Nicht über Los gehen, keine 4.000 Mark einziehen – sondern selbst bezahlen müssen. Ungefähr so sehen aktuelle Pläne des Justizministeriums in den Niederlanden aus. Dort sollen Häftlinge für ihre Unterbringung bald mit 16 Euro pro Tag zur Kasse gebeten werden, in Deutschland gibt es bereits vergleichbare Regelungen. Faire Kostenbeteiligung oder rechtswidrige Doppelbestrafung?
Für maximal zwei hinter Gefängnismauern verbrachte Jahre sollen holländische Inhaftierte bald zur Kasse gebeten werden können. Geht es nach dem niederländischen Justiz-Staatssekretär Fred Teeven, sollen sich die Häftlinge auch an den Kosten der Ermittlung beteiligen, die bis zu ihrer Verurteilung entstanden sind. Das Ziel der beiden Vorhaben: Mehreinnahmen von 65 Millionen Euro pro Jahr. Ende 2014 könnten die Änderungen in Kraft treten.
Gerard de Jonge relativiert die Meldung. Der Professor ist Experte für Haftrecht an der Universität in Maastricht und sagt, das Papier, das derzeit diskutiert werde, habe formal noch nicht den Status eines Gesetzentwurfs. "Aber die Idee wurde schon mal bekannt gemacht, um die Reaktionen der Öffentlichkeit, der Experten und der Wissenschaftler zu testen." Und die reichten von "im Prinzip ungerecht" - denn warum soll ein Inhaftierter für die unfreiwillig verbrachte Haft auch noch bezahlen müssen? - bis hin zu "unrealistisch und nicht praktikabel", da die meisten Gefängnisinsassen ohnehin kein Geld hätten für die Rechnungen, die sie dann alle sechs Wochen erhielten.
Haftkostenbeteiligung in Deutschland geltendes Recht
Sicher schielen Männer wie Fred Teeven auch nach Deutschland hinüber. Schließlich gibt es hierzulande schon seit langem den Paragrafen 50 Strafvollzugsgesetz (StVollzG), seit der Föderalismusreform mit verschiedenen Varianten in den Landes-Strafvollzugsgesetzen. Danach werden Haftkostenbeiträge jedoch grundsätzlich nur von den Strafgefangenen erhoben, die selbstverschuldet nicht arbeiten oder im Rahmen eines sogenannten freien Beschäftigungsverhältnisses (einer Anstellung in der freien Wirtschaft) oder einer Selbstbeschäftigung (zum Beispiel als Autor oder Künstler) ein höheres Einkommen erzielen, als dies bei einer Beschäftigung innerhalb der JVA der Fall wäre.
"Auch Gefangene, die Rente beziehen oder etwa als Immobilieneigentümer Mieteinnahmen haben, müssen Haftkosten zahlen", erklärt Rechtsanwältin Lisa Grüter, die zugleich Vorstandsmitglied im "Arbeitskreis kritischer Strafvollzug" ist. Wer allerdings in Haft arbeite oder dies etwa wegen Arbeitsmangels unverschuldet nicht tue, müsse in Deutschland keine Haftkosten zahlen. Die Höhe des Haftkostenbeitrages setzt das Bundesjustizministerium jährlich neu fest.
Wer arbeitet, muss nicht zahlen
Mit den Haftkosten werden in Deutschland verschiedene Zwecke verfolgt. So wird etwa die Befreiung von der Zahlungspflicht für Gefangene, die im Vollzug arbeiten, als Ent- und Belohnung der resozialisierungsfördernden Arbeit angesehen. Sie soll Anreizcharakter haben, zugleich aber auch die öffentlichen Kassen entlasten und den verurteilten Straftäter an den Folgekosten seiner Verurteilung beteiligen.
Dennoch gibt es auch kritische Stimmen. Thomas Henning vom "Organisationsbüro Recht" in Gießen sagt: "Einen Haftkostenbeitrag zu erheben von denen, die im offenen Vollzug sind, ist sicher unproblematisch zu sehen. Dann ist es ja quasi eine Miete." Unfair seien seiner Meinung nach jedoch die versteckten Haftkostenbeiträge, die Inhaftierte im geschlossenen Vollzug zahlen müssten. Früher zum Beispiel die zehn Euro Praxisgebühr, heute die Zuzahlung zu Zahnersatz, Kabelfernsehgebühren oder zum Strom für zusätzliche Elektrogeräte. "Und wenn ein Gefangener aus Versehen einen Teller kaputt macht, muss er auch den noch bezahlen. Das kommt nämlich alles auf eine Liste", sagt Thomas Henning.
Häftlinge sollen nicht besser dastehen als freie Bürger
Gefangene an den Kosten für Elektrogeräte zu beteiligen, ist nach dem Willen des Gesetzgebers in Ländern wie etwa Hessen zwar möglich. Eine solche Beteiligung werde jedoch in der Praxis derzeit nicht erhoben, teilt das Hessische Justizministerium mit. Im Übrigen entspreche eine Beteiligung an Kosten medizinischer Behandlung nur einer Angleichung an die Verhältnisse außerhalb der Haft. Der Gefangene erhalte "eine für ihn kostenfreie medizinische Versorgung entsprechend eines gesetzlich Versicherten", erklärt Dr. Hans Liedel, Sprecher im Hessischen Justizministerium.
