Dass der überzeugte Neonazi Markus H. den Hauptangeklagten Stephan Ernst bei seinen Anschlagsplänen bestärkt hat, liegt nahe – aber für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord wird es wohl nicht reichen. Die Beweislage wurde immer dünner.
Markus H. schweigt zwar im Prozess – aber er grinst. Er grinst, als ihn seine Ex-Freundin als "Neonazi" und "Narzissten" beschreibt, er grinst, als Stephan Ernst ihn der Mittäterschaft beschuldigt, er grinst, als der Flüchtling Ahmed I. über die schweren Langzeitfolgen einer Messerattacke berichtet, wegen der Ernst angeklagt ist. Manchmal lacht H. auch, etwa, als es im Prozess darum ging, wie er und Ernst auf eine Zielscheibe geschossen haben sollen, mit einem Bild von Angela Merkel in der Mitte.
Durch sein selbstsicheres und manchmal höhnisches Auftreten strahlte H. von Anfang an die Überzeugung aus, dass man ihm nichts nachweisen könne und damit dürfte er recht behalten. Am 1. Oktober 2020 hob das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt den Haftbefehl gegen ihn auf, der Bundesgerichtshof (BGH) hat das gerade bestätigt. Der dringende Tatverdacht wegen Beihilfe zum Mord bestehe nicht mehr.
Seitdem kommt H. als freier Mann zum Prozess, im schicken Anzug mit Krawatte und nicht mehr in Kapuzenpulli und T-Shirt. Flankiert von seinen beiden Anwälten scheint er eher interessierter Prozessbeobachter zu sein, als Angeklagter. Die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung ist äußerst gering geworden.
Anklage: Nicht aussichtslos, aber wackelig
Der Tatvorwurf stand von Anfang an auf einem wackligen Fundament. Die Anklage lautet: Psychische Beihilfe zum Mord, also die schwächste und umstrittenste strafrechtliche Beteiligungsform. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft soll H. durch gemeinsame Gespräche Ernst in seiner rechtsextremen Ideologie und in seinem Tatentschluss bestärkt haben. Durch das gemeinsame Schießtraining und Teilnahme an Demonstrationen aus dem rechten Spektrum habe H. dem Ernst Zuspruch und Sicherheit für dessen Tat vermittelt.
Auch was den Vorsatz angeht, ist die schwächste Form angeklagt – Eventualvorsatz. Denn die Bundesanwaltschaft hat keine Beweise dafür, dass H. sichere Kenntnis von den Tötungsplänen von Ernst hatte. Und auch den Eventualvorsatz bezieht die Bundesanwaltschaft nicht auf die konkrete Tat, die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, sondern darauf, dass H. es für möglich hielt, dass Ernst irgendeinen Regierungsverantwortlichen töten könnte. Es habe ein zumindest "stillschweigendes Einverständnis" bestanden, dass eine gewaltsame Aktion durchzuführen sei. Ein "stillschweigendes Einverständnis" ist naturgemäß schwierig zu beweisen.
Aussichtslos schien die Anklage der Bundesanwaltschaft dennoch nicht. In der Hauptverhandlung bestätigte sich, dass die ehemaligen Kumpel H. und Ernst zusammen die Bürgerversammlung in Lohfelden besuchten, in der Lübcke die Aufnahme von Flüchtlingen rechtfertigte und die Worte sprach: "Es lohnt sich in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen." Er und Ernst empörten sich darüber, sahen Lübcke als Verräter an. Fest steht auch, dass es H. war, der ein Video mit der Passage auf YouTube hochlud.
Schusswaffen, Hitler-Büste und Pirinçci-Buch
Auch die zutiefst rechtsextreme Gesinnung des Angeklagten H. wurde im Prozess belegt. Der 44-jährige aus Kassel ist den Behörden seit langem als Neonazi bekannt. Schon in den neunziger Jahren wurde gegen ihn wegen Einfuhr von NS-Propagandamaterial ermittelt. Er wurde wie Ernst der rechtsextremen Gruppierung des "Freien Widerstands Kassel" zugeordnet. Auch an NPD-Veranstaltungen soll er teilgenommen haben. Vorbestraft ist er jedoch nicht.
Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden zahlreiche Schusswaffen und Munition sichergestellt, allerdings soll er nur eine Waffe ohne Erlaubnis besessen haben. Die weiteren in seiner Wohnung aufgefundenen Gegenstände sprechen für sich: Etwa eine Büste von Adolf Hitler, ein Miniatursoldat mit Hakenkreuzbinde, der den Hitlergruß zeigt, eine alte Zyklon-B-Dose als Stiftaufbewahrung (das Giftgas verwendeten die Nazis u.a. in Auschwitz zum Massenmord an Juden), NS-Bücher und das Buch "Umvolkung: Wie die Deutschen still und leise ausgetauscht werden" des Autors Akif Pirinçci. In dem Buch wird auch Walter Lübcke harsch kritisiert, H. hat seinen Namen mit einem Textmarker hervorgehoben.
Wenn er einmal unheilbar krank würde, wolle er sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft sprengen und „möglichst viele Kanaken“ mit in den Tod zu nehmen, dann habe er einmal in seinem Leben etwas Richtiges getan, soll H. nach Aussage seiner Ex-Freundin einmal gesagt haben. Nach der Bürgerversammlung in Lohfelden habe er ihr gesagt, das Lübcke erhängt werden müsse.
Es erscheint durchaus lebensnah, dass H. sich auch mit seinem Bruder im Geiste Ernst entsprechend über Lübcke unterhielt und ihn tatsächlich emotional bestärkte, Lübcke zu töten. Doch die Annahme "lebensnah" ist im Strafrecht nichts wert. Vielmehr lautet der Maßstab der Beweisführung, dass keine vernünftigen Restzweifel an der Schuld des Angeklagten bestehen dürfen.
Markus H. profitiert von wechselhaften Aussagen von Stephan Ernst
Die Anklage gegen H. basiert vor allem auf der ersten Aussage von Ernst kurz nach der Tat im Juli 2019 bei der Polizei. Dort gab er an, Lübcke allein erschossen zu haben. H. erwähnte er eher beiläufig, ohne erkennbare Belastungstendenz. H. habe er nicht in den Tatplan eingeweiht, aber die Person Lübcke und, dass man "etwas machen" müsse, sei ständig Gesprächsthema gewesen. Für die Bundesanwaltschaft reichte dieser Sachverhalt zur Anklage von H. wegen psychischer Beihilfe. Viel spricht dafür, dass auch das Gericht H. auf Grundlage dieser Aussage wegen Beihilfe verurteilt hätte – wenn Ernst bei dieser Aussage geblieben wäre.
Doch Ernst präsentierte zwei weitere Tatversionen, die seine Glaubwürdigkeit in weiten Teilen zerstörte. In einer Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter im Januar 2020 behauptete er, H. habe Lübcke erschossen und zwar aus Versehen, als beide Lübcke an seinem Wohnort wegen der Flüchtlingspolitik zur Rede stellen wollten. Im August räumte Ernst dann in einer dritten Aussage vor Gericht wieder ein, Lübcke selbst erschossen zu haben, allerdings sei H. mit am Tatort und die treibende Kraft hinter dem Anschlag gewesen.
Für die Anwesenheit von H. am Tatort gibt es jedoch nur wenige, sehr schwache Indizien, im Gegenteil entlastet ihn der Umstand, dass sein Mobiltelefon zum Zeitpunkt der Tat in einer weit vom Tatort entfernten Funkzelle eingeloggt war und er auch eine Nachricht im entsprechenden Zeitraum versandte.
Der Prozess hat zudem gezeigt, dass es gar nicht nötig war, Ernst in seiner rechtsextremen Gesinnung zu stärken. Die Rolle des Mentors im Hintergrund oder gar der Vaterfigur, die Ernst H. zuwies, konnte im Prozess nicht bestätigt werden. Ernst erschien nach Zeugenaussagen vielmehr im Gegenteil als selbständig und selbstbewusst agierende Person. Aufgrund der vielen verschiedenen Tatversionen stellte das OLG Frankfurt bei der Entscheidung für die Freilassung von H. darauf ab, dass der Richtigkeit der Angaben von Ernst nicht getraut werden könne.
Die Fehleinschätzung: "Denker und Macher"
Die zweite Belastungszeugin, H.s Ex-Freundin, belastete H. nur geringfügig. Dass er und Ernst oft über Lübcke gesprochen haben, konnte sie nicht bestätigen, erst recht nicht, dass beide über Gewalt gegenüber dem Politiker gesprochen hätten. Zudem zeigte sich, dass eine zentrale Aussage von ihr gegenüber der Polizei eigentlich anders gemeint war.
Sie hatte davon gesprochen, dass H. "der Denker", hingegen Ernst "der Macher" sei. Daraus leitete die Bundesanwaltschaft eine geistige Überlegenheit des H. ab. Doch in ihrer Aussage vor Gericht bezog die Ex-Freundin die Aussage vom "Denker" und "Macher" auf das Privatverhalten. Nämlich darauf, dass Ernst heiratete und ein Haus kaufte, während sie H. in ihrer von Enttäuschung geprägten Aussage als zweifelnd und ablehnend in Bezug auf die Beziehung und das gemeinsame Leben beschrieb. Auch ihre Aussage konnte den dringenden Tatverdacht gegen H. nicht stützen.
BGH bestätigt das OLG bei der Aufhebung des Haftbefehls
In seinem Haftaufhebungsbeschluss ließ das OLG Frankfurt offen, ob H. den Tatentschluss von Ernst bestärkt habe. Jedenfalls könne nach den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung nicht auf einen Vorsatz geschlossen werden, also dass H. die Tat durch Ernst für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe.
Die Bundesanwaltschaft legte Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls ein, vor allem mit der Begründung, dass die erste Aussage von Ernst weiter glaubhaft sei. Doch die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Der BGH stellte in seinem Beschluss fest, das OLG habe sich eingehend mit der Frage beschäftigt, warum der Tatverdacht nicht auf die Angaben des Mitangeklagten und der Ex-Freundin gestützt werden könne.
Stringent verteidigt von zwei Szene-Anwälten
Im Gegensatz zu Ernst hat H. Glück mit seinen Verteidigern. Dr. Björn Clemens und Nicole Schneiders. Die beiden Szene-Anwälte vertraten H. einvernehmlich, von Anfang an stringent, mit einer konsistenten Strategie, das Gericht zwar durchaus herausfordernd, aber nicht übertrieben konfrontativ. Ernst hingegen verschliss drei Verteidiger, die ihn offenbar gänzlich unterschiedlich berieten. Sein früherer Verteidiger Hannig wird sogar verdächtigt, das zweite völlig unglaubhafte Geständnis erfunden zu haben. Das Aussageverhalten von Ernst blieb bis zuletzt inkonsistent und widersprüchlich. Warum Ernst zwar Fragen des Gerichts und der Familie Lübcke beantwortete, sich aber weigerte, Fragen der Verteidigung von H. zu beantworten, wirkte nicht plausibel und schwächte seine Glaubwürdigkeit weiter.
Auch wenn H. wegen Beihilfe zum Mord freigesprochen, seine Rolle im Mordfall Lübcke wird damit nicht final geklärt sein. Den Haftrichter am BGH soll H. einmal gefragt haben, ob er auch wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt werde. Diese Frage erstaunte den erfahrenen Richter und beschäftigte ihn. Wer eine solche Frage stellt, der könnte eventuell Befürchtungen hegen, dass an einem derartigen Vorwurf etwas dran sein könnte. Die Verteidiger von H. bestreiten, dass es diese Frage überhaupt gab. Ohnehin lässt sich auf hierauf selbstredend keine Verurteilung stützen.
Die Familie Lübcke glaubt trotz der schwachen Beweislage Stephan Ernst und hält Markus H. sogar für einen Mittäter. Doch nachgewiesen werden konnte ihm bislang bis auf ein geringfügiges Waffendelikt nichts. Und so dürfte ihm auch wenn im Dezember das Urteil verkündet wird, das Grinsen nicht vergehen.
Lübcke-Prozess vor dem OLG Frankfurt nähert sich dem Ende: . In: Legal Tribune Online, 23.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43508 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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