Der diesjährige Nobelpreis für Ökonomie wurde an zwei Professoren für ihre Verdienste um die Vertragstheorie verliehen. Peter Scherer erklärt ihre wichtigsten Thesen.
Wieder einmal haben es zwei in den "Olymp" geschafft und von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften am 10. Oktober 2016 den Nobelpreis für Ökonomie zugesprochen bekommen. Dieses mal sind es keine Amerikaner, sondern Europäer, ein Finne und ein Engländer, Bengt Holmström und Oliver Hart, die aber beide als Professoren in den USA lehren, der eine am MIT und der andere in der benachbarten Harvard University in Cambridge bei Boston.
Das ungewöhnliche an der Wahl: Eigentlich geht es bei dem Werk von Hart und Holmström nicht um ökonomische Theorie – jedenfalls nicht im engeren Sinne. Geehrt wurden die beiden vielmehr für ihre Beiträge zur Vertragstheorie (contract theory).
Das Recht mit den Mitteln der Ökonomie ergründen
Schon seit einigen Jahrzehnten bereichern oder quälen (je nach Sichtweise) Ökonomen und Juristen die Welt mit der sogenannten "ökonomische Analyse des Rechts". Zum Teil mit interessanten Ergebnissen (zum Beispiel im Haftungsrecht oder Urheberrecht), zum Teil aber auch mit skurrilen Folgen, etwa wenn kleine Geister aus guten Analysen den Schluss ziehen, dass es sich für den Staat nicht lohne, in Delikten zu ermitteln, bei denen die statistische Aufklärungsquote zu gering ist, was ja letztlich bedeutet, dass der Staat sich moralisch selbst aufgibt, indem er Zweckmäßigkeit über seinen eigenen Strafanspruch stellt. So zumindest die Erfahrung aus der Praxis.
Die Vertragstheorie ist ein wichtiges Gebiet solcher Analysen und befasst sich mit der Frage, wie Verträge beschaffen sein sollten – und warum. Das kann dabei helfen, sie künftig besser zu gestalten.
Und das ist wichtig, denn Verträge sind wichtig. Nicht umsonst haben die Römer schon vor über 2.000 Jahren den Grundsatz "pacta sunt servanda" (Verträge müssen eingehalten werden) aufgestellt.
Gerade unter Ökonomen ist zudem die Vorstellung verbreitet, die Welt lasse sich als eine Art Sammlung alles erfassender Verträge erklären. Vor diesem Hintergrund sind die Forschungen von Holmström und Hart zu verstehen.
Holström: Spannungsverhältnis von Anreiz und Absicherung
Das Nobel-Komitee hat in einem Hintergrundpapier (Kungl. Vetenskaps-Akademien, The Prize in Economic Sciences 2016, Contract Theory, Stockholm, 10 October 2016) Gesichtspunkte formuliert, die die Bedeutung der Arbeit von Holström (Punkt 1 bis 3) und Hart (Punkt 4 bis 7) ausmachen:
- Spannungsfeld zwischen Absicherungen und Anreizen: Wer für sein Verhalten vertraglich voll abgesichert sei, tendiere dazu, sich unvorsichtiger zu verhalten ("moral hazard"). Daher erkläre Holmström dieses Spannungsverhältnis als Kombination zweier Faktoren (z. B. in Versicherungsverträgen): Interessenkonflikt und Berechenbarkeit von Verhalten. Wahrscheinlich eine gute Antwort im Hinblick auf einen Homo Oeconomicus, aber in der Praxis gibt es sicherlich auch viele Menschen, deren Risikoappetit ganz anders strukturiert ist (ängstliche bzw. Spielertypen).
- Leistungsabhängige Bezahlung: Obgleich leistungsabhängige Bonifikationen (Boni) grundsätzlich zu begrüßen seien, sei deren konkrete Ausgestaltung oft schwer. So genüge eine Koppelung der Bezahlung allein an den Aktienkurs eines Unternehmens oft nicht, weil dieser auch von externen Faktoren (Ölpreisentwicklung etc.) beeinflusst werde. Besser sei eine Koppelung an den Vergleich der Leistungen des eigenen Unternehmens zu denen der Konkurrenzunternehmen. Außerdem würden sich flexible Einkommen nicht für Unternehmen mit extremen Risiken eignen, z. B. Banken. Die Schöpfer der Institutsvergütungsregeln im Bankensektor und die Bankenaufseher werden das gerne lesen, der eine oder andere Londoner Bankmanager eher weniger.
