Angesichts der derzeitigen Lage dort hat eine Reise in die Türkei erhebliche Bedeutung für ein Kind – und muss deshalb von beiden getrennt lebenden Elternteilen abgesegnet werden, so das OLG Frankfurt. Miriam Hachenberg zur Entscheidung.
Die Situation in der Türkei beschäftigt nun auch die Familiengerichte. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Elternteil aktuell "über den Kopf des anderen mitsorgeberechtigten Elternteils hinweg" darüber entscheiden darf, ob das gemeinsame Kind eine Urlaubsreise in die Türkei antritt.
Leben die Eltern getrennt und haben das gemeinsame Sorgerecht für das Kind, gilt grundsätzlich Folgendes:
Entscheidungen, die Angelegenheiten des täglichen Lebens betreffen, werden von dem Elternteil getroffen, der das Kind betreut. Betreuender Elternteil ist immer derjenige, bei dem sich das Kind gerade aufhält. Alltagsentscheidungen betreffen zum Beispiel die Freizeitgestaltung des Kindes, ob es Fernsehen darf, wieviel Taschengeld es bekommt oder wann es Freunde treffen darf. Solche Entscheidungen müssen nicht mit dem anderen Elternteil abgestimmt werden, solange sie keine tiefgreifenden Auswirkungen haben.
Anders ist dies bei Entscheidungen, die erhebliche Bedeutung für das Kind haben, wie beispielsweise die Anmeldung an einer neuen Schule oder die Durchführung einer Operation. Bei diesen Entscheidungen ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern erforderlich. Ein Elternteil alleine darf solche wichtigen Entscheidungen nach dem Prinzip der gemeinsamen Sorge nicht ohne Abstimmung mit dem anderen Elternteil treffen.
Bei Uneinigkeit: Antrag auf Alleinentscheidungsbefugnis
Können sich die Eltern in diesen wichtigen Angelegenheiten nicht einigen, besteht für jedes Elternteil die Möglichkeit, beim Familiengericht einen Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zu stellen. Ob es sich auch bei der Entscheidung über eine Urlaubsreise um eine Angelegenheit des täglichen Lebens handelt, kommt auf den Einzelfall an.
In dem vom OLG Frankfurt am Main zu entscheidenden Fall ging das Gericht gerade nicht von einer Angelegenheit des täglichen Lebens aus (Beschl. v. 21.7.2016, Az. 5 UF 206/16). Danach steht die Entscheidung, mit dem Kind Urlaub in der Türkei zu machen, wegen der gegenwärtigen dortigen Verhältnisse nicht allein dem betreuenden Elternteil zu. Hält der andere Elternteil eine Urlaubsreise des Kindes in die Türkei für zu gefährlich, kann dies dazu führen, dass dem die Reise beabsichtigenden Elternteil die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis nach § 1628 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) versagt wird.
In streitigen Fall beabsichtigte die Mutter mit ihrem 8-jährigen Sohn von Juli bis August 2016 eine Urlaubsreise in der Türkei durchzuführen. Geplant war ein Badeurlaub in der Region um Antalya, der im Januar 2016 gebucht worden war. Die Eltern sind geschieden und haben das gemeinsame Sorgerecht für das Kind. Die Mutter bat den Vater im Mai 2016 um Zustimmung zu der Türkei-Reise des Kindes. Diese Zustimmung erteilte der Vater nicht, weil er eine Türkei-Reise vor dem Hintergrund der politischen Lage und einer eventuellen Terrorgefahr für zu gefährlich für das Kind hielt. So stellte die Mutter einen Antrag auf Alleinentscheidungsbefugnis.
Das Amtsgericht hatte der Mutter diese auch übertragen. Hiergegen wehrte sich der Vater im Rahmen einer Beschwerde vor dem OLG. Dazu hat er vorgetragen, dass die Gefährdung für das Kind durch die Urlaubsreise nach den aktuellen Ereignissen noch konkreter geworden sei. Es bestünde zudem die Möglichkeit der Umbuchung der Reise.
2/2: Türkei-Reise derzeit eine wichtige Angelegenheit…
Das OLG hat die Wirksamkeit des Beschlusses der Vorinstanz einstweilen ausgesetzt. Zutreffend sei, dass eine Urlaubsreise in die Türkei unter den derzeitigen Umständen keine Angelegenheit des täglichen Lebens darstelle. Dies sei zwar bei Urlaubsreisen nicht generell der Fall. Wenn jedoch Umstände vorlägen, bei denen eine Reise besondere Gefahren mit sich bringe, müssten eben beide Eltern gemeinsam über die Reise entscheiden.
