichtsmasken. Der Hauptangeklagte R. erklärte über seinen Anwalt, er werde sich frühestens am dritten Verhandlungstag, dem 27. April, schriftlich zu den Vorwürfen äußern. Der zweite Angeklagte A. will dagegen schweigen.

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Auftakt am OLG im Syrien-Folterprozess: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41399 (abgerufen am: 13.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Europa- und Völkerrecht
    • Ausland
    • Krieg
    • Kriegsverbrechen
    • Völkermord
    • Völkerstrafrecht
  • Gerichte
    • Oberlandesgericht Koblenz
Gerard Depardieu 13.05.2025
Prominente

Pariser Strafgericht verurteilt Schauspieler:

Bewäh­rungs­strafe für Depar­dieu wegen sexu­eller Über­griffe

Erstmals musste Filmikone Depardieu wegen Belästigungsvorwürfen vor Gericht – jetzt wurde er verurteilt. Dabei hatte er auf einen Freispruch gepocht.

Artikel lesen
Verletzte Wehrmachtssoldaten auf Tragen liegend, werden zu Kriegsende auf der Straße von Rotkreuz-Helfern versorgt 11.05.2025
Krieg

Versorgung nach "opferfreudigem Einsatz" der Gesundheit:

Ein Schaden im Krieg, den man zum Vor­teil wenden konnte

Wer in den Krieg zieht, muss ohnehin mit dem Schlimmsten rechnen. Dass ein Unfall im Krieg eine besondere staatliche Rentenleistung verdiente, wirkt daher etwas seltsam. Doch lief die deutsche Justiz beim "Kriegsunfall" zur Höchstform auf.

Artikel lesen
Museum Berlin-Karlshorst 08.05.2025
Rechtsgeschichte

Der 8. Mai 1945:

Bedin­gungs­lose Kapi­tu­la­tion und Unter­gang des Deut­schen Rei­ches?

Über die Bedeutung des 8. Mai 1945 ist in Deutschland viel gestritten worden: Befreiung oder Niederlage? Auch die Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit diskutierte. Sebastian Felz erinnert an die Positionen von Hans Kelsen und Günter Dürig.

Artikel lesen
Unterzeichnung der Kapitulation in Berlin 1945 08.05.2025
Rechtsgeschichte

80 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges:

Der 8. Mai und unsere blinden Fle­cken

Vor 80 Jahren ging das Deutsche Reich durch Kapitulation unter, der Krieg war verloren. Berlin macht daraus einen Feiertag, doch als bundesweites Vorbild taugt dies nicht. Denn die Aufarbeitung ist längst nicht abgeschlossen.

Artikel lesen
Palästinenser, vor allem Kinder, warten in langen Schlangen mit leeren Töpfen in den Händen auf die von Wohltätigkeitsorganisationen verteilten Lebensmittel in einem Flüchtlingslager bei Gaza. 28.04.2025
Gaza

IGH-Anhörungen zur Situation im Gazastreifen:

Welche Verpf­lich­tungen zu humani­tärer Hilfe hat Israel?

Vor dem IGH hat ein neues Gutachtenverfahren begonnen. Es geht um Israels Verpflichtungen als Besatzungsmacht, humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Israel selbst nimmt nicht teil, Palästina erneuert seine schweren Vorwürfe.

Artikel lesen
Medizinskelett in einem Uni-Saal 24.04.2025
BGH

BGH prüft Vertragsmodell von Studienplatzvermittlerin:

11.000 Euro fürs Doch-Nicht-Stu­dieren?

Ein Vermittler findet den Wunsch-Medizinstudienplatz im Ausland – der Bewerber tritt aber nicht an. Muss er trotzdem über 11.000 Euro Vermittlungsgebühr zahlen? Ein Streit um das Erfolgshonorar beschäftigt den BGH. Makler- oder Dienstvertrag?

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Was ist Dein nächster Karriereschritt?

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Bundeskartellamt
Voll­ju­ris­tin bzw. Voll­ju­rist (w/m/d) für ver­schie­de­ne...

Bundeskartellamt , Bonn

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Rechts­an­walt (w/m/d) für Fi­nan­cial Li­nes

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich deut­sches und eu­ro­päi­sches...

Hengeler Mueller , Mün­chen

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger Print & On­li­ne (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von ADVANT Beiten
Re­fe­ren­da­re (w/m/d) - Wirt­schafts­straf­recht & Com­p­li­an­ce

ADVANT Beiten , Düs­sel­dorf

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG
Rechts­an­wäl­tin/Rechts­an­walt (m/w/d) im Mi­g­ra­ti­ons- und...

Schlun & Elseven Rechtsanwälte PartG , Köln

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Juristinnen netzwerken ... - After Work live in Köln

22.05.2025, Köln

Rechnungslegung in der Non-Profit-Organisation

20.05.2025

Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

21.05.2025

25. Düsseldorfer Insolvenztage 2025

22.05.2025, Düsseldorf

Nivalion Legal Finance Summit 2025

22.05.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH