In einem vielbeachteten Impfschadensprozess hat das Gericht nun die Richtung vorgegeben: AstraZeneca könnte tatsächlich zum Schadensersatz verpflichtet sein – jedoch aus einem anderen Grund als bisher in den Medien diskutiert wurde.
"Das, was ich in den letzten zwei oder zweieinhalb Jahren erlebt habe, wünsche ich keinem", sagte Ramona Klüglein dem ARD-Morgenmagazin in einem am Montag veröffentlichten Beitrag. Sie hatte sich im März 2021 mit dem damals einzig verfügbaren Covid-19-Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca impfen lassen. Im Anschluss hatte sie eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten und war im Koma gelandet, letztlich mussten ihr drei Meter Darm entfernt werden.
Wegen dieser massiven Gesundheitsschäden verklagt Klüglein AstraZeneca derzeit vor dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg (Az. 4 U 15/23 e). Sie fordert insgesamt bis zu 600.000 Euro als Schmerzensgeld sowie als Schadensersatz für künftige Beeinträchtigungen. Nachdem sie in erster Instanz vor dem Landgericht (LG) Hof gescheitert war (Urt. v. 03.01.2023, Az. 15 O 22/21), legte sie Berufung ein, über welche seit Anfang Juli in Bamberg verhandelt wird.
Nun hat das Gericht einen Hinweisbeschluss erlassen, der klarstellt, worum es im weiteren Verlauf des Verfahrens gehen wird – und worum nicht. Nach Auffassung der Richter lässt sich die Klage nicht darauf stützen, dass der Impfstoff "fehlerhaft", also besonders risikoreich ist. Stattdessen kommt aber ein anderer Grund in Betracht, den der Anwalt der Klägerin Volker Loeschner im ARD-Morgenmagazin vorgetragen hat: AstraZeneca hat vor Durchführung der Impfung unzureichend über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt, hätte dies laut Loeschner aber tun müssen.
Hat AstraZeneca nicht hinreichend aufgeklärt?
Das OLG zeigt nun deutliche Sympathie für diesen in § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) normierten Haftungsgrund: "Der Senat geht derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff der Beklagten geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation der Beklagten dargestellt gewesen wäre", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts vom Montag.
Zur Frage, ob die Impfung kausal für die Gesundheitsschäden war, äußerte sich das OLG in der Mitteilung nicht. Dies setzt das Gericht offenbar voraus. Auch das für die Prüfung einer Entschädigung durch staatliche Stellen zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales hatte einen Impfschaden in Klügleins Fall bereits bejaht.
Damit besteht offenbar Klarheit über zwei wesentliche Punkte: Die schweren Gesundheitsschäden, die Klüglein erlitt, lassen sich auf die Impfung mit dem Corona-Vakzin von AstraZeneca zurückführen und in dem Wissen über eine mögliche Darmvenenthrombose hätte sie sich nicht impfen lassen. Damit steht die Tür für eine erfolgreiche Klage durchaus offen.
Doch ist nach Auffassung der Richter noch zu klären, "ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war". Sie wollen dies nun in einem Sachverständigengutachten klären lassen.
Schwankende Empfehlungen von STIKO und EMA
Hierbei wird es vor allem auf den zum Zeitpunkt der Impfung im März 2021 vorherrschenden Forschungsstand ankommen. Relevant dürften hierbei auch die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Europäischen Arzneimittelaufsicht (EMA) bezüglich des Astra-Zeneca-Impfstoffs sein. Noch einen Tag, nachdem Klüglein geimpft worden war, kam die EMA zu dem Schluss, dass Thrombosen unter geimpften Personen nicht häufiger aufträten als in der Gesamtpopulation. Die STIKO empfahl daraufhin weiter die Impfung mit dem Vakzin. Zwar zeigten "vorliegende Daten zu den thromboembolischen Ereignissen […] ein Sicherheitssignal". "Allerdings ist die insgesamt vorliegende Evidenz derzeit begrenzt", hieß es in einer Mitteilung vom 19. März.
