Es geht nicht mehr nur um die Überwachung deutscher Bürger, die ausländischen Geheimdienste sollen auch versucht haben, Politiker auszuspähen. Richten soll es nun die Bundesanwaltschaft. Der Strafrechtler Christoph Safferling erklärt im Interview, wieso das deutsche Strafrecht bei Staatsschutzdelikten anwendbar ist und ob Snowden in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden könnte.
LTO: Der Generalbundesanwalt gab vergangene Woche bekannt, dass seine Behörde prüft, ob sie strafrechtliche Ermittlungen wegen der Überwachungsmaßnahmen des amerikanischen sowie des britischen Geheimdienstes aufnehmen sollte. Dabei geht es nicht mehr nur um die Überwachung von Bürgern, auch Politiker sollen ausgespäht worden sein. Gegen welche Tatbestände des deutschen Strafrechts könnte das verstoßen haben?
Safferling: Soweit tatsächlich staatliche Stellen überwacht worden sind, können Staatsschutzdelikte einschlägig sein, wenn es um "Staatsgeheimnisse" im Sinne des § 93 Strafgesetzbuch (StGB) geht. Darunter fallen etwa der Landesverrat nach § 94 StGB, das Offenbaren von Staatsgeheimnissen gemäß § 95 StGB oder auch die Landesverräterische Ausspähung sowie die Preisgabe von Staatsgeheimnissen nach §§ 96 und 97 StGB. Staatsgeheimnisse sind aber nur solche Erkenntnisse, die geheim gehalten werden müssen, um "einen schweren Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik abzuwenden", wie es in der Legaldefinition heißt.
Geht es nicht um Staatsgeheimnisse, sondern um andere geheimzuhaltende Umstände und Daten, kann dies eine nach § 99 StGB strafbare geheimdienstliche Agententätigkeit sein. Das ist auch der Tatbestand, nach dem das russische Agentenehepaar diese Woche vor dem OLG Stuttgart verurteilt worden ist.
"Geschützt sind auch private Geheimhaltungsinteressen"
LTO: Greift die Norm auch, wenn es um das Ausspähen von Bürgern geht?
Safferling: Ja, geschützt sind auch private Geheimhaltungsinteressen genauso wie Erkenntnisse aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft. Der Tatbestand hat eben nicht die enge Voraussetzung des "Staatsgeheimnisses".
Private sind daneben aber auch über die §§ 201, 202a und 202b StGB davor geschützt, dass ihre Daten ausgespäht und abgefangen werden. Das sind dann aber keine Staatsschutzdelikte, sondern Straftatbestände zum Schutz der Privatsphäre.
LTO: Wie hoch sind die Strafen, die diese Tatbestände androhen?
Safferling: Bei den genannten Staatsschutzdelikten reicht die Bandbreite von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die §§ 201 ff. StGB haben lediglich geringe Freiheitsstrafen oder Geldstrafen zur Folge.
"Vielleicht muss auch gegen private IT-Unternehmen ermittelt werden"
LTO: Wieso ist das deutsche Strafrecht überhaupt anwendbar? Agiert haben ja ausländische Behörden, deren Mitarbeiter wahrscheinlich nicht einmal deutschen Boden betreten haben.
Safferling: Nach § 5 Nr. 4 StGB gilt das deutsche Strafrecht bei Staatsschutzdelikten, auch wenn diese im Ausland begangen worden sind. Dabei ist übrigens irrelevant, ob diese Taten auch nach dem Recht des Tatorts – also nach amerikanischem Recht – strafbar wären.
LTO: Und wie ist das bei Taten nach den §§ 201, 202a und 202b StGB?
Safferling: Hierfür gilt ganz allgemein das Territorialitätsprinzip (§ 3 StGB), wonach deutsches Strafrecht dann anwendbar ist, wenn die strafbare Handlung in Deutschland begangen wird oder der Erfolg hier eintritt.
LTO: Ist die Bundesanwaltschaft unproblematisch zuständig?
Safferling: Der Generalbundesanwalt ist gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 3 Gerichtsverfassungsgesetz lediglich für die Staatschutzdelikte zuständig. Nicht aber für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
LTO: Die Überwachung durchgeführt haben die Geheimdienste, also Behörden. Strafrechtliche Ermittlungen richten sich aber immer gegen eine natürliche Person. Gegen wen ermittelt der Generalbundesanwalt dann eigentlich? Gegen die Chefs von NSA und GCHQ?
Safferling: Ja, es müssten Verfahren gegen die Verantwortlichen eben jener Dienste eingeleitet werden. Darüber hinaus vielleicht auch gegen Unterstützer innerhalb der deutschen Dienste. Zudem, wenn denn die Berichterstattung zutrifft und auch private IT-Unternehmen involviert sind, wären auch hier Strafbarkeiten denkbar. Schließlich bleibt die Frage nach den politisch Verantwortlichen.
"Zeugenschutzprogramm würde auch für Snowden gelten"
LTO: Welche Ermittlungsmöglichkeiten hat die Bundesanwaltschaft überhaupt? Mitarbeiter der Geheimdienste werden wohl kaum als Zeugen aussagen. Wie sehr kann man solche Ermittlungen nur auf Medienberichte über Informationen, die Snowden gegeben hat, stützen?
Safferling: Das ist in der Tat ein schwieriges Szenario, da Medienberichte kaum forensisch verwertbar sind. Offizielle Unterlagen, so wie sie wohl von Snowden herausgegeben wurden, wären als Beweismittel in einem Prozess einführbar. Ansonsten besteht die Möglichkeit, auch im Ausland zu ermitteln. Dies ist allerdings von der Kooperationsbereitschaft der auswärtigen Behörden abhängig, hier insbesondere der USA, und dürfte deshalb praktisch unmöglich sein.
LTO: Sigmar Gabriel, Peter Gauweiler und der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Nescovic denken, ein solches Ermittlungsverfahren könnte auch Snowden helfen. Die Behörden könnten den Mann dann nämlich als Zeuge benennen und in einem Zeugenschutzprogramm nach Deutschland holen. Wie abstrus ist dieser Vorschlag?
Safferling: Es gibt in Deutschland ein solches Schutzprogramm für gefährdete Zeugen. Das würde auch für Herrn Snowden zur Verfügung stehen. Es bleibt aber die Frage, wie er überhaupt in den Geltungsbereich der deutschen Strafjustiz gelangen könnte.
Schwierigkeiten wird da vor allem das Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Deutschland machen. Allerdings regelt Art. 4 des Übereinkommens, dass nicht wegen "politischer Straftaten" ausgeliefert wird. Die aktuell bekannten Anklagepunkte gegen Snowden beziehen sich zumindest auch auf den sogenannten Espionage Act von 1917 und sind somit im Grundsatz als politische Straftaten einzuordnen.
LTO: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es zu einem Ermittlungsverfahren und einer Anklage kommt?
Safferling: Ganz ehrlich: Mag es auch Ermittlungsverfahren geben, zu einer Anklageerhebung wird es wahrscheinlich nicht kommen. Die möglichen Täter sind nicht greifbar und für im Ausland begangenen Taten gilt das Opportunitätsprinzip nach § 153c Strafprozessordnung, das Raum für politische Erwägungen bietet.
Prof. Dr. Christoph Safferling ist Universitätsprofessor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Philipps-Universität Marburg.
Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.
NSA-Überwachung: . In: Legal Tribune Online, 05.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9087 (abgerufen am: 16.10.2024 )
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