Das Urteil des BVerfG zum Verbotsantrag gegen die NPD hat zur Konsequenz, dass kleine, aktiv verfassungsfeindliche Parteien nicht verboten werden können. Die Suche nach Alternativen zum Verbot hat begonnen. Von Sebastian Roßner.
Fast konnte man ihn überhören, den kurzen Satz des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): Bei der Verkündung des NPD-Urteils ermutigte Andreas Voßkuhle den verfassungsändernden Gesetzgeber dazu, tätig zu werden. Er solle sich Gedanken darüber machen, ob es in einem Falle wie dem der NPD nicht sinnvoll wäre, rechtliche Möglichkeiten zu schaffen, um der Partei die staatliche Finanzierung zu kürzen. Die Regierungskoalition im Bund hat die Anregung nun aufgenommen.
Der ungewöhnliche Fingerzeig aus Karlsruhe in Richtung Berlin ist die Konsequenz eines gewissen Dilemmas, in das die neue Rechtsprechung des Gerichts führt. Zur Erinnerung: Am 17. Januar haben die Karlsruher Richter der NPD attestiert, verfassungswidrige Ziele aktiv zu verfolgen. Nach alter Rechtsprechung wäre die NPD damit als verfassungswidrig verboten worden. Das Gericht hat jedoch aus guten Gründen das neue, zusätzliche Merkmal der "Potentialität" eingeführt. Mit diesem technokratisch-blutarmen Begriff ist die Chance einer Partei gemeint, in einer absehbaren Zukunft ihre verfassungswidrigen Ziele erreichen zu können. Es geht also um eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, die von der Partei ausgeht.
Daran fehlte es aber bei der NPD nach dem, was das Gericht festgestellt hatte, womit ein Verbot nicht mehr in Frage kam. Die NPD besteht so als aktiv verfassungswidrig handelnde Partei nicht nur weiter, sondern genießt auch die gleichen Rechte wie alle anderen Parteien und nimmt insbesondere auch weiter an der staatlichen Parteienfinanzierung teil.
Einfachgesetzliche Regelungen genügen nicht
Der einfache Gesetzgeber kann an dieser Lage nichts ändern. Vielmehr muss dazu die Verfassung geändert werden, denn das Grundgesetz (GG) selbst verpflichtet durch Art. 21 Abs. 1 i. V. m. Art 3 Abs. 1 den Staat, die Parteien gleich zu behandeln. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Staat Unterschiede macht, sofern nämlich ein Grund dafür in der Verfassung angelegt ist. Parteien erhalten etwa unterschiedlich viel Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung, je nachdem, wie viel politischen Erfolg sie haben. Der Staat verhängt sogar finanzielle Sanktionen gegen Parteien, falls diese gegen die Vorschriften der finanziellen Transparenz aus Art. 21 I 4 GG und aus dem Parteiengesetz verstoßen haben.
Soweit der Staat jedoch aus politisch-inhaltlichen Gründen zwischen den Parteien differenzieren will, entfaltet Art. 21 Abs. 2 GG eine dreifache Konzentrationswirkung: Der einzige rechtlich erhebliche politische Vorwurf seitens des Staates gegenüber einer Partei ist es, verfassungswidrig zu sein; die einzige Rechtsfolge besteht im Verbot und über beides entscheidet ausschließlich das Bundesverfassungsgericht. Eben darin besteht das sogenannte Parteienprivileg.
Es verhindert, dass missliebige Parteien von staatlichen Stellen in kleiner Münze rechtlich diskriminiert werden. Sei es, indem der Zugang zu den Stadthallen verwehrt wird, indem in Wahlkampfzeiten weniger Flächen zum Plakatieren genehmigt werden oder eben, indem sie finanziell benachteiligt werden. Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat müssen sich vielmehr zum großen Wurf entschließen und einen Verbotsantrag in Karlsruhe stellen, es gilt also der Grundsatz "ganz oder gar nicht". Ansonsten kann eine Partei zwar unter bestimmten Bedingungen durch die Verfassungsschutzbehörden überwacht werden. Dies ist aber nur eine Vorstufe zu einem eventuellen Verbotsantrag. Die Nachrichtendienste sollen nämlich ermitteln, ob und in welcher Weise die beobachtete Partei verfassungswidrige Ziele verfolgt.
2/2: Empfehlung zur Aufweichung des Parteienprivilegs
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat am vergangenen Dienstag also nichts anderes vorgeschlagen, als das Parteienprivileg aufzuweichen und den Parteien mit verfassungswidriger Tendenz, die aber wegen fehlender politischer Bedeutung nicht verboten werden können, die staatliche Parteienfinanzierung zu kürzen oder zu streichen. Rechtlich wäre dies zu machen, indem das Grundgesetz durch eine entsprechende Vorschrift ergänzt wird. Die Entscheidungskompetenz müsste sinnvollerweise beim Bundesverwaltungsgericht oder besser noch beim Bundesverfassungsgericht liegen, um sicherzustellen, dass dieses Finanzierungsentzugsverfahren nicht politisch missbraucht wird.
Doch bevor die Bundesminister des Innern oder der Justiz eilig auf den Zug aus Karlsruhe aufspringen, sollten sie noch einmal innehalten. Es ist zwar problematisch, "kleine" Verfassungsfeinde mit staatlichen Geldern zu unterstützen und ihnen eventuell dabei zu helfen, zu großen Verfassungsfeinden heranzuwachsen. Aber man muss den Nutzen staatlicher Gelder für die kleinen Verfassungsfeinde in Relation setzen zu dem propagandistischen Vorteil, den es ihnen bringen würde, von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen zu werden. Dies gilt gerade auch für die NPD, deren staatliche Subventionen nach den letzten Wahlpleiten in Zukunft ohnehin deutlich sinken werden.
Zudem ist die Annahme nicht unrealistisch, dass in Zukunft - je nach politischer Konjunktur - weitere Parteien vom finanziellen Liebesentzug des Staates betroffen sein werden. Bevor der Staat die Parteien an den politischen Rändern mit Märtyrerrollen versorgt, sollte er deshalb lieber dabei bleiben, nur im Notfall eine Ausnahme von der Gleichheit der Parteien zu machen.
Alternativvorschlag aus dem Saarland
Einen etwas anderen Ansatz verfolgte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, als sie noch vor der Urteilsverkündung am 17. Januar anregte, Parteien, deren Funktionäre Straftaten begehen, die Finanzierung zu kürzen.
Das Problem an diesem Vorschlag liegt darin, dass es einen Zusammenhang zwischen den Straftaten und der Partei geben muss, der über den bloßen Umstand hinausgeht, dass die Täter Parteifunktionäre sind. Vielmehr muss die Partei von der Durchführung der Straftaten profitieren und dieser Effekt ihr auch zugerechnet werden können. Ansonsten wäre es jedenfalls nicht gerechtfertigt, die Partei zu belangen.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, Nach NPD-Urteil: Alternativen zum Verbot . In: Legal Tribune Online, 26.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21891/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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