Ein peruanischer Bergbauer verklagt RWE. Aber wie hoch ist die Gefahr, dass Flutwellen oder Schlammlawinen sein Haus heimsuchen? Am Montag befragte das Gericht die Gutachter dazu – es wurde sehr technisch.
Geowissenschaftliche Zusammenhänge rund um Überschwapphöhen, Einstoßvolumina von Flutwellen, Permafrost in den Anden und zudem noch Wahrscheinlichkeitsrechnung: Um die Erfolgsaussichten der Klimaklage gegen RWE zu beurteilen, befassten sich die Richterinnen und Richter am Oberlandesgericht (OLG) Hamm am Montag mit Themen, die nicht mehr viel mit Jura zu tun haben. Doch für ihren aktuellen Fall, die Klage eines Peruaners gegen einen der weltweit größten Energiekonzerne, sind die Erkenntnisse von zwei Sachverständigen essenziell. Und die sollten an diesem Tag noch spannende Ausführungen machen.
Denn der peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya hat ein Haus in der Stadt Huaraz, am Fuße einer Gebirgskette, in der sich mehrere Gletscher befinden. Bedingt durch den Klimawandel schmelzen die Gletscher, entsprechend steigt der Pegel des Gletschersees oberhalb der Stadt, der Laguna Palcacocha, immer weiter. Luciano Lliuya befürchtet, dass Flutwellen oder Schlammlawinen sein Hausgrundstück überfluten könnten. Er verlangt, dass RWE als einer der größten CO2-Emittenten Europas einen Teil der Kosten für Schutzmaßnahmen an seinem Haus übernimmt. Durch seine Emissionen habe RWE zum Klimawandel beigetragen.
Muss RWE sich an Kosten für Schutzmaßnahmen beteiligen?
Luciano Lliuya verlangt daher, dass RWE sich anteilig an den Kosten für Maßnahmen zum Schutz seines Grundstücks und des Dorfes vor den Folgen der Gletscherschmelze beteiligt. "Anteilig" bedeutet hier entsprechend dem Verursachungsbeitrag von RWE. Ursprünglich ging die Klägerseite hier von 0,47 Prozent der Gesamtkosten aus, denn RWE ist laut Daten des sogenannten "Carbon Majors"-Berichts aus dem Jahr 2014 für 0,47 Prozent aller CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich.
Mittlerweile liegt der Verursachungsbeitrag des Energieunternehmens laut "Carbon Majors" bei 0,38 Prozent. Deshalb passte die Klägerseite den Antrag entsprechend an.
Luciano Lliuya stützt seine Klage auf einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Demnach kann der Eigentümer von dem Störer die Unterlassung drohender Beeinträchtigungen seines Eigentums verlangen. Die entscheidende Frage ist es damit, ob bereits jetzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden am Haus des Klägers kommt – durch eine Flutwelle oder eine Schlammlawine. Diese "absehbare Zeit" hat der Senat hier auf einen Betrachtungszeitraum von 30 Jahren festgelegt.
Hierzu hatte das OLG einen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen (Az. 5 U 15/17) und den Geowissenschaftler und Statiker Prof. Dr. Ing. Rolf Katzenbach sowie den österreichischen Professor für Alpine Naturgefahren Johannes Hübl als Sachverständige benannt. Ende Juli 2023 haben die Beiden ihr Hauptgutachten veröffentlicht, Anfang dieses Jahres folgte dann ein Ergänzungsgutachten. Um all das sollte es am Montag gehen.
"Seit 2017 verging kein Tag, an dem der Senat nicht mit dem Fall beschäftigt war"
Als Luciano Lliuya an diesem Tag gemeinsam mit seiner Anwältin Dr. Roda Verheyen zum OLG kommt, wird er schon von zahlreichen Unterstützern erwartet. Vor dem Gerichtsgebäude haben sie symbolisch große Bilder von den Gletschern der peruanischen Anden und dem Gletschersee aufgestellt. Der 44-Jährige wirkt sichtlich nervös, der Ruhm um seine Person scheint ihm unangenehm. Dennoch sagt er immer wieder, wie glücklich er sei, hier zu sein, und dass es jetzt losgehe.
