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Zum Mietwagen-Urteil des OLG Frankfurt: Haf­tung für unver­schul­dete Kar­di­nalpf­licht­ver­let­zung muss man aus­sch­ließen können

Gastkommentar von Prof. Dr. Patrick Ostendorf, LL.M. (London)

26.01.2022

Das Bild zeigt einen Mietwagen-Schlüssel und einen Mietvertrag, relevant für Haftung bei unverschuldeten Schäden.

Zum Mietwagen-Urteil des OLG Frankfurt (c) Jürgen Fälchle - stock.adobe.com

Ein mangelhaftes Auto, ein schrecklicher Unfall, ein Schmerzensgeld – der Gerechtigkeitssinn mag das Mietwagen-Urteil des OLG Frankfurt befürworten. Juristisch aber ist die Lage gar nicht so klar, meint Patrick Ostendorf.

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Entscheidungen von Zivilgerichten in haftungsrechtlichen Fragen werden nur selten von der Tagespresse aufgegriffen, erst recht, wenn es "nur" um eine obergerichtliche Entscheidung geht. Geschafft hat das kürzlich allerdings ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt (Urt. v. 30.12.2021, Az. 2 U 28/21), das der Kundin einer Mietwagenfirma für einen durch Mängel des Mietwagens verursachten Verkehrsunfall mit tragischen Folgen u.a. Schmerzensgeld in Höhe von 90.000 Euro zugesprochen hat.  

Von großer Bedeutung ist die Entscheidung mit Blick auf die sehr praxisrelevante Frage der Zulässigkeit von Haftungsbeschränkungen in Mietverträgen. Denn laut OLG soll ein Haftungsausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auch für die unverschuldete Verletzung von Kardinalpflichten unwirksam sein.

Eine relevante Besonderheit im Mietrecht

Den Unfall mit den schweren Folgen für die Mieterin hatte ein bereits bei der Herstellung falsch verbautes Lager im Kardangelenk der unteren Lenksäule des Fahrzeugs verursacht. Der Mietwagen war dadurch seit seiner Auslieferung durch den Hersteller nicht verkehrssicher.

Dass die beklagte Mietwagenfirma für diesen Produktmangel trotz fehlenden Verschuldens ihrerseits grundsätzlich haften muss, ergibt sich dabei aus einer Besonderheit des Mietrechts: Für anfängliche Mängel,  also solche Mängel, die bereits bei Abschluss des Mietvertrages vorhanden sind, haftet der Vermieter bzw. die Vermieterin in Abweichung zu dem ansonsten im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geltenden Verschuldensprinzip gem. § 536a Abs. 1 BGB nämlich auch dann, wenn er bzw. sie die Übergabe einer mangelhaften Mietsache nicht zu vertreten, also weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat.  

Die in diesem Fall beklagte Autovermieterin konnte sich gegenüber der Klage der schwer geschädigten Mieterin auf Zahlung von Schmerzensgeld dabei auch nicht auf einen in ihren Mietvertragsbedingungen enthaltenen Haftungsausschluss berufen: Das OLG Frankfurt hat die Klausel in den AGB der Autovermieterin als unangemessene Benachteiligung (§ 307 BGB) und daher als unwirksam eingestuft.

Der Knackpunkt: War der Haftungsausschluss wirklich unwirksam?

In ihren AGB hatte die Mietwagenfirma (nur) die verschuldensunabhängige Haftung ausgeschlossen; eine Einschränkung ihrer Haftung insbesondere für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit im Fall fahrlässiger Pflichtverletzungen sahen die Mietvertragsbedingungen dagegen ausdrücklich nicht vor.  

