NRW verbietet Rockerclubs: Kriminelle Kumpanei kostet die Vereinsfreiheit

von Dr. Dirk-Ulrich Otto

16.05.2012

Anfang Mai traf es die Kölner Hells Angels, kurz zuvor die Bandidos in Aachen: Wegen Gewalttätigkeiten einiger Mitglieder geht die nordrhein-westfälische Justiz derzeit entschlossen gegen Rockerclubs vor. Dirk-Ulrich Otto erklärt, wann Straftaten von Einzelnen dem gesamten Verein zugerechnet werden können und unter welchem Umständen dies sogar ein Verbot rechtfertigt.

Wenn Zwecke oder Tätigkeit einer Vereinigung dem Strafgesetz zuwider laufen, ist sie verboten. So strikt formuliert es das Grundgesetz (GG) und nimmt damit die in Artikel 9 garantierte Vereinsfreiheit bereits im zweiten Absatz zurück. Trotzdem kann das Grundrecht nicht beliebig durch den Strafgesetzgeber reduziert werden. Es geht um das "allgemeine" Strafgesetz, also den für Jedermann geltenden Rechtsgüterschutz. Erst eine ausdrückliche Verfügung setzt das Verbot um. Seine Grundlage ist § 3 Abs. 1 des Vereinsgesetzes (VereinsG), das die dieselben Voraussetzungen aufstellt wie das GG.

Da ein Grundrecht im Spiel ist, müssen auf der anderen Seite schützenswerte Rechtsgüter von einigem Rang stehen. Nicht ausreichend ist dabei etwa die Gesundheit bei gezielter Umgehung eines Rauchverbots, das nur mit Bußgeld bewehrt ist (Oberlandesgericht Oldenburg; Beschl. v. 25.08.2008, Az. 12 W 39/08; vgl. auch Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entsch. v. 31.01.2012, Az. 16-VII-10).

Sowohl die Hells Angels als auch die Bandidos werden – ob zu Recht muss sich zeigen – mit Erpressung, Betäubigungsmitteldelikten, Körperverletzung, teils auch mit Menschenhandel und Tötungsdelikten in Verbindung gebracht. Das betrifft hochrangige Rechtsgüter zur Genüge.

Straftäter müssen den Club mindestens mitprägen

Wichtig ist, dass der Verein selbst nicht straffällig wird. Darüber kommt auch hochausgebildete juristische Abstraktion nicht hinweg. Strafe setzt persönliche Schuld voraus. Das Verbot muss an ein Verhalten von Mitgliedern anknüpfen. Damit stellt sich die Frage der Zurechnung des Verhaltens Einzelner zum Verein.

Wenn Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger die Beweislage für ein Vereinsverbot ausreichend hält, dann ist er überzeugt davon, dass die Strafgesetzwidrigkeiten von Mitgliedern den Charakter der Rockerclubs zumindest mitprägen. Dies verlangt das Bundesverwaltungsgericht als Verbotsvoraussetzung -  in einer Entscheidung von 1988 übrigens, die das schon vor fast dreißig Jahren ergangene Verbot des Hamburger Chapters der Hells Angels bestätigte (Urt. v. 18.10.1988, Az. 1 A 89/83).

Die Zurechnung fällt leicht, wenn in dem durch Satzung festgelegten Vereinszweck zumindest auch zu Straftaten aufgefordert wird. Ein Verein vom Organisationsgrad der weltweit agierenden Hells Angels oder der Bandidos wird sich jedoch kaum die Blöße einer solchen echten Zweckbestimmung geben.

Blutige Revierkämpfe als Vereinsaktivitäten

Die nun Verbote müssen sich eher darauf stützen, dass Mitglieder Straftaten begehen und dabei als geschlossene Gruppe auftreten. Die Rede ist immer wieder von brutalen Bandenkämpfen um vermeintliche "Gebietsansprüche". Für ein Verbot kann es in dieser Konstellation ausreichen, dass sich die damit einhergehenden Straftaten für die Öffentlichkeit als Vereinsaktivitäten darstellen. Sie werden dem jeweiligen Rockerclub zugerechnet, wenn er diesen Umstand kennt und billigt oder widerspruchslos hinnimmt. Maßgeblich ist dabei die Kenntnis der Vereinsorgane, namentlich des Vorstands (§ 31 Bürgerliches Gesetzbuch). Was aber gerade die Vereinsführung wusste und duldete, wird ein wesentliches Verfahrensproblem bleiben.

Ferner reicht es aus, wenn die Vereinigung strafbares Verhalten von Vereinsmitgliedern deckt, indem sie ihnen direkt oder durch Hilfestellung anderer Mitglieder Rückhalt bietet. Der Gedanke vermeintlicher Solidarität gilt in der Rockerszene als durchaus stark ausgeprägt. Vermutlich werden bald die Verwaltungsgerichte klären müssen, wie weit sie bei den jetzt verbotenen Gruppierungen reicht.

Sobald ein Verein verboten ist, wird sein Vermögen beschlagnahmt und eingezogen; eine Fortsetzung sämtlicher Vereinsaktivitäten, also auch für sich genommen ganz und gar harmloser, ist strafbar (§ 20 VereinsG). Schwerere Delikte sind nicht ausgeschlossen, etwa die Gründung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Strafgesetzbuch). Vereinskennzeichen einschließlich typischer Kleidungsstücke – hier die Motorradwesten oder "Kutten" – dürfen öffentlich nicht mehr gezeigt werden.

Gerade bei Rockerclubs wie den Hells Angels und den Bandidos haben die Behörden bereits einige Erfahrung gesammelt. Den Verboten in Nordrhein-Westfalen ging zuletzt eines in Kiel voraus. Dabei dreht sich die Rechtsprechung zum Vereinsverbot seit Jahrzehnten gerade um derartige Organisationen (zuletzt Verwaltungsgerichtshof Mannheim, Beschl. v. 09.01.2012, Az. 1 S 2823/11). Mit ihren hohen Anforderungen macht sie es den Behörden nicht eben leicht. Insofern mag es verständlich sein, dass bis kurz vor der heißen Phase des NRW-Wahlkampfes noch Fakten gesammelt wurden, bevor die Verbote gegen die Kölner Hells Angels und die Bandidos in Aachen ergingen.

Der Autor Dr. Dirk-Ulrich Otto ist tätig in Leipzig. Er bearbeitet seit zehn Jahren das Vereinsrecht in einem Online-Kommentar und ist seit 2012 Mitautor eines Handbuchs zum Vereinsrecht.

Zitiervorschlag

Dirk-Ulrich Otto, NRW verbietet Rockerclubs: Kriminelle Kumpanei kostet die Vereinsfreiheit . In: Legal Tribune Online, 16.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6210/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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