Im Falle einer Urlaubsreise in die Türkei liegen nach Ansicht des Gerichts aktuell besondere Risiken vor. Tatsächlich ist das Land in den vergangenen Monaten immer wieder Ziel terroristischer Anschläge gewesen. Laut Medienberichten gab es dabei auch Drohungen extremistischer Gruppen mit Anschlägen in der Touristenregion um Antalya. Zwar schließe die Gefahrenlage Urlaubsreisen in diese Region nicht generell aus, so das OLG. Wenn sich Eltern aber dazu entschieden, mit ihren Kindern dort ihren Urlaub zu verbringen, so müsse die Entscheidung bei gemeinsam sorgeberechtigten Eltern von beiden Eltern getragen werden.
… die von beiden Elternteilen getragen werden muss
Da der Vater die Zustimmung nicht erteilt hat, hatte das Gericht zudem darüber zu entscheiden, ob der Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis über den Reiseantritt zu übertragen war. Hier hatte der Senat erhebliche Zweifel daran, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände eine Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis rechtfertigen. Die Freude des Kindes auf den Urlaub ebenso wie eventuelle finanzielle Folgen eines Rücktritts von der Reise spielten bei dieser Entscheidung eine Rolle.
Vor allem aber berücksichtigte das OLG bei seiner Entscheidung, dass sich die Haltung der Eltern als Ausübung der Elternverantwortung darstellt. So wiege besonders schwer, dass in dem Land der Ausnahmezustand ausgerufen worden ist und es aufgrund des Putschversuches und der Vielzahl von Verhaftungen zu Unruhen in der Türkei kommen könne, die auch Auswirkungen auf die Urlaubsregion haben könnten. Auch die Region um Antalya war schon im Jahr 2015 bereits von Terroranschlägen betroffen. Dabei sei weniger darauf abzustellen, dass das Auswärtige Amt bisher keine Reisewarnung für die Türkei ausgesprochen hat, weil sich solche Reisewarnungen nach ganz anderen Kriterien richteten und dabei auch volkswirtschaftliche und diplomatische Auswirkungen im Blick hätten.
Die Befürchtungen des Vaters seien angesichts der aktuellen Ereignisse nicht als schikanöse Intervention zu bewerten und daher nicht von vornherein unbegründet, so die Richter im Ergebnis. Bei geplanten Reisen in Regionen, deren Lage nicht stabil ist, ist also die Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils einzuholen.
Akute Gefährdungslage erfordert meist beidseitiges Einverständnis
Bereits in der Vergangenheit hat es Entscheidungen gegeben, wonach eine Urlaubsreise eines Kindes in ein risikobehaftetes Land eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung darstellt, sei aus gesundheitlichen Gründen, aufgrund eines unbekannten Kulturkreises oder auch aufgrund der Gefahr terroristischer Anschläge (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 26.10.1998, Az. 14 UF 170-98 u. Beschl. v. 04.06.2004, Az. 4 WF 4/04).
Maßgeblich ist jedoch jeweils die Situation im geplanten Urlaubsgebiet. Nicht immer bedeutet eine lange Urlaubsreise auch eine erhebliche Angelegenheit für das Kind. Insbesondere dann, wenn das Kind mit dem Kulturkreis des Reiselandes vertraut ist, kann sich die Entscheidung auch als Angelegenheit des täglichen Lebens darstellen, so dass der jeweilige Elternteil die Entscheidung über den Reiseantritt auch allein treffen kann.
Besteht in dem Urlaubsgebiet eine akute Gefährdungslage, so wird man aber davon ausgehen müssen, dass die Entscheidung über den Reiseantritt des Kindes nur von beiden Eltern gemeinsam getroffen werden kann.
Die Autorin Miriam Hachenberg ist Rechtsanwältin am Bonner Standort der überörtlichen Sozietät MEYER-KÖRING Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbH.
Miriam Hachenberg, OLG Frankfurt zu gemeinsamen Sorgerecht: Türkei-Reise des Kindes nur mit beidseitiger Zustimmung . In: Legal Tribune Online, 09.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20241/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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