Erst Anfang April 2021 änderte die STIKO ihre Einschätzung und beschränkte die Empfehlung des Impfstoffs auf Personen über 60 Jahre. Die EMA beließ es bei der uneingeschränkten Empfehlung, riet aber dazu, das Risiko von ungewöhnlichen Blutgerinnseln in Verbindung mit Thrombozytopenie als eine sehr seltene Nebenwirkung aufzuführen.
OLG sieht keine Haftung wegen Produktfehlers
Interessant ist, dass das OLG in seinem Hinweisbeschluss einen anderen Haftungsgrund verneinte, auf den sich die mediale Berichterstattung über den Fall – auch bei LTO – bislang fokussiert hat: dass der Impfstoff "schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen" (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG). Diese Voraussetzung liegt nämlich nur vor, wenn die Risiken der Einnahme des Arzneimittels den gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwiegen. Dass die AstraZeneca-Breitenimpfung mehr Schaden verursacht hätte, als sie die Bevölkerung vor den Folgen einer schweren Covid19-Infektion geschützt und zur Eindämmung der Pandemie beigetragen hätte, konnte das OLG nicht erkennen.
Klüglein hatte hierzu vor dem LG Hof vorgetragen, das Risiko einer – wie in ihrem Fall – konkret lebensbedrohlichen Darmvenenthrombose sei unverhältnismäßig. Doch das sieht das OLG offenbar – wie schon das LG – anders. Es wies in der Mitteilung vom Montag darauf hin, dass "die von der Klägerin angeführten Nebenwirkungen schon im Zeitpunkt der Zulassung bekannt gewesen und bei dieser berücksichtigt worden seien".
Das heißt: Was der Klägerin hier passiert ist, ist bereits in die erforderliche Risiko-Nutzen-Abwägung einbezogen worden. Weil der Impfstoff so wirksam zur Bekämpfung der Pandemie war, sind eben auch derart schwere Folgen hinzunehmen.
Haftung für Corona-Impfstoffe beschäftigt die Gerichte
Stattdessen geht es im weiteren Verfahren in Bamberg nun also um eine Rechtsfrage, die man aus dem Verbraucherrecht sowie dem Recht über den Behandlungsvertrag kennt: Wurde die Patientin vor der Impfung hinreichend informiert? Am Ende soll jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt – aus einer wohlinformierten Position heraus. Angesichts der Dynamik des wissenschaftlichen Kenntnisstandes im Frühjahr 2021 und der Komplexität der Materie wird mit Spannung abzuwarten sein, wie das OLG Bamberg auf Grundlage des Sachverständigengutachtens schließlich entscheidet.
Sowohl Klüglein als auch AstraZeneca haben nun Gelegenheit, sich zu dem Beschluss zu äußern. Rechtsanwalt Loeschner wertete die Entscheidung als Teilerfolg. Der Beschluss habe Auswirkungen auf gleichartige Haftungsprozesse: Gerichte könnten nicht ohne Gutachten über diese Thematik urteilen. AstraZeneca lehnt eine Haftung bislang strikt ab. Auch auf einen Vergleich hat sich das Unternehmen nicht eingelassen.
Das Verfahren in Bamberg ist nicht der einzige Zivilprozess, in dem sich ein Hersteller eines Corona-Impfstoffs verantworten muss. Am gleichen Tag im Juli war auch vor dem LG Rottweil verhandelt worden, der dortige Kläger hat nach eigenen Angaben infolge einer Impfung des Herstellers Biontech das Sehvermögen auf einem Auge verloren. Medienberichten zufolge sollen über 200 derartige Haftungsprozesse vor deutschen Zivilgerichten anhängig sein.
OLG Bamberg zur Haftung für Corona-Impfschäden: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52482 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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