Das Haus eines Bauern in Peru, bedroht durch schmelzende Gletscher. Wie konkret ist die Gefahr und ist RWE verantwortlich? Das muss das OLG Hamm klären. Ab Montag werden die Sachverständigen zur ersten Beweisfrage angehört.
Knapp drei Jahre sind vergangen, seit sich eine Delegation des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm eigens auf den Weg nach Peru machte. Der Vorsitzende Richter Dr. Rolf Meyer, die zuständige Berichterstatterin, Richterin Astrid Uelwer, gerichtlich bestellte Sachverständige und weitere Prozessbeteiligte wollten sich den Gletscher sowie das Haus des Klägers vor Ort anschauen. Auch seine Anwältin Dr. Roda Verheyen, Partnerin bei der Hamburger Kanzlei Günther, und Freshfields-Partner Dr. Moritz Becker, der RWE in dem Verfahren vertritt, reisten mit nach Peru.
Hintergrund des ungewöhnlichen Ortstermins ist eine Klimaklage des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya gegen das Energieunternehmen RWE. Luciano Lliuya, der von Germanwatch unterstützt wird, verlangt, dass RWE als einer der größten CO2-Emittenten Europas einen Teil der Kosten für Schutzmaßnahmen an seinem Haus übernimmt. Das Haus liegt in der Stadt Huaraz, am Fuße einer Gebirgskette, in der sich mehrere Gletscher befinden. Als Folge des Klimawandels schmelzen die Gletscher immer mehr, während der Pegel des Gletschersees oberhalb der Stadt, der Laguna Palcacocha, immer weiter steigt. Allein seit 2003 ist der See um mehr als das Vierfache, seit 1970 um das 40-fache angewachsen.
Luciano Lliuya befürchtet jetzt, dass Flutwellen oder Schlammlawinen sein unterhalb des Sees gelegenes Hausgrundstück überfluten könnten. Um festzustellen, wie groß diese Gefahr wirklich ist und inwiefern RWE dafür verantwortlich gemacht werden kann, hat das OLG am 30. November 2017 einen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen (Az. 5 U 15/17). Es hat zwei Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben – zunächst nur zu der Frage, welche Gefahren für das Haus des Klägers ausgehen. Am Montag, den 17. März, und Mittwoch, den 19. März, werden die Sachverständigen angehört.
Muss RWE sich an Kosten für Schutzmaßnahmen beteiligen?
Luciano Lliuya verlangt, dass RWE sich anteilig an den Kosten für Maßnahmen zum Schutz seines Grundstücks und des Dorfes vor den Folgen der Gletscherschmelze beteiligt. "Anteilig" bedeutet hier 0,47 Prozent der Gesamtkosten, denn RWE ist laut Daten des sogenannten "Carbon Majors"-Berichts aus dem Jahr 2014 nämlich für 0,47 Prozent aller CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich.
Eine Möglichkeit ist es, den Wasserpegel der Lagune zu senken – mit Kosten in Höhe von umgerechnet rund 3,5 Millionen Euro. Entsprechend des Verursachungsbeitrags müsste RWE hierfür umgerechnet 17.000 Euro zahlen, so die Klägerforderung von 2015. Mittlerweile liegt der Verursachungsbeitrag des Energieunternehmens laut "Carbon Majors" bei 0,38 Prozent.
Mit seinem zweiten Hauptantrag begehrt Luciano Lliuya die Erstattung von Kosten für durchgeführte Schutzmaßnahmen an seinem Hausgrundstück, ebenfalls anteilig. Er hat u.a. die Außenmauern verstärkt und ein zweites Stockwerk aufgesetzt. Dabei sind Kosten in Höhe von umgerechnet 13.000 Euro entstanden.
Emissionen in 10.000 Kilometer Entfernung
Luciano Lliuya stützt seine Klage auf einen Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demnach kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung seines Eigentums verlangen. Im konkreten Fall würde das die Beseitigung des Flutrisikos für das Grundstück des peruanischen Bauern bedeuten – wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind.
Luciano Lliuya hat einige Schutzmaßnahmen bereits vorgenommen und argumentiert, das sei eigentlich Aufgabe von RWE. Deshalb geht es hier um einen Erstattungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB bzw. Eingriffskondiktion aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 818 Abs. 2 BGB. Dass dem "gestörten" Eigentümer ein solcher Ersatzanspruch grundsätzlich zustehen kann, hat der BGH mehrfach bestätigt.
Der RWE-Sitz in Essen befindet sich zwar über 10.000 Kilometer von Peru entfernt – dennoch setzten die Emissionen eine Kausalkette (mit) in Gang, an deren Ende die drohende Beeinträchtigung des Grundstücks in Huaraz stehe, so die Argumentation des Klägers. Durch seine Emissionen trage RWE zur Klimaerwärmung und so zur Gletscherschmelze in den Anden bei. Der Wasserpegel steige immer weiter, sodass mit einer Überflutung des Grundstücks zu rechnen sei.
