Vertragstheoretiker mit Nobelpreis geehrt: Das Recht von der Wirt­schaft gedacht

von RA Peter Scherer, LL.M (I.U.)

28.10.2016

2/2: Hart: Staat als Qualitäts-, Industrie als Effizienzgarant

  • Unvollständige Verträge: Oliver Harts wichtigste Erkenntnis dürfte unbestritten bleiben, nämlich dass ein Vertrag nicht alle Eventualitäten der Zukunft abdecken und regeln kann. Daraus zieht er den Schluss, dass es besser sei, nur (etwa per Gerichtsstandsvereinbarung, Schiedsabrede) zu regeln, wer entscheiden soll, wenn sich die Parteien nicht einigen können. An dieser Stelle dürfen erfahrene Kautelarjuristen gerne einmal seufzen!   
  • Eigentumsrechte: Wenn für die wirtschaftliche Nutzung einer Innovation sowohl eine Maschine als auch ein Vertriebskanal erforderlich ist, stelle sich die Frage, wer (Erfinder, Maschinenoperator oder Vertriebler) diese Maschinen und den Vertriebskanal zum Eigentum habe sollte. Harts Antwort: der Erfinder, weil er den größten nicht-vertraglichen, also nicht von anderen lieferbaren Anteil an der Innovation habe. Das ist erstmal gut gedacht, lässt allerdings unbeachtet, dass der Erfinder häufig nicht das Geld hat, Maschinen und Vertrieb zu finanzieren, und so in Abhängigkeit von Geldgebern (Banken, Mitgesellschaftern, Anleihegläubigern, Private Equity-Investoren etc.) gerät. Genau so läuft es jedenfalls im realen Leben.   
  • Finanzverträge: Ähnlich nähert sich Hart auch der Situation der Manager, die idealerweise selbst Unternehmer sein sollten, dies jedoch gleichfalls häufig nicht finanzieren können. Auch hier seien Kapitalgeber vonnöten, wobei die Entscheidungsbefugnisse dem Manager/Unternehmer zustehen, in Krisen aber auf die Investoren übergehen sollten. Tatsächlich werden solche Konstruktionen in der Praxis gewählt, wie Kenner von MBO- und Private Equity-Transaktionen wissen werden.
  • Privatisierung: Auf die Frage, ob Privatisierungen sinnvoll sind, gibt Hart die Lieblingsantwort deutscher Anwälte: "Es kommt darauf an". Nach seinem Modell gibt es zwei Arten von Investitionen: qualitätsverbessernde und kostensenkende. Staatsbetriebe hätten oft gar keine Investitionsanreize, private Betriebe hingegen senkten die Kosten oft zu stark und zu Lasten der Qualität. Stehe also Kostensenkung im Vordergrund, gehe das eher mit privaten Unternehmen und Privatisierung mache Sinn. Wenn es aber auf die Qualität ankomme, sei der Staat als Anbieter besser geeignet.

Denkanstöße, keine Handlungsanweisungen

Zusammenfassend betont das Nobel-Komitee am Ende, dass die Forschungen von Holmström und Hart von Corporate Governance-Fragen bis zum Verfassungsrecht viele Gebiete beeinflusst hätten. Sie hätten zum Verständnis und zur besseren Gestaltung von Verträgen im Privatrecht wie im öffentlichen Sektor beigetragen.

Holmström und Hart haben bei der Entwicklung der Vertragstheorie Wichtiges geleistet und Wissenschaft und Praxis näher zueinander gebracht. Man sollte allerdings auch nicht vergessen, dass sie eine Wissenschaft, die Jurisprudenz, mit den Methoden einer anderen, der Ökonomie, analysieren. Ihre Ergebnisse sind daher wichtig und interessant, aber keine uneingeschränkt gültigen Handlungsanweisungen für Juristen.

Alles in allem herzliche Glückwünsche an die Professoren Holmström und Hart! Ihr Wirken wird vom Nobel-Komitee zu Recht geehrt.

Der Autor Peter Scherer, LL.M. (I.U.) ist Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann + Kollegen in Frankfurt und schwerpunktmäßig im Bank- und Kapitalmarktrecht tätig.

Zitiervorschlag

RA Peter Scherer, LL.M (I.U.), Vertragstheoretiker mit Nobelpreis geehrt: Das Recht von der Wirtschaft gedacht . In: Legal Tribune Online, 28.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21007/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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