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20573

Öffentlichkeit im Strafverfahren: Von Kameras und echten Per­sön­lich­keits­rechts­ver­let­zungen

von Pia Lorenz

14.09.2016

Kameras bei der Urteilsverkündung: Bald womöglich Realität

© maxoidos - Fotolia.com

Die Richterschaft kritisiert die Pläne für mehr Öffentlichkeit in der Justiz weiter massiv. Die Vorschläge des strafrechtlichen Gutachters beim DJT zeigen, dass man ganz andere Dinge ändern könnte als Kameras bei den Bundesgerichten.

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Die Pläne der Bundesregierung und die Kritik aus der Justiz

"Mehr Medienöffentlichkeit ist vor allem eine Chance, die großen Leistungen der Justiz insgesamt noch anschaulicher zu machen". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) griff bei der Eröffnung des 71. Deutschen Juristentags am Dienstag besonders gern das Thema der strafrechtlichen Abteilung auf. Mit der Öffentlichkeit vor Gericht hat sein Ministerium sich in den vergangenen Monaten beschäftigt – und nur zwei Wochen vor der Tagung hat das Bundeskabinett den von ihm vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit beschlossen.

Maas warb bei den mehr als 2.200 Juristen aller Professionen, die sich bei der größten deutschen Tagung für Juristen im Zwei-Jahres-Takt treffen, um Verständnis. Obgleich sein Vorschlag nur drei Aspekte von Gerichtsverfahren erfasst, ist er massiver Kritik aus der Justiz ausgesetzt.

Der Düsseldorfer Juraprofessor Prof. Dr. Karsten Altenhain geht in seinem Gutachten weiter, was die Rechte von Medienvertretern in der Hauptverhandlung betrifft. Aber nur ein ganz kleiner Teil seiner Thesen unter dem Titel "Öffentlichkeit im Strafverfahren - Transparenz und Schutz der Verfahrensbeteiligten" betrifft überhaupt die Punkte, die der minimalinvasive Entwurf aus dem Bundesjustizministerium (BMJV) behandelt. Altenhain setzt ganz woanders an. Und zwar so, dass man nicht erst über die derzeit diskutierten Antworten nachgrübelt, sondern schon über die zu stellenden Fragen. Man darf mit hitzigen Diskussionen rechnen, wenn die Strafrechtler über die Thesen des Juraprofessors diskutieren und am Donnerstag abstimmen werden.

Kritik aus der Justiz: kein Anlass für geplante Änderungen

Der vom Kabinett verabschiedete Entwurf des BMJV basiert auf Vorschlägen der Justizministerkonferenz. Er öffnet einen ganz kleinen Teilbereich der Arbeit der Justiz für die Medien: Künftig dürfen die Urteilsverkündungen von Bundesgerichten aufgezeichnet und übertragen werden. Alle Gerichte dürfen bei zu viel Medienandrang den Ton in einen anderen Raum übertragen, der nur für Pressevertreter zugänglich ist. Und Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung dürfen mitgeschnitten werden –wohlgemerkt nur für die Archive der Zukunft, nicht etwa für die aktuelle Berichterstattung. Bei ausnahmslos allen vorgesehenen Änderungen liegt die Einwilligung im Einzelfall im Ermessen der Gerichte.

Bundesrichter kritisieren die vorgesehenen Änderungen dennoch schon seit Monaten massiv. Das seit Jahrzehnten bestehende Verbot für TV-Aufnahmen habe durchaus seine Berechtigung, sagte Verbandschef Jens Gnisa aus Anlass des Deutschen Juristentages der Neuen Osnabrücker Zeitung (Mittwoch). "Die Aufgabe der Justiz ist es, die Wahrheit zu ermitteln. Durch Kameras im Gerichtssaal werden alle Beteiligten negativ beeinflusst, insbesondere die Angeklagten und die Zeugen."

Am Dienstag teilte auch der Bund deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) mit, dass er nicht zu erkennen vermag, "dass Veränderungen in der Medienlandschaft es gebieten, das wohlaustarierte Gleichgewicht zwischen Berichterstattung und Informationszugang einerseits sowie Persönlichkeitsschutz und Funktionsfähigkeit der Justiz andererseits zu gefährden". Die Regelung des § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) möge vielleicht nicht dem "Zeitgeist" entsprechen, indes gründe das Ansehen der Justiz auch nicht auf ihrer "Modernität", sondern auf ihrer Objektivität und Neutralität.

Die Argumente, welche die Richter ins Feld führen, sind so alt wie die Diskussion um eine Öffnung des § 169 GVG. Frank Bräutigam, promovierter Jurist und Leiter der ARD-Rechtsredaktion des SWR, macht sich die Mühe, in einer am Dienstag veröffentlichten neunseitigen Stellungnahme auf sie einzugehen, um auch die Kritiker der sanften Reformvorschläge davon zu überzeugen, dass die Fernsehredaktionen die Änderungen verantwortungsvoll und nur zum Guten für Justiz und Bürger nutzen werden.

Altenhains Vision: Leitlinien für den Staat, Schutz für den Beschuldigten

2/2: Altenhain: Entscheidungen aller Gerichte verfilmen lassen, bei Einwilligung auch mehr

Auch Karsten Altenhain kannte die Vorschläge der Justizministerkonferenz (JuMiKo), die nun das Kabinett passiert haben, als er sein Gutachten für den 71. DJT erstellte. Der Straf- und Medienrechtler kennt alle Argumente, die seit Jahrzehnten gegen eine Öffnung der Sitzungssäle für die Kameras sprechen sollen. Gelten lässt er sie in seinem - auftragsgemäß auf Prozesse der Strafgerichtsbarkeit beschränkten - Gutachten nicht.