Sachverständigengutachten zum Flutrisiko
Das Landgericht (LG) Essen als erste Instanz hatte die Klage abgewiesen – u.a. mit der Begründung, die behauptete Flutgefahr sei RWE angesichts der Vielzahl der weltweiten Emittenten nicht individuell zuzuordnen (Urt. v. 15.12.2016, Az. 2 O 285/15). RWE sei damit kein Störer im Rechtssinne, so das LG. Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung ein.
Das OLG Hamm dagegen hielt den Entschädigungsanspruch in der mündlichen Verhandlung im November 2017 – damals durchaus überraschend – grundsätzlich für schlüssig begründet und kündigte an, in die Beweisaufnahme einzutreten.
Die zwei Sachverständigengutachten widmen sich zunächst der Frage, welche Gefahren durch eine Flutwelle oder Schlammlawine für das Haus des Klägers bestehen. Hierfür haben die Gutachter in Peru verschiedene Untersuchungen vorgenommen, unter anderem Bodenproben entnommen und Drohnenaufnahmen angefertigt. Bei den mündlichen Verhandlungen in Hamm werden die Sachverständigen angehört.
Wann liegt eine "drohende Beeinträchtigung" vor?
Die entscheidende Frage wird sein, ob bereits jetzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden am Haus des Klägers kommt. Es kommt also darauf an, welcher Grad der Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, um eine "drohende Beeinträchtigung" im Sinne von § 1004 BGB anzunehmen.
"Es gibt dazu keine klare Linie in der Rechtsprechung", sagt Prof. Dr. Jan-Erik Schirmer von der Europa-Universität Viadrina, der sich in seiner Forschung intensiv mit dem RWE-Fall beschäftigt hat. "In der Vergangenheit haben Gerichte die Eintrittswahrscheinlichkeit selten genau ermittelt, sondern eher mit Erfahrungswerten gearbeitet", ergänzt Schirmer. So seien etwa morsche Bäume oder rissige Mauern ohne Umschweife als drohende Beeinträchtigungen eingeordnet worden. "Auch die Wahrscheinlichkeit, dass morsche Bäume oder rissige Mauern tatsächlich umfallen, dürfte aber sehr gering sein", so Schirmer. Deshalb wäre es konsequent, den erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit eher niedrig anzusetzen.
Speziell im RWE-Fall kommen zudem zwei wichtige Umstände hinzu, erklärt der Experte für Klimahaftung. "Erstens sind bei einer Flutwelle Leib und Leben des Klägers bedroht, was zusätzlich dafürspricht, eine geringe Wahrscheinlichkeit ausreichen zu lassen."
Zweitens werde die Eintrittswahrscheinlichkeit mit der Zeit größer. "In der Klimawissenschaft ist es Konsens, dass Gletscher durch den Klimawandel instabiler werden und auch das Risiko zunimmt, dass Lawinen oder Felsen hinabstürzen und eine Flutwelle auslösen", so Schirmer.
"Ich mache mir Sorgen um die Zukunft meiner Familie und meiner Stadt"
Auch der Kläger wird zur Verhandlung in Hamm sein. "Ich habe die Auswirkungen des Klimawandels miterlebt, seit ich ein Kind war. Nicht nur ich, sondern auch meine Nachbarn, meine Eltern, meine Gemeinde und wir alle, die wir in den Bergen leben. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Um mich herum schmelzen die Gletscher und ich mache mir Sorgen um die Zukunft meiner Familie und meiner Stadt", so Luciano Lliuya in einem Pressegespräch von Germanwatch.
"Vor gut sieben Jahren hat das Gericht gesagt: Große Verursacher können zur Verantwortung gezogen werden. Wir reden hier immerhin über den offensichtlichsten Fall von Klimawandelfolgen überhaupt: Gletscher- und Permafrostschmelze. Es braucht dringend Schutzmaßnahmen in Huaraz damit diese nicht zu Schäden bei meinem Mandanten führen", sagt seine Anwältin Verheyen.
Naturgemäß anders sieht das RWE. "Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben sollte, könnte man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen. Wir halten das für rechtlich unzulässig und auch gesellschaftspolitisch für den falschen Weg. Lösungen für das globale Problem des Klimawandels sollten zukunftsorientiert auf staatlicher und zwischenstaatlicher Ebene entwickelt werden, nicht rückwirkend durch Gerichte", so ein RWE-Sprecher gegenüber LTO.
Wie es weitergeht
Nach der Verhandlung am Mittwoch wird sich zeigen, wie das OLG das Ganze beurteilt und wie das Verfahren weitergeht. Vermutlich wird das Gericht einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung über die erste Beweisfrage bestimmen.
Sieht der zuständige 5. Zivilsenat ein hinreichendes Flutrisiko für Saúl Luciano Lliuyas Haus, geht es zur nächsten Beweisfrage über: Inwieweit sind der Klimawandel und die von RWE freigesetzten Emissionen mitverantwortlich für dieses Risiko? Ist das Gericht dagegen der Auffassung, dass keine rechtlich relevante Gefahr für das Grundstück des Bergbauern besteht, wird es die Klage abweisen.
OLG Hamm verhandelt Klimaklage: . In: Legal Tribune Online, 15.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56802 (abgerufen am: 24.04.2025 )
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