Weil er sich mit dem NSDAP-Slogan "Deutschland erwache" über Wokeness lustig machte, wird gegen Norbert Bolz ermittelt. Das sorgt öffentlich für Empörung. Doch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft entspricht der Linie der Rechtsprechung.
Gegen den Autor und Medienwissenschaftler Norbert Bolz ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft wegen eines Social-Media-Posts aus Januar 2024. Bei dem 72-Jährigen wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet, die am Donnerstag stattfinden sollte. Zur zwangsweisen Durchsetzung kam es aber nicht, da Bolz der Anordnung, den Beamten Einsicht in sein Profil bei X zu geben, Folge leistete. Das teilte die Staatsanwaltschaft LTO am Freitag mit. Der Strafvorwurf gegen den umstrittenen Publizisten lautet auf Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, § 86a Strafgesetzbuch (StGB).
Bolz hatte einen Zeitungsartikel der taz auf X sarkastisch kommentiert. Der Artikel trägt den Titel "AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland wacht auf", auf X kursiert zudem ein Screenshot eines Tweets der taz zu dem Artikel, der statt "Deutschland wacht auf" die Formulierung "Deutschland erwacht" trägt. Hierauf reagierte Bolz mit: "Gute Übersetzung von 'woke': Deutschland erwache." Den Ausspruch "Deutschland erwache!" ordnet der Verfassungsschutz der verbotenen NSDAP zu, die Staatsanwaltschaft behandelt ihn daher ebenso wie etwa die von Björn Höcke mehrfach verwendete SA-Parole "Alles für Deutschland", Hakenkreuze oder den Hitlergruß als nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 86a Abs. 2 StGB verbotenen NS-Code. Jegliche Verwendung und Verbreitung steht nach § 86a Abs. 1 StGB unter Strafe.
Sowohl der Durchsuchungsbeschluss als auch die Ermittlungen als solche riefen breite Kritik hervor, so etwa bei Welt-Chefredakteur Jan Philipp Burgard, der das Vorgehen "völlig überzogen" nannte. Grünen-Politikerin Ricarda Lang kritisierte "solche Razzien" auf X als "absurd" – "und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat." Bolz und sein Anwalt betonten den sarkastisch ironischen Gehalt seiner Aussage: "Ich habe mir nicht vorstellen können, dass man das missverstehen kann", sagte Bolz der Welt. Sein Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel meinte gegenüber der dpa, man müsse Bolz "schon vorsätzlich missverstehen, um hier eine Straftat zu konstruieren".
Doch die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und des Ermittlungsrichters liegen auf der Linie der Rechtsprechung. Wohl auch hinsichtlich der Durchsuchung, die letztlich gar nicht stattfand.
Auch sarkastische Verwendung ist strafbar
Die §§ 86, 86a StGB dienen der Tabuisierung. In Bezug auf Symbole und Codes von NS-Organisationen besteht der Strafzweck darin, ein Wiedererstarken dieser Organisationen bzw. ihrer Ideologien zu verhindern. Wer solche Codes vorsätzlich verwendet, macht sich also unabhängig von der Intention der Aussage strafbar. Ironie und Sarkasmus schützen also nicht vor Strafe.
Ausnahmen von der Strafbarkeit gibt es zwar, aber sie gelten nur in eng begrenzten Fällen. Nach der sogenannten Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 4 StGB können Aussagen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, Kunst, Wissenschaft oder Presseberichterstattung straflos bleiben. Zudem nimmt die Rechtsprechung einen ungeschriebenen Tatbestandsausschluss für Fälle an, in denen der Schutzzweck der Vorschrift nicht berührt ist, weil durch die Äußerung oder Geste kein Wiedererstarken der NS-Symbolik droht.
Alle diese Ausnahmen werden jedoch restriktiv gehandhabt. Wer nicht Presse ist oder sich einer anerkannten Kunstform bedient – wie etwa bei den Mottowagen auf dem Karnevalsumzug –, läuft Gefahr, sich strafbar zu machen. Dass der Äußernde nur provozieren oder Kritik an Regierungshandeln üben will, reicht allein nicht für einen Ausschluss der Strafbarkeit. Die Äußerung selbst muss eindeutig eine ablehnende Haltung zur NS-Ideologie erkennen lassen. So hatte etwa das Kammergericht im vergangenen Jahr einen Kritiker von Corona-Maßnahmen für die Montage eines Hakenkreuzes auf einer Mund-Nasen-Bedeckung schuldig gesprochen.
