Revisionsverfahren gegen Olaf Latzel: Frei­spruch für "Pastor Lie­blos" auf­ge­hoben

von Eckhard Stengel

23.02.2023

Ein evangelikaler Pastor hatte Homosexuelle als Verbrecher beschimpft und wurde zunächst wegen Volksverhetzung verurteilt, in der Berufung aber freigesprochen. Jetzt entschied das OLG Bremen in der Revision: Der Freispruch wird aufgehoben.

Was zählt mehr: die Glaubensfreiheit eines homofeindlichen Pfarrers - oder die Rechte sexueller Minderheiten? Die Bremer Justiz ist sich in dieser Frage bisher nicht einig. Seit fast drei Jahren beschäftigt sie sich mit Äußerungen des Gemeindepfarrers Olaf Latzel (55), die ihm bundesweit Titulierungen einbrachten wie "Pastor Hetzel", "Hetzprediger von Bremen" oder "Pastor Lieblos". 

Der strenggläubige Pfarrer hatte im Herbst 2019 ein Seminar "Biblische 'Fahrschule' zur Ehe" geleitet und dabei auch das Thema Homosexualität angesprochen - mit drastischen Worten: "Überall laufen diese Verbrecher rum von diesem Christopher Street Day", beklagte er damals vor etwa 30 Ehepaaren aus seiner evangelikalen Innenstadtgemeinde St. Martini, die zur evangelischen Landeskirche gehört. Und weiter: "Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch". Teuflisch sei auch die "Homo-Lobby". Und Homosexualität gehöre zu den "Degenerationsformen von Gesellschaft".

Eigentlich waren diese Äußerungen nicht für die breitere Öffentlichkeit gedacht. Aber fünf Monate später, im März 2020, veröffentlichte die Gemeinde dann doch einen Tonmitschnitt des frei gehaltenen Vortrags im Internet, genauso wie zuvor schon Hunderte von weiteren Vorträgen und Predigten des Pastors. 

Von Homosexuellen angezeigt

Dank des Internets erfuhren auch Vertreter der queeren Bewegung von dem Vortrag und erstatteten entsetzt Anzeige gegen Latzel. Der nahm den Mitschnitt aus dem Netz und bat um Entschuldigung, falls der Eindruck entstanden sein sollte, er halte Homosexuelle generell für Verbrecher.

Mit diesem Begriff habe er nur jene "militanten Aggressoren" gemeint, die ihn und seine Gemeinde wiederholt attackiert und verleumdet hätten, zum Beispiel 2008 mit einer Gottesdienststörung durch ein "Kiss-In" von Homo-Paaren und später durch Farbschmierereien, Sachbeschädigungen und Morddrohungen. Er beharrte aber darauf, dass Homosexualität ebenso Sünde sei wie Geldgier, Ehebruch, Rache oder Trunksucht. Allerdings gelte dabei: "Nein zur Sünde, aber Ja zum Sünder".

Diese Argumentation bewahrte ihn allerdings nicht vor einer Verurteilung wegen Volksverhetzung: Eine Einzelrichterin am Amtsgericht (AG) Bremen verhängte im November 2020 die hier mildest mögliche Geldstrafe von 90 Tagessätzen - in diesem Fall zu jeweils 90 Euro, also insgesamt 8.100 Euro.

In der mündlichen Urteilsbegründung mahnte Amtsrichterin Ellen Best mit Blick auf die wachsende Hasskriminalität, dass Latzels Äußerungen Hemmschwellen absenken könnten: Sie könnten "als Lizenz zum Handeln" gegen sexuelle Minderheiten verstanden werden.