In die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Angeklagten, greife die Kombination von Bild und Ton nicht stärker ein als ein Bericht in den Print- oder Online-Medien. Auch die Befürchtung, die richterliche Unbefangenheit könnte durch anwesende Kameras beeinflusst werden, sei "allgemeine Medienkritik, die bereits auf dem Phänomen der Gerichtsberichterstattung als solcher aufbaut", heißt es in dem Gutachten. Eine Beeinflussung des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten und die damit verbundene Gefahr für die Wahrheits- und damit Rechtsfindung bezweifelt er, zumal sie empirisch nicht nachgewiesen sind. Vor allem aber könnte sie, selbst wenn es sie gäbe, allenfalls gegen Übertragungen der Beweisaufnahme sprechen, sei aber sonst für keinen Verfahrensabschnitt ein Argument.

Altenhain schlägt vor, nicht nur die Übertragung von Entscheidungsverkündungen der Bundesgerichte zuzulassen, sondern diese Möglichkeit auf die Urteile aller Gerichte auszudehnen. Wenn er außerdem fordert, Ton- und Filmaufnahmen immer zuzulassen, wenn alle Beteiligten eingewilligt haben, geht er über die jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschläge hinaus.

Die Vision: klare, einheitliche Auskunftsregelung in StPO

Aber sein Ansatz ist viel umfassender. Neben weiteren Änderungsvorschlägen zur Ausgestaltung des medialen Zugangs zu Gerichtsverfahren beschäftigt sich der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Medienrecht an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf mit der Zeit vor dem Hauptverfahren. Im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Presse auf Information und den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten, vom Selbstdarstellungsrecht bis hin zur Unschuldsvermutung unterbreitet Altenhain Vorschläge, wie der Staat Medien Auskünfte erteilen kann. Wie er es muss. Und wie er es nicht darf.

Einen einheitlichen medienrechtlichen Anspruch auf Auskunft im Strafverfahren, geregelt in der StPO, wünscht sich der Strafrechtler. Eine Bundeskompetenz, die Schluss macht mit den aktuellen Regelungen in den Landespressegesetzen nebst ihren teils nebulösen Grenzen, die Staatsanwaltschaften und Gerichte häufig unterschiedlich auslegen.

Häufig wissen die Pressestellen des Staates gar nicht genau, zu welchen Auskünften sie überhaupt ermächtigt sind. Und tendieren im Zweifel dazu, zu wenig zu sagen – Ausnahmen wie das Verfahren gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff mögen diese Regel bestätigen.

Rechtssicherheit für alle, Schutz für den Beschuldigten

Das will Altenhain ändern. Der Anspruch, den er sich vorstellt, sollte unterscheiden nach allgemeinen Auskünften und solchen, die personenbezogen sind. Erstere dürfen grundsätzlich erteilt werden, letztere nur ausnahmsweise. Und das will er definieren, auf die häufig schwammigen Generalklauseln des Landespresserechts verzichten zugunsten einer eindeutigen positiven Bestimmung, welche Auskünfte zulässig sind.

Den Beschuldigten will Altenhain stärker schützen, vor allem mit Blick auf die Unschuldsvermutung. Schon die Information über seine Identität setze, so seine Argumentation, in der Öffentlichkeit einen Prozess in Gang, der dazu führe, dass große Teile der Öffentlichkeit ihn als schuldig ansähen, sobald ein Ermittlungsverfahren eröffnet ist. Eine solche Information hält Altenhain nur für zulässig, wenn der Beschuldigte eingewilligt hat oder in der Öffentlichkeit bereits aufgrund allgemein verfügbarer Informationen verdächtigt wird.

Im Vorverfahren will er nur der Staatsanwaltschaft überhaupt die Befugnis zur Auskunftserteilung geben und ihr gleichzeitig explizit das Recht einräumen, allgemeine Mitteilungen nicht nur auf Nachfrage, sondern auch eigeninitiativ zu veröffentlichen. Auf der anderen Seite will er den Straftatbestand der Verletzung von Privatgeheimnissen durch Amtsträger (§ 203 Abs. 2 Strafgesetzbuch, StGB) als Offizialdelikt ausgestalten, also das Strafantragserfordernis für Mitteilungen von Amtsträgern abschaffen.

Würden Altenhains Vorschläge Gesetz, würde nicht nur so manche Schulung für Pressesprecher von Staatsanwaltschaften und Gerichten überflüssig, so mancher Streit zwischen Medienvertretern und Vertretern des Staates sich erledigen. Die Gefahr einer einseitigen Darstellung durch Medien, die sich nur bei Verteidigern informieren, weil eine unsichere Anklagebehörde nicht genau wusste, welche Angaben sie heraus geben darf, würde minimiert.

Vor allem würden Beschuldigte dort geschützt, wo sie des Schutzes wirklich bedürfen: vor einer Öffentlichkeit, die sie verurteilt, sobald ihr Name im Zusammenhang mit einer Straftat in der Zeitung steht. Vor Strafverfahren wie dem gegen Jörg Kachelmann, der auch nach seinem Freispruch nie wieder das Leben führen wird, das er zuvor hatte. Nicht Kameras, die die Verkündung einer letztinstanzlichen Entscheidung aufzeichnen, bei der er nicht einmal anwesend ist, verletzen die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten.

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Pia Lorenz, Öffentlichkeit im Strafverfahren: Von Kameras und echten Persönlichkeitsrechtsverletzungen . In: Legal Tribune Online, 14.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20573/ (abgerufen am: 31.03.2023 )

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