Fast acht Jahre sind seit der letzten mündlichen Verhandlung im November 2017 vergangen. Insbesondere die Bestimmung der Sachverständigen, die Vorbereitung und Durchführung des Ortstermins im Mai 2022 in Peru, die anschließende Anfertigung der Gutachten und nicht zuletzt die Corona-Pandemie hatten das Verfahren erheblich verzögert.
"Es verging aber nahezu kein Tag, an dem der Senat sich nicht mit diesem Fall beschäftigt hat", so der Vorsitzende Richter Meyer. Erarbeitet hat der Senat unter anderem einen ausführlichen Katalog mit zahlreichen Fragen an die beiden Sachverständigen, der nun abgearbeitet wurde.
"Können Sie das selbst kurz für das Protokoll zusammenfassen?"
Immer wieder wurde deutlich, dass dabei verschiedene Sprachen gesprochen werden – nicht nur, weil viele Beteiligte Schwierigkeiten hatten, die "Laguna Palcacocha" oder den Palcaraju-Gipfel auszusprechen.
Juristen und Wissenschaftler drücken sich zudem in ihren Fachtermini ganz unterschiedlich aus. "Können Sie das selbst kurz für das Protokoll zusammenfassen?", fragte der Vorsitzende Richter Meyer den Sachverständigen mehrfach. Dabei war er erfrischend ehrlich: "Für uns Juristen war es sehr anspruchsvoll, diese seitenlangen Gutachten durchzuarbeiten. Manchmal bin ich auch verzweifelt und habe es nicht verstanden. Ich glaube nicht, dass wir schlauer in die Verhandlung gekommen wären, wenn das Gutachten noch länger gewesen wäre", so Meyer.
"20 Zentimeter Wasser haben die meisten schon mal im Keller gehabt"
Prof. Katzenbach kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass in diesem Zeitraum von 30 Jahren keine ernsthafte Beeinträchtigung des Hausgrundstücks droht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine von dem Gletschersee ausgehende Flutwelle das Haus trifft, liege bei nur einem Prozent, so Katzenbach. Komme es doch zu einer Flutwelle, sei diese auf dem Grundstück des Klägers nach Berechnungen der Gutachter maximal 20 Zentimeter hoch. "20 Zentimeter Wasser haben die meisten von uns schon mal im Keller gehabt", so Richter Meyer dazu.
Um die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Schäden zu berechnen, nahmen die Gutachter die drei letzten, besonders schweren Erdbeben in der Region um Huaraz als Grundlage. Teilweise habe es schwerste Beschädigungen der Stadt gegeben, bei keinem der Erdbeben sei es allerdings zu Schäden an der Lagune gekommen, so Katzenbach.
Sind die Alpen mit den Anden vergleichbar?
Die Klägerseite um den Bergbauern hat ein eigenes Gutachten angefertigt, mit anderen Ergebnissen. Die Sachverständigen hätten den Temperaturanstieg infolge des Klimawandels nicht ausreichend in die Berechnungen einbezogen. Die Klägerseite selbst hält Felsstürze, die durch tauenden Permafrost ausgelöst werden, für wahrscheinlicher als Eislawinen, auf die sich die gerichtlichen Sachverständigen vor allem konzentriert hätten.
Permafrost bezeichnet Boden, Schutthalden oder Felswände, die mindestens zwei Jahre hintereinander Temperaturen unter 0 Grad Celsius aufweisen. Oft reichen kleine Erwärmungen des Permafrosts aus, um Felsstürze oder Hangbewegungen auszulösen. Sicher festgestellt werden kann Permafrost nur durch Bohrungen, diese wurden in Peru allerdings nicht vorgenommen. In den Alpen tritt Permafrost ab einer Höhe von etwa 2.200 Metern auf. Ein ausführliches Expertengutachten der Klägerseite regt jetzt an, statistische Daten aus den Alpen auf die Anden zu übertragen.