Milde Strafe vom Amtsgericht, Freispruch beim Landgericht

Ganz anders sah den Fall die Berufungsinstanz: Das Landgericht (LG) Bremen sprach den strenggläubigen Pastor im Mai 2022 frei.  Zwar nannte der Kammervorsitzende Hendrik Göhner die Äußerungen Latzels "archaisch" und "mehr als befremdlich", aber nach Ansicht der Kleinen Strafkammer fielen sie unter die Glaubensfreiheit. Dieses Grundrecht nach Art. 4 Grundgesetz (GG) schütze auch extreme religiöse Bekenntnisse und überwiege hier den Schutz der Ehre von Homosexuellen (Urt. v. 20.05.2022, Az. 51 Ns 225 Js 26577/20).

Wie es in dem 34-seitigen Berufungsurteil heißt, folgte das LG damals einer Einschätzung des katholischen Theologieprofessors Ludger Schwienhorst-Schönberger. Er hatte als Sachverständiger bestätigt: Homosexualität als Sünde zu bezeichnen, sei keine private, abwegige Sondermeinung, sondern werde durchaus auch von Fachwissenschaftlern so gesehen. Auch die von Latzel vorgenommene Trennung zwischen Sünde und Sünder, so das Landgericht in Anlehnung an den Sachverständigen, finde "ihre Entsprechung in der christlichen Lehre".  Latzel habe zwar "seine Ablehnung von Homosexualität mit einem drastischen Wortlaut zum Ausdruck gebracht", dies aber nicht auf Homosexuelle als Personen bezogen und auch nicht zum Hass gegen sie aufgestachelt. Mit keinem Wort ging die Berufungsinstanz dabei auf die Argumentation des Amtsgerichts ein: "Homosexualität ohne Menschen ist nicht vorstellbar"; die sexuelle Identität sei ein Teil der Persönlichkeit.

Zum Begriff "Genderdreck" urteilte das LG, dass auch damit keine Menschen gemeint seien, sondern nur die Ideologie oder soziologische Sichtweise von den Geschlechtern. Die Äußerungen zur "teuflischen Homo-Lobby" seien lediglich als drastische Kritik an innerkirchlichen Entwicklungen zu sehen. Bei den "Verbrechern von diesem Christopher Street Day" lag aus Sicht des Gerichts allein schon deshalb keine Volksverhetzung vor, weil es sich bei den Teilnehmenden solcher Umzüge nicht um einen klar abgrenzbaren Teil der Bevölkerung handele. Und Latzels Darlegung, dass er mit den "Verbrechern" nur militante Aggressoren gemeint habe, sei durchaus plausibel.

Seine Äußerungen bedeuteten nach Ansicht des Landgerichts auch keinen Angriff auf die Menschenwürde der Betroffenen. Aus alledem folgte für die Berufungsinstanz: Freispruch für den Pastor.

Ankläger begründen ihre Revision unterschiedlich

Damit wollte sich aber die Staatsanwaltschaft (StA) nicht abfinden und ging in Revision. Am Donnerstag verhandelte daher der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Bremen über den Fall. In der Revisionsbegründung hatte die StA dargelegt, warum Latzels Formulierungen doch als Volksverhetzung einzustufen seien. Er habe mit einprägsamen, emotionalisierenden Worten zum Hass aufgestachelt.

Doch die Bremer Generalstaatsanwaltschaft (GenStA), die für die Vertretung der Anklage vor dem OLG zuständig ist, übernahm überraschenderweise nicht die Begründung der StA, sondern argumentierte vor allem formal: Der Freispruch sei allein schon deshalb aufzuheben, weil die Urteilsbegründung "bei der Sachverhaltsfeststellung lückenhaft" sei. Das Landgericht (LG) habe den eindreiviertelstündigen Latzel-Vortrag "selektiv" auf nur drei Seiten zusammengefasst. Für eine umfassende Überprüfung durch das OLG wäre aber eine ausführlichere wortwörtliche Wiedergabe nötig gewesen. Dadurch, so die GenStA, wäre deutlich geworden, dass der Pastor keineswegs nur die Lebensformen sexueller Minderheiten angegriffen habe, sondern "konkret Menschen in den Fokus gestellt" habe.