"Nimmt er allerdings Wahlleistungen in Anspruch, für die auch ein gesetzlich Versicherter eine Zuzahlung leisten muss, so muss auch der Gefangene diese Kosten tragen." Schätzungen des Ministeriums gehen übrigens davon aus, dass mit mehr als 95 Prozent der ganz überwiegende Teil der Häftlinge in hessischen Gefängnissen keinen Haftkostenbeitrag leisten muss.
2/2: Resozialisung in Gefahr?
Trotzdem: Ein gewisser Prozentsatz aller Gefangenen zahlt für die eigene Haft. Damit stellt sich die Frage, ob so nicht eine Art doppelter Bestrafung entsteht, der finanzielle Aderlass zudem der späteren Resozialisierung schadet. Rechtsanwältin Lisa Grüter argumentiert in diese Richtung: "Aus meiner Sicht ist vor allem die Erhebung weitergehender Kosten als dies nach der derzeitigen Regelung der Fall ist, resozialisierungsfeindlich. Gefangene werden durch die Inhaftierung aus dem Leben gerissen, verlieren ihren Arbeitsplatz, ihre Wohnung, ihre Familien". Gleichzeitig seien die Löhne für Arbeit in Haft "lächerlich gering, die Beschäftigungslosigkeit in Haft ist hoch". Schadenswiedergutmachung und eine nennenswerte Unterstützung der Familie könnte ein Strafgefangener ohnehin nicht leisten.
"Nicht die Inhaftierung reißt ihn aus seinem Lebensumfeld, sondern er selbst, indem er sich für die Begehung einer Straftat entschieden hat", entgegnet Ministeriumssprecher Hans Liedel.
Haftkosten fallen neben übrigen Schulden oft kaum ins Gewicht
Immerhin räumt auch Lisa Grüter ein, dass die Haftkosten nach der Entlassung in Freiheit oft nicht nennenswert ins Gewicht fielen. Die Leute seien wegen der Kosten aus ihren Hauptverfahren ohnehin fast alle hoch verschuldet, einige zusätzlich wegen Schadenersatzansprüchen der Opfer oder sonstiger Zahlungspflichten.
Das größte Problem sieht sie für die Zeit während der Haft und nennt ein Beispiel: Ein Mandant sei wegen einer Unstimmigkeit am Arbeitsplatz von der Arbeit abgelöst worden. Arbeitnehmerrechte und Kündigungsschutz gebe es in Haft so gut wie nicht. Der Mandant sei haftkostenpflichtig und könne daher seine Anwältin, die ihm gegebenenfalls zu Recht hätte verhelfen können, nicht bezahlen. Denn der größte Teil seines verfügbaren Geldes wird gepfändet. Grüter hält es für unvertretbar, Gefangenen durch eine Ausweitung zusätzliche Kosten aufzubürden. Das gelte auch für Pläne, wie sie derzeit in den Niederlanden diskutiert würden.
Auch Thomas Henning vom Gießener "Organisationsbüro Recht" erzählt von vielen Gefangenen, die sich über zusätzliche Kosten und die Pläne der Holländer gewaltig ärgerten. "Sie sollen für etwas bezahlen, eine Zelle, die sie noch nicht einmal so einrichten und ausstatten dürfen, wie sie möchten. Über die sie nicht frei verfügen dürfen. Sie sollen zahlen wie ein Mieter draußen", kritisiert Henning.
Sympathie für das niederländische Modell - Übertragung auf Deutschland?
Henning hält das, was die Niederländer vorhaben, "für eine populistische Geschichte". Er spricht von Stammtischmentalität und schlägt vor: "Fragen Sie mal in Deutschland herum, wie Bürger das hier sehen. Die meisten wären sicher auch dafür, bei uns zusätzlich Geld für die Unterbringung von den Gefangenen zu fordern – und zwar von allen."
Der Versuch, das in den Niederlanden aktuell diskutierte Bezahl-Modell auf Deutschland zu übertragen, würde jedoch wahrscheinlich schiefgehen. Erst vor wenigen Tagen fragte der Kriminalwissenschaftler und Rechtssoziologe Johannes Feest auf der Internetseite des Strafvollzugsarchivs: "Könnte der Gesetzgeber auch bei uns auf die Idee kommen, die Staatsfinanzen auf diese Weise zu verbessern?" Ob das geht, ist für Feest in erster Linie eine verfassungsrechtliche Frage. Nämlich die, ob es mit dem Resozialisierungsgebot vereinbar sei, wenn Strafgefangene nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe mit zusätzlichen Schulden entlassen werden. "Zulässig wäre es allerdings, wenn der Gesetzgeber sich endlich entschließen würde, auch für die Gefangenenarbeit normale Löhne zu bezahlen und die Gefangenen in die Sozialversicherung einzubeziehen", so Feest.
Das wird so manchen zunächst beruhigen. Denn sicher gibt es die Fälle, in denen zum Beispiel Obdachlose – vor allem im Winter – eine warme, kostenfreie Unterkunft im Gefängnis suchen. "Das aber gar zeitlich passend zu schaffen, ist sehr unwahrscheinlich", so Strafverteidigerin Alexandra Braun aus Hamburg. Denn vor einer Inhaftierung kommen immerhin noch Anklage, Hauptverhandlungstermin und die Ladung zum Haftantritt. Bis sich das Gefängnistor also öffnet, können unter Umständen Monate vergehen.
Daniel Grosse, Kostenpflichtig hinter Gitter: Der Gefangene als Einnahmequelle . In: Legal Tribune Online, 14.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11007/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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