Selbst wenn der Äußernde einen Slogan nur zitiert, um Kritik an ebendieser strafrechtlichen Tabuisierung zu üben, kann das strafbar sein. So verurteilte das Amtsgericht Hannover kürzlich den ehemaligen Finanzprofessor Stefan Homburg, der für ähnlichen Rechtspopulismus und Anti-Wokeness bekannt ist wie Bolz. Homburg hatte das Strafurteil gegen Björn Höcke wegen der Parole "Alles für Deutschland" kritisiert und dazu den Spruch wiedergegeben. Das Gericht hielt auch dies für strafbar nach § 86a StGB.
Bolz' Äußerung für strafbar zu halten, mag man rechtspolitisch mit guten Gründen kritisieren. Der gängigen Rechtsprechung aber entspricht es, dass die Berliner Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht bejaht hat.
Es gab einen Durchsuchungsbeschluss – aber keine Durchsuchung
Doch warum eine Hausdurchsuchung? In § 152 Abs. 2 schreibt die Strafprozessordnung vor, dass die Staatsanwaltschaft bei jedem Anfangsverdacht verpflichtet ist, Ermittlungen aufzunehmen (Legalitätsprinzip). Und zu den Standard-Ermittlungsmaßnahmen gehört die Hausdurchsuchung. Sie hat nur zwei Voraussetzungen: Anfangsverdacht und eine allgemeine Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung taugliche Beweismittel zu finden.
Wird wegen Internet-Posts ermittelt, geht es meist darum, anhand der Durchsicht der mobilen Endgeräte und PCs zu überprüfen, ob der Beschuldigte wirklich Inhaber des unter seinem Namen betriebenen Accounts ist und ob er den Post selbst abgesetzt hat. Darum sei es auch in Bolz' Fall gegangen, teilte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft LTO mit. Weil Bolz als Beschuldigter kooperativ gewesen sei und den Beamten Einsicht in sein Profil bei X und die Anfertigung von Screenshots ermöglichte, kam es nicht zu einer Durchsuchung der Wohnräume.
Im Einzelfall sorgsam prüfen müssen Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter aber die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung. Ist die zu erwartende Strafe gering und stehen auch andere Beweismittel zur Verfügung, kann eine Durchsuchung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch unverhältnismäßig und damit grundrechtswidrig sein.
Staatsanwaltschaft: Kein Rechtsbehelf eingegangen
Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, hatte die Staatsanwaltschaft nach eigener Aussage beim Ermittlungsrichter beantragt, dass die Durchsuchungsanordnung mit einer Abwendungsbefugnis versehen ist. Diese gibt dem Beschuldigten Gelegenheit, die Durchsuchung durch Kooperation zu verhindern, wovon Bolz Gebrauch gemacht hat.
Dennoch ist eine solche Situation einschüchternd und ein Grundrechtseingriff. Will Bolz die Androhung der Hausdurchsuchung, die Einsichtnahme in sein Profil und die Anfertigung von Screenshots gerichtlich prüfen lassen, ist das möglich. Bislang sei aber kein solcher Antrag eingegangen, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft LTO am Freitag mit.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft kam der Hinweis von der vom hessischen Innenministerium betriebenen Plattform "Hessen gegen Hetze". Diese habe die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet beim Bundeskriminalamt informiert – und diese leitete den Fall dann wegen des Wohnorts von Bolz nach Berlin weiter. Auf demselben Weg war auch das Ermittlungsverfahren mitsamt Durchsuchungsanordnung im Fall der Schwachkopf-Beleidigung gegen den damaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck ins Rollen gekommen. Auch hier stieß die Maßnahme aufgrund der Geringfügigkeit des Delikts auf breite Kritik.
Mit Material der dpa
Hinweis: aktualisierte Fassung vom 25.10.2025, 20:04 Uhr.
Angebliche Durchsuchung bei Bolz wegen NS-Parole: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58463 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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