"Sehr befremdlich" fand die Verteidigung das Vorgehen der GenStA. Wenn das LG tatsächlich gegen die Begründungspflicht verstoßen habe, hätten die Ankläger zunächst eine Aufklärungsrüge erheben und darlegen müssen, welche Passagen genau im Urteil fehlten. Das sei aber nicht passiert. Außerdem, so die beiden Verteidiger, widerspräche eine wörtliche Wiedergabe des ganzen Latzel-Vortrags den Vorgaben des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach Urteile kein Wortlautprotokoll sein sollten.

OLG regt Verfahrenseinstellung an

Vergeblich brachte der Vorsitzende Richter Klaus-Dieter Schromek § 153a Strafprozessordnung (StPO) ins Spiel, also eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldauflage. Das könne dem Rechtsfrieden dienen, und "vielleicht hat Herr Latzel etwas gelernt aus diesem Verfahren". Die Verteidigung hatte dies schon früher angeboten, aber die Anklage bestand auch diesmal auf einem Urteil, "in der Hoffnung auf rechtliche Klärung". "Schade", kommentierte der Vorsitzende.

Rund 20 Minuten später verkündete er das Urteil (Urt. v. 23.03.2023, Az.: 1 Ss 48/22): Der Freispruch wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Denn auch dem OLG ist die Urteilsbegründung nicht vollständig genug. Der Kontext der zur Anklage gebrachten Zitate werde nur grob oder teilweise gar nicht wiedergegeben, so Richter Schromek.

Er nahm aber auch den Pastor ins Gebet: Selbstverständlich dürfe man Homosexualität ablehnen; doch dabei komme es auf die Wortwahl an. Bei Latzels Formulierungen liege sehr nahe, dass sie die Menschenwürde verletzten. Zwar fielen sie unter die Religionsfreiheit, und um das festzustellen, "braucht man auch keine Sachverständigen" (ein Seitenhieb Richtung Landgericht). Aber die Religionsfreiheit finde ihre Grenzen in der Menschenwürde.

Disziplinarverfahren ruht weiterhin

Latzel selbst, der demonstrativ eine Bibel vor sich auf den Tisch gelegt hatte, äußerte sich überhaupt nicht zu dem Verfahren und verzichtete sogar auf das letzte Wort des Angeklagten. Dafür trat hinterher sein Verteidiger Sascha Böttner vor die Kameras: "Das OLG hat heute ein bisschen Rechtsgeschichte geschrieben, indem es das Revisionsrecht nahezu auf den Kopf gestellt hat." Denn in Urteilen würden üblicherweise nur wesentliche Passagen erwähnt. Selbstverständlich finde die Religionsfreiheit ihre Schranken in der Menschenwürde, räumte Böttner ein. Aber Latzel habe nur vor einem kleinen Kreis gesprochen und ursprünglich nicht vorgehabt, seinen Vortrag zu veröffentlichen. Als ein Gemeindemitarbeiter dies später nach kurzer Absprache mit ihm doch noch getan habe und damit die Kritik auslöste, habe er sich entschuldigt und den Mitschnitt aus dem Netz genommen. Dass das OLG jetzt den Freispruch kassiert habe, bestärke den Eindruck der Verteidigung, "dass es sich hier um ein politisches Verfahren handelt".

Draußen vor dem Bremer Justizgebäude am Wall demonstrierten anfangs 20, später bis zu 50 Personen gegen den Pastor.

Parallel zum weltlichen Strafverfahren sitzt dem Pfarrer auch noch ein kirchliches Disziplinarverfahren im Nacken, das die Bremische Evangelische Kirche (BEK) im Mai 2020 gegen ihn eingeleitet hatte. Sie lässt es aber ruhen, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.

Zitiervorschlag

Revisionsverfahren gegen Olaf Latzel: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51149 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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