Im April beginnt vor dem OLG München der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte. Die Zuschauerplätze im Saal sind begrenzt, die Zahl der interessierten Journalisten riesig. Sie fordern nun, Bilder aus dem Gerichtssaal in einen Medienarbeitsraum zu übertragen. Das OLG München sieht darin einen Verstoß gegen das Verbot von Filmaufnahmen. Zu Unrecht, meint Martin W. Huff.
Der Prozess rund um die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wird eines der großen deutschen Strafverfahren werden. Eine Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München ist nicht gerade alltäglich, die schleppende Aufklärung der Morde, die Ermittlungspannen und deren Zusammenhänge haben schon bisher nicht nur die Justiz, sondern auch die Politik stark beschäftigt.
In dem Verfahren wird es nicht zuletzt auch darum gehen, warum die verschiedenen Ermittlungsbehörden nicht in der Lage waren, effizient zusammen zu arbeiten. Daher wird der Prozess auch ein riesiges Medienecho finden. Und schon Wochen vor seinem Beginn gibt es die ersten Schwierigkeiten: Die Kapazitäten im Saal des OLG München sind sehr beschränkt. Rund 100 Zuschauerplätze wird es geben, davon ist, so der Präsident des OLG München in mehreren Interviews, die Hälfte für Journalisten vorgesehen.
Man darf stark bezweifeln, dass das ausreichend ist. Nicht nur deutsche, sondern auch ausländische Medienvertreter wollen aus München berichten. Selbst wenn man bei der Akkreditierung der Journalisten sehr streng vorginge und nur einen Vertreter pro Medium zuließe, dürfte die Kapazität der Presseplätze schnell erschöpft sein. Ausweichen in einen gemieteten Saal möchte das OLG München nicht.
Mit einem heftigen Gerangel um die freien Plätze ist zumindest an manchen Verhandlungstagen zu rechnen. Auch juristische Auseinandersetzungen um die Frage, ob und wie die Medienvertreter von dem zuständigen Strafsenat ausgewählt wurden, stehen zu erwarten.
Meinungsäußerungsfreiheit vs. § 169 GVG
Die Medienvertreter können sich dabei betreffend den Zugang zum Gerichtsverfahren immerhin auch auf das Recht auf Meinungsäußerung nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention berufen. Das stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zum Beispiel im Urteil vom 13. März 2012 (Az. 44585/10) im sogenannten Eislingen-Prozess klar, auch wenn die Straßburger Richter das vom Landgericht Ulm gewählte Losverfahren für die Zulassung ausgewählter Pressevertreter zum dem Jugendstrafverfahren letztlich billigten.
So diskutieren Journalisten bereits vor Beginn des Prozesses, ob es nicht möglich wäre, Bilder aus dem Gerichtssaal in einen separaten "Medienarbeitsraum" auf einen großen Bildschirm zu übertragen.Das OLG München sieht diese Option nicht, wie die Pressesprecherin Magarete Nötzel auf Nachfrage gegenüber LTO erklärte.
Damit würde nach Ansicht der bayerischen Richter gegen § 169 Gerichtsverfassungsgesetz verstoßen. Satz 2 der Vorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits bestätigt hat, lautet: "Ton-und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig".
In Deutschland ist anders als etwa in Schweden und einigen Staaten der USA eine Übertragung von Bildern in die Öffentlichkeit nicht erlaubt. Denn, so auch das BVerfG, es macht für die am Verfahren Beteiligten einen erheblichen Unterschied, ob nur eine Saalöffentlichkeit besteht, auch wenn diese sich in Teilen aus Medienvertretern zusammensetzt, oder ob es zum Beispiel durch eine Liveübertragung eine echte Medienöffentlichkeit gibt. Dann würden die Prozessbeteiligten in einer Art und Weise in der Öffentlichkeit stehen, die dazu führen würde, dass man sich anders verhielte. Kein Angeklagter, Richter oder sonstiger Verfahrensbeteiligter müsse sich dem aussetzen.
2/2: Aus der Perspektive des Zuschauers: Statische Kamera
Doch schließt dieses Verbot die Übertragung der Gerichtsverhandlung per Video in einen Medienarbeitsraum tatsächlich aus? Es steht außer Frage, dass die Journalisten diese nicht zu einer Weiterübertragung nutzen dürfen. Diese wünschen sich vielmehr vor allem, alle Aussagen, Stimmen und Geschehnisse durch die Bildübertragung auch den jeweils handelnden Personen zuordnen zu können.
Klar muss sein, dass per se nur solche Bilder in einen Medienarbeitsraum übertragen werden dürften, welche dieselbe Perspektive zeigen, die auch der Zuschauer im Saal hat. Der Gerichtssaal darf keinen Raum geben für eine Inzenierung wie in einem Fernsehspiel.
Denkbar wäre also nur eine "statische Kamera", die den Saal vor dem Zuschauerraum umfasst, also die Richter, Staatsanwälte, Angeklagte und Verteidiger so zeigt, wie man sie auch als sitzender Zuschauer sähe. Es darf keine Bilder geben, die zum Beispiel von vorne auf den Angeklagten gerichtet sind. Auch ein Zoomen oder ähnliches wäre auf keinen Fall erlaubt.
Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist die Übertragung in einen Nebenraum erlaubt. Sie würde bloß eine "erweitere Saalöffentlichkeit" herstellen, nicht aber eine öffentliche Übertragung nach außen. Denn es würde ja nur ein Bild übertragen, das zeigt, was man auch im Saal sähe. Es ist sogar weniger, denn Stimmungen der Zuschauer etc. würden von der statischen Kamera nicht erfasst.
Journalisten müssten Kamerahandys abgeben
Auch das Argument, dass dieser Saal der sitzungspolizeilichen Befugnis des Vorsitzenden nach § 176 GVG entzogen ist, greift nicht durch. Seine Vorgaben könnte auch in dem Saal für die Pressevertreter etwa durch die Anwesenheit von Wachtmeistern durchgesetzt werden. Dieser könnte auch Rückmeldungen an den Vorsitzenden geben. Tumulte oder ähnliche dürften im einem Medienarbeitsraum nicht vorkommen und eine Störung der Hauptverhandlung ist sowieso ausgeschlossen.
Es spräche also nichts dagegen, eine solche Übertragung zuzulassen. Allerdings wäre es gut, wenn der Vorsitzende diese Maßnahmen mit der Verteidigung, Nebenklage und der Staatsanwaltschaft abspräche.
Außerdem müssten die Journalisten quasi im Gegenzug einige Vorkehrungen in ihrem Medienarbeitsraum akzeptieren. So wäre etwa ein Verbot, Mobiltelefone, Laptops etc. mit Kamerafunktion mit in den Arbeitsraum zu nehmen, sicherlich angemessen, um die Gefahr der öffentlichen Übertragung auszuschließen.
Die Münchener Justiz sollte überlegen, ob sie diesen Weg angesichts des Medieninteresses nicht doch gehen sollte. Die Auseinandersetzung mit dem Prozess sollte inhaltlicher Art sein und nicht um die Frage der Berichterstattung aus dem Saal geführt werden.
Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Er schrieb früher selbst als Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über große Strafprozesse etwa gegen Jürgen Schneider und Peter Graf und bildet heute Pressesprecher an Gerichten aus.
Martin W. Huff, Zu wenig Platz beim NSU-Prozess: OLG München könnte Bilder in Medienraum übertragen . In: Legal Tribune Online, 06.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8273/ (abgerufen am: 06.12.2023 )
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