Doch die gerichtlichen Sachverständigen sind von der Vergleichbarkeit nicht überzeugt: "Die Anden sind deutlich höher als die Alpen und es ist ein ganz anderes Niederschlagsgebiet. Außerdem sind wir auf einer anderen Erdhalbkugel ", so Katzenbach. Sie berufen sich auf einen Bericht des Ingenieursbüros BGC Engineering, der Permafrost unter einer Höhe von 5.000 Meter – also auch an der Lagune Palcacocha – ausschließe.
Auch der Vorsitzende äußerte Bedenken, allerdings eher in rechtlicher Hinsicht. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus dem Jahr 2009 (Az. V ZR 75/08) zeige, dass der BGH eine konkrete Gefahrensituation verlange und keine abstrakte Bewertung vornehme. "Deshalb haben wir Schwierigkeiten, Felsstürze in den Alpen in unsere Beurteilung einzubeziehen", sagte Meyer.
Fortsetzung folgt schon am Mittwoch
Am Ende des Verhandlungstages war bei allen Beteiligten nach stundenlangen, teilweise sehr technischen Diskussionen die Luft raus. "Ich merke, wir sind alle an unsere Grenzen gekommen", sagte auch der Vorsitzende Meyer.
Bis dahin hatten die Parteien kaum Gelegenheit, sich selbst zu den Gutachten zu äußern oder Fragen an die Sachverständigen zu stellen. Das soll sich am Mittwoch ändern. Mit einer Entscheidung ist dann noch nicht zu rechnen.
Möglich ist allerdings, dass das Gericht einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung über die erste Beweisfrage bestimmt. Nur wenn der zuständige 5. Zivilsenat ein hinreichendes Flutrisiko für Saúl Luciano Lliuyas Haus bejaht, würde er zur nächsten Beweisfrage übergehen: Inwieweit sind der Klimawandel und die von RWE freigesetzten Emissionen mitverantwortlich für dieses Risiko?
Ist das Gericht dagegen der Auffassung, dass keine rechtlich relevante Gefahr für das Grundstück des Bergbauern besteht, wird es die Klage abweisen.
Anwältin Verheyen kündigte an, weitere Emittenten in Anspruch nehmen zu wollen. "Diese Klimaklage ist erst der Anfang, ein Trampolin für weitere Fälle dieser Art. Ich habe eine Liste mit weiteren Emittenten in meiner Schreibtischschublade", so die Anwältin.
"Wir reden hier von erheblichen Beiträgen und nicht von Diesel-Fahrern"
Einem Argument der Beklagten, die von einem Freshfields-Team um Dr. Moritz Becker vertreten wird, hatte der Vorsitzende direkt zu Beginn des Prozesstages eine klare Absage erteilt. RWE hatte im Vorfeld gegenüber verschiedenen Medien – u.a. LTO – erklärt, wenn das Gericht einen Anspruch des Klägers bejahe, könne man in Zukunft auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen. "Dieses Argument kann in der Bevölkerung Angst hervorrufen. Dabei ist es eindeutig falsch", so der Vorsitzende Richter Dr. Rolf Meyer. Dem stehe die Prüfung der Adäquanz und dort die Prüfung der Erheblichkeit entgegen – also die Frage, wie relevant der CO2-Ausstoß Einzelner am Klimawandel ist.
Da zeigt sich: Der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen liegt laut aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes bei 10,3 Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr. Insgesamt wurden im Jahr 2024 in Deutschland 649 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittiert. RWE etwa war im Jahr 2024 für rund 61 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verantwortlich. "Wir reden hier von erheblichen Beiträgen und nicht von Autofahrern, auch wenn sie einen Dieselwagen fahren", sagte Meyer.
Die Frage war jedenfalls einfacher zu klären als solche zu Permafrost in Peru.
OLG Hamm verhandelt Klimaklage gegen RWE: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56817 (abgerufen am: 19.04.2025 )
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