Ein Ausschluss der verschuldensunabhängigen Haftung ist in Mietverträgen auch nicht ungewöhnlich und selbst in AGB nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich auch zulässig: Gerade weil die im Mietrecht vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung eine für das gesetzliche Haftungssystem untypische Regelung darstellt, kann sie nach ständiger Rechtsprechung auch formularmäßig abbedungen werden (grundlegend dazu der Bundesgerichtshof (BGH), Urt. v. 27.01.1993, Az. XII ZR 141/91, Rn. 16), sofern der Haftungsausschluss hinreichend transparent ist.

Methodische Fehler des OLG Frankfurt

Umso überraschender ist daher die Auffassung des OLG Frankfurt, ein Ausschluss auch der verschuldensunabhängigen Haftung in AGB sei zumindest dann unzulässig, wenn sogenannte Kardinalpflichten bzw. wesentliche Vertragspflichten verletzt worden seien, zu denen (insofern noch gut nachvollziehbar) im Fall eines Mietvertrages über einen PKW auch dessen Verkehrstüchtigkeit gehöre.

Zwar hält der BGH im Rahmen seiner sogenannten Kardinalpflichtenrechtsprechung nicht nur die in § 309 Nr. 7 a) und b) BGB (Haftungsausschluss bei Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und bei grobem Verschulden) genannten Klauseln für verboten, sondern darüber hinaus auch weitere vertragliche Haftungsausschlüsse in den AGB, wenn sie auch für den Fall einer Verletzung wesentlicher Vertragspflichten eingreifen sollen. Allerdings bezieht sich diese Rechtsprechung nur auf den Fall verschuldensabhängiger, sprich mindestens einfach fahrlässiger Haftung.

Dass das OLG Frankfurt die Kardinalpflichtenrechtsprechung jetzt auch auf die verschuldensunabhängige Haftung erstrecken will, ist vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte methodisch falsch: Die Unzulässigkeit von Haftungsbeschränkungen für den Fall einer Verletzung wesentlicher Pflichten leitet der BGH nämlich aus § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ab. Nach dieser Norm ist eine (unzulässige) unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Vertragsklausel wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird.  

Dass Haftungsbeschränkungen wiederum zu einer (mittelbaren) Vertragszweckgefährdung führen können, lässt sich aber (wenn überhaupt) überzeugend nur damit begründen, dass der Klauselverwender bzw. die Klauselverwenderin in diesem Fall keinen hinreichenden Anreiz mehr verspürt, die Hauptleistungspflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, da im Fall ihrer Verletzung keine einschneidende Sanktion in Form einer Schadensersatzhaftung mehr droht. Genau dieser Aspekt kann im Fall der verschuldensunabhängigen Haftung aus § 536a Abs. 1 BGB aber von vorneherein gar nicht zum Tragen kommen: Da die gesetzlich vorgesehene Haftung des Vermieters bzw. der Vermieterin für anfängliche Mängel gerade nicht an Vorsatz oder Fahrlässigkeit anknüpft, kann sie auch keine präventive Wirkung entfalten. Daraus folgt logisch zugleich, dass ihr vertraglicher Ausschluss auch nicht vertragszweckgefährdend wirken kann.

Ob der Fall nun zum BGH geht?

Es bleibt abzuwarten, ob die unterlegene Autovermieterin Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH einlegen wird. Erfolgsaussichten bestünden jedenfalls: Mit Blick auf den einschlägigen Maßstab in § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist schon die herkömmliche Kardinalpflichtenrechtsprechung des BGH durchaus begründungsbedürftig. Ihre Ausweitung auf Fälle (ausnahmsweise) verschuldensunabhängiger Haftung lässt sich mit Wortlaut und Telos der AGB-Inhaltskontrolle aber nicht mehr vereinbaren.

Der Autor Prof. Dr. Patrick Ostendorf ist Dozent für Wirtschaftsrecht an der HTW Berlin und Of Counsel bei Orth Kluth Rechtsanwälte.

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Zum Mietwagen-Urteil des OLG Frankfurt: . In: Legal Tribune Online, 26.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47329 (abgerufen am: 12.06.2025 )

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