Nach einem zähen Beginn wird am Ende des ersten Verhandlungstages doch noch die Anklage gegen Stephan E. und Markus H. verlesen. Der Vorsitzende Richter wendet sich mit deutlichen Worten an die beiden.
Das Verfahren beginnt mit einem beiläufigen Zwischenfall. Als die Richter die Verhandlung eröffnen und alle im Saal 165 von ihren Stühlen aufstehen, bleibt der Angeklagte Markus H. auf seinem Platz sitzen. Der Vorsitzende Richter ermahnt ihn kurz. Sein Anwalt Dr. Björn Clemens wird später sagen, es sei ein Versehen gewesen, er habe seinem Mandanten in der Aufregung im Weg gestanden.
Am Dienstag begann beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main der Prozess wegen Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gegen Stephan E. sowie gegen Markus H. – und er begann schleppend (Az. 5-2StE 1/20, 5a-3/20). Immerhin wurde noch die Anklage verlesen.
Die Bundesanwaltschaft wirft E. vor, im Juni 2019 heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen den nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Terrasse vor dessen Wohnhaus ermordet zu haben. H. soll als Gehilfe an dem Mord mitgewirkt haben.
Zäher Beginn für die Familie Lübcke "schwer erträglich"
Die Verteidiger von E., Frank Hannig und Mustafa Kaplan, wollten am Dienstag das Verfahren am liebsten gleich wieder aussetzen lassen. Unter anderem weil kein ausreichender Schutz im Gericht vor der Corona-Pandemie garantiert werden könne. Außerdem halten sie den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel für befangen.
Auch die Verteidiger des mitangeklagten H., neben Clemens die Anwältin Nicole Schneiders, wollen zahlreiche Nachteile für ihren Mandanten erkannt haben, von vorverurteilender Berichterstattung im Vorfeld bis hin zu kaum für sie bewältigbaren Arbeitsaufwands für die Verteidigung: Neben der Anklageschrift mit über 300 Seiten sollen die Akten in dem Prozess einen Umfang von 90.000 Seiten haben.
Der Beginn des Prozesses sei für die anwesenden Familienmitglieder Lübckes "schwer erträglich" gewesen, so indes ihr Anwalt Holger Matt. "Hier wird im Teich rechtsstaatlicher Prinzipien gefischt ohne dass erkennbar ist, worin die Verletzung der Prinzipien liegen soll."
Anklage wird trotz Befangenheitsanträgen verlesen
Nach der Mittagspause nahm der Prozess doch noch Fahrt auf. Sagebiel entschied mit Verweis auf die Ende 2019 neu gefasste Gesetzeslage in § 29 Strafprozessordnung (StPO), dass über die Befangenheitsanträge später entschieden werde, was der Verlesung der Anklage aber nicht entgegenstehe. Die neue Regelung ist das Ergebnis des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens, sie soll den Ablauf von Strafverfahren beschleunigen. Ein Befangenheitsantrag am ersten Verhandlungstag kann so nicht die Verlesung der Anklage verhindern.
Die Anklage des Generalbundesanwalts (GBA) beginnt mit den Worten: Der Angeklagte E. "vertritt eine von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit getragene völkisch-nationalistische Grundhaltung." Detailliert skizzierte der GBA-Vertreter Dieter Killmer, wie sich E. und H. in ihrer gemeinsamen Zeit in der Kasseler Kameradschaftsszene kennenlernten. Zwischen 2016 und 2018 besuchten sie zusammen Demos, u.a. der AfD, Pegida, Pro Chemnitz. Es habe sich eine "enge Freundschaft" entwickelt und stetig intensiviert bis ins Jahr 2019. H. sei es gewesen, der für E. wie "ein Anker" gewesen sei. Er habe auch zahlreiche Kurz- und Langwaffen beschafft. Die beiden seien sich einig gewesen in der Auffassung, dass Deutsche sich bewaffnen müssten, aus einer empfundenen Angst vor Terrorismus und Migration. Gemeinsam sollen sie in einem Schützenverein und in einem Waldstück Schießübungen durchgeführt haben.
Psychische Beihilfe mit Eventualvorsatz bei H.?
Es ist ein entscheidender Punkt für die Bundesanwaltschaft, ebenso wie für die Verteidiger von H. E. soll nämlich durch Anleitung des H. seine Schiessfähigkeiten verbessert haben können. Außerdem soll H. dem E. Sicherheit und Rückhalt vermittelt haben. Er soll ihn bestärkt haben, aktiv zu werden. E. soll den H. zwar nicht in seine ganz konkreten Tatpläne eingeweiht, aber ihm gegenüber erwähnt haben, dass "man da mal was machen" könne.
Verteidiger Clemens griff diese Darstellung in seiner Stellungnahme an. Die Bundesanwaltschaft werfe seinem Mandanten nur psychische Beihilfe vor und zudem nur Eventualvorsatz, also nur die schwächste Beihilfeform in der schwächsten Vorsatzform. Und selbst dafür könne er in der Anklageschrift bislang keine ausreichenden Belege finden. Vor allem reiche der gemeinsame Besuch von politischen Kundgebungen nicht aus.
Vorsitzender: "Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, hören Sie auf mich"
Der Vorsitzende Sagebiel versuchte, E. und H., die die gesamte Verhandlung schweigend verfolgten, zu einer Aussage zu ermutigen: "Hören Sie nicht auf Ihre Verteidiger, hören Sie auf mich", rief er den Angeklagten zu. Die beste Verteidigung, wenn es etwas zu gestehen gebe, sei ein frühzeitiges Geständnis.
E. droht im Falle einer Verurteilung lebenslange Freiheitstrafe, möglicherweise mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Erstmal wollen beide laut ihren Verteidigern schweigen.
Bislang sind 32 Verhandlungstermine bis Ende Oktober angesetzt. Es zeichnete sich aber bereits am Montag ab, dass der Prozess durchaus länger dauern könnte.
Prozessauftakt im Mordfall Lübcke: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41916 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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