- Starke oder ausgewogene Anreize: Das ist Holmström wichtig, weil z. B. Jüngere einen stärkeren Anreiz zu harter Arbeit hätten als Ältere, weil sie eher mit den langfristigen Folgen ihres Handelns leben müssten, während Ältere vielleicht eher einen kurzfristigen Ertrag (z. B. Bonus) einstreichen wollten, auch wenn das für das Unternehmen nachteilhaft sei. Erkennbar hat Holmström für seine Thesen nicht das Verhalten der Unternehmer und Manager des deutschen Mittelstands empirisch untersucht, die gerne bis ins hohe Alter hinein an ihrem Lebenswerk arbeiten und nie auf die Idee kämen, Nachhaltigkeit kurzfristigem Ertrag zu opfern.
2/2: Hart: Staat als Qualitäts-, Industrie als Effizienzgarant
- Unvollständige Verträge: Oliver Harts wichtigste Erkenntnis dürfte unbestritten bleiben, nämlich dass ein Vertrag nicht alle Eventualitäten der Zukunft abdecken und regeln kann. Daraus zieht er den Schluss, dass es besser sei, nur (etwa per Gerichtsstandsvereinbarung, Schiedsabrede) zu regeln, wer entscheiden soll, wenn sich die Parteien nicht einigen können. An dieser Stelle dürfen erfahrene Kautelarjuristen gerne einmal seufzen!
- Eigentumsrechte: Wenn für die wirtschaftliche Nutzung einer Innovation sowohl eine Maschine als auch ein Vertriebskanal erforderlich ist, stelle sich die Frage, wer (Erfinder, Maschinenoperator oder Vertriebler) diese Maschinen und den Vertriebskanal zum Eigentum habe sollte. Harts Antwort: der Erfinder, weil er den größten nicht-vertraglichen, also nicht von anderen lieferbaren Anteil an der Innovation habe. Das ist erstmal gut gedacht, lässt allerdings unbeachtet, dass der Erfinder häufig nicht das Geld hat, Maschinen und Vertrieb zu finanzieren, und so in Abhängigkeit von Geldgebern (Banken, Mitgesellschaftern, Anleihegläubigern, Private Equity-Investoren etc.) gerät. Genau so läuft es jedenfalls im realen Leben.
- Finanzverträge: Ähnlich nähert sich Hart auch der Situation der Manager, die idealerweise selbst Unternehmer sein sollten, dies jedoch gleichfalls häufig nicht finanzieren können. Auch hier seien Kapitalgeber vonnöten, wobei die Entscheidungsbefugnisse dem Manager/Unternehmer zustehen, in Krisen aber auf die Investoren übergehen sollten. Tatsächlich werden solche Konstruktionen in der Praxis gewählt, wie Kenner von MBO- und Private Equity-Transaktionen wissen werden.
- Privatisierung: Auf die Frage, ob Privatisierungen sinnvoll sind, gibt Hart die Lieblingsantwort deutscher Anwälte: "Es kommt darauf an". Nach seinem Modell gibt es zwei Arten von Investitionen: qualitätsverbessernde und kostensenkende. Staatsbetriebe hätten oft gar keine Investitionsanreize, private Betriebe hingegen senkten die Kosten oft zu stark und zu Lasten der Qualität. Stehe also Kostensenkung im Vordergrund, gehe das eher mit privaten Unternehmen und Privatisierung mache Sinn. Wenn es aber auf die Qualität ankomme, sei der Staat als Anbieter besser geeignet.
Denkanstöße, keine Handlungsanweisungen
Zusammenfassend betont das Nobel-Komitee am Ende, dass die Forschungen von Holmström und Hart von Corporate Governance-Fragen bis zum Verfassungsrecht viele Gebiete beeinflusst hätten. Sie hätten zum Verständnis und zur besseren Gestaltung von Verträgen im Privatrecht wie im öffentlichen Sektor beigetragen.
Holmström und Hart haben bei der Entwicklung der Vertragstheorie Wichtiges geleistet und Wissenschaft und Praxis näher zueinander gebracht. Man sollte allerdings auch nicht vergessen, dass sie eine Wissenschaft, die Jurisprudenz, mit den Methoden einer anderen, der Ökonomie, analysieren. Ihre Ergebnisse sind daher wichtig und interessant, aber keine uneingeschränkt gültigen Handlungsanweisungen für Juristen.
Alles in allem herzliche Glückwünsche an die Professoren Holmström und Hart! Ihr Wirken wird vom Nobel-Komitee zu Recht geehrt.
Der Autor Peter Scherer, LL.M. (I.U.) ist Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann + Kollegen in Frankfurt und schwerpunktmäßig im Bank- und Kapitalmarktrecht tätig.
RA Peter Scherer, LL.M (I.U.), Vertragstheoretiker mit Nobelpreis geehrt: Das Recht von der Wirtschaft gedacht . In: Legal Tribune Online, 